London/Berlin Cameron siegt, Europa sorgt sich

London/Berlin · Die britischen Konservativen können wieder allein regieren. Nun werden die Briten über ihren Verbleib in der EU abstimmen. Das bedeutet Jahre der Ungewissheit. In Berlin überwiegt die Skepsis.

Der überraschende Triumph der Konservativen bei der britischen Unterhauswahl stürzt die EU in Turbulenzen. Weil Premierminister David Cameron vor der Wahl ein Referendum über den britischen Verbleib in der EU versprochen hat, rechnet man nun in Brüssel mit Forderungen aus London, die EU-Verträge neu zu verhandeln, um Zugeständnisse zu erreichen. Ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, man werde "jeden Vorschlag und jede Forderung höflich, freundlich und objektiv prüfen". Juncker selbst hatte einen "fairen Deal" zugesagt.

Camerons Tories hatten bei der Wahl am Donnerstag eine Mehrheit der Sitze im Unterhaus erzielt. Sie eroberten 331 der 650 Wahlkreise. Der bisherige Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, verlor mehr als vier Fünftel seiner bisherigen Sitze.

Überraschend schwach schnitt die Labour Party ab - sie erlitt vor allem in Schottland dramatische Verluste. Dort gingen 56 der 59 Wahlkreise an die Schottische Nationalpartei, die sich für eine Unabhängigkeit des Landesteils einsetzt. Labour-Chef Ed Miliband erklärte umgehend seinen Rücktritt. Die EU-kritische "United Kingdom Independence Party" (Ukip) errang lediglich einen Sitz; unter anderem scheiterte Parteichef Nigel Farage in seinem Wahlkreis in Südost-England. Auch er trat zurück.

Auf der Insel wird nun spätestens 2017 abgestimmt, ob das Land in der EU bleibt. Überraschend deutlich wurde angesichts dieser Perspektive auf dem Kontinent bereits gestern die Möglichkeit einer umfassenden EU-Reform genannt. Der CSU-Politiker Manfred Weber, der im Europaparlament die Christdemokraten anführt, sagte: "Wir Europäer müssen darüber nachdenken, ob es Zeit für eine größere Vertragsänderung ist." Europäische Grundfreiheiten seien aber nicht verhandelbar. Junckers Sprecher griff das auf: Die Mitgliedstaaten müssten über den "nächsten großen verfassungsrechtlichen Schritt" entscheiden. EU-Ratschef Donald Tusk teilte mit, er werde Cameron unterstützen, die Briten mit einer EU-Reform vom Verbleib zu überzeugen.

Obwohl auch Deutschland Interesse an einer Vertragsänderung hat - etwa um die Währungsunion stabiler aufzustellen -, waren die Reaktionen aus Berlin zurückhaltend. Unions-Außenpolitiker Philipp Mißfelder äußerte die Hoffnung, die neue Regierung werde verantwortungsbewusst handeln. "Ein Austritt schadet allen, am meisten Großbritannien selbst", warnte er. SPD-Außenpolitiker Niels Annen sagte dagegen voraus, die Mehrheit der Konservativen werde das Gewicht der Europa-Skeptiker in der Partei eher noch erhöhen. "Für die Zukunft Großbritanniens in der EU verheißt dieses Ergebnis wenig Gutes", sagte Annen. Zugleich stehe fest: "Wir wollen Großbritannien in der EU halten. Weitere Sonderrabatte für die Tories wird es aber nicht geben."

Deutliche Warnungen vor einem britischen EU-Austritt kamen von der deutschen Wirtschaft. Der EU würde dann "der wichtigste Advokat für freien und fairen Wettbewerb sowie für Freihandel wegbrechen", sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer des Industrie- und Handelskammertags, Volker Treier. Großbritannien selbst habe noch mehr zu verlieren.

Von Lamentieren hält Grünen-Außenexperte Omid Nouripour nichts. "Wir müssen unseren britischen Freunden klarmachen, dass wir sie in der EU brauchen", sagte er. "Noch ist nichts verloren", bekräftigte er. Besorgt zeigte sich auch Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich. Das Votum für die Konservativen öffne "die Tür für einen Ausstieg Großbritanniens", sagte er.

(RP)
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