London Cameron profitiert von seinem Anti-Europa-Kurs

London · In Bishop's Stortford versteht man die Welt nicht mehr. Die Wirtschaft kränkelt, die Jobs schwinden, den Kommunen fehlt Geld – doch alles, was die Presse interessiert, ist die Städtepartnerschaft der Briten mit den Deutschen.

Im September kündigte der Rat des malerischen Städtchens nördlich von London die 44-jährige Freundschaft mit Friedberg auf. Diese Woche erreichte der Brief aus England die hessischen Partner. "Die Welt" interpretierte den Schritt als ein "Abbrechen der Brücken" nach Camerons EU-Veto. "Alles Quatsch, wir bleiben mit Friedberg befreundet", versichert der konservative Chef des Rats von Bishop's Stortford, John Wyllie: "Haben die Deutschen jetzt eigentlich keine wichtigeren Sorgen?"

Doch die Aufregung ist nicht ganz grundlos, gibt es doch einen erkennbaren Trend zur Isolation im Königreich. In der Euro-Krise stärken heute 56 Prozent der Briten ihrer Regierung den Rücken, während nur 40 Prozent die Rettungsbemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy begrüßen. Das Nein zum EU-Vertrag hat sich für den konservativen Premier David Cameron zweifellos gelohnt. Seit Freitag haben die euroskeptischen Tories in den Umfragen den Vorsprung der Labour-Partei aufgeholt und sich erstmals in diesem Jahr mit 41 Prozent an die Spitze gesetzt. Dabei sind gute Nachrichten für die Downing Street seit Monaten rar: Gestern gab die Statistikbehörde ONS einen Anstieg der Arbeitslosigkeit im vierten Quartal von 7,9 auf 8,3 Prozent bekannt.

Die Analysten warnen Cameron jedoch davor, anti-europäische Stimmung zu schüren. Manche sehen das Bündnis mit den europafreundlichen Liberaldemokraten akut gefährdet. Am Dienstag boykottierte der kleine Koalitionspartner geschlossen eine Resolution im Parlament, die das britische EU-Veto gebilligt hat. Gestern bemühte sich Liberalen-Chef Nick Clegg darum, die Wogen zu glätten. "Die gesamte Regierung ist entschlossen, die Beziehung zu den europäischen Partnern wiederherzustellen", versicherte er vor Wirtschaftsvertretern in London.

Nach Informationen der "Times" droht dem Regierungschef schon im Februar eine neue Europa-Rebellion der Hinterbänkler, die Cameron eine Abstimmung über ein EU-Referendum aufnötigen wollen. Der Tory-Chef lehnt eine solche Abstimmung ab, weil er eine Spaltung seiner Regierung befürchtet. Die Euroskeptiker sind jedoch entschlossen: "Der Zug ist nicht mehr zu stoppen", warnte einer von ihnen und verglich die Lage mit Ägypten und Libyen. Ihren "Unabhängigkeitskampf" bezeichnete er schon als "Englischen Frühling".

Internet Reaktionen auf Camerons "No" im Überblick unter www.rp-online.de/politik

(RP)
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