CDU-Abgeordneter Spahn Der aus der Reihe tanzt

Berlin · Er stand am Anfang der Wahlperiode mit leeren Händen da. Doch Jens Spahn kämpfte sich zurück an die politischen Schaltstellen. Die britische Presse sieht ihn schon als Merkel-Nachfolger.

CDU: Jens Spahn - der aus der Reihe tanzt
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Britische Zeitungen befassen sich eher selten mit der innenpolitischen Lage in Deutschland. Umso überraschender war ein Artikel des seriösen "Guardian" Ende August. Das Blatt räsonierte darüber, ob Angela Merkel wohl noch einmal als Kanzlerkandidatin der Union antritt. Da sich der Autor dessen nicht sicher war, präsentierte er eine Alternative: Jens Spahn - der sei ein konservativer Rebell und burkaphob, befand die britische Zeitung.

Als Spahn morgens die Spekulation um seine Person sah, sagte er zu seinem Lebensgefährten, er sei froh, dass der "Guardian" in Deutschland nicht wahrgenommen werde. Doch die deutschen Medien griffen die News aus Großbritannien gerne auf - teils ernsthaft, teils erheitert.

Spahn, der auch gern in großen Linien denkt, weiß zugleich genau, welche Linien er lieber nicht überschreiten sollte. Dazu gehört eindeutig, dass man sich ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht als Alternative zur Kanzlerin präsentiert. Zumal Spahn zu jenen in der Partei zählt, die fest davon überzeugt sind, dass Merkel wieder antritt. Also tat er, was er sonst eher selten tut: schweigen. Über seine Zukunftsabsichten sagt er nur: "Ich mache meinen Job und schaue, wohin mich der Weg weiter führt. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich gerne gestalte. Wer das nicht möchte, ist in der Politik falsch."

Fleiß, rhetorische Treffsicherheit und Chuzpe

Spahn ist 36 Jahre alt und sitzt schon seit 14 Jahren im Bundestag. Sein Talent für Politik ist unübersehbar. Mit Fleiß, rhetorischer Treffsicherheit und einer guten Portion Chuzpe hatte er als Gesundheitspolitiker drei Wahlperioden lang auf sich aufmerksam gemacht.

Spahn, geboren 1980 in Ahaus im Kreis Borken, ist eine Mischung von CDU-Politiker, wie man sie sich vor 15 oder 20 Jahren nicht hätte vorstellen können: Er ist konservativ, katholisch und homosexuell. Er lebt in der Hauptstadt gemeinsam mit seinem Freund Daniel Funke, dem Berliner Büroleiter der Illustrierten "Bunte". Mit ihm ist er gelegentlich auch jenseits der Politik in der Welt der Stars und Sternchen zu sehen.

Als es 2013 zur Wiederauflage einer großen Koalition unter Merkel kam, hatten ihn viele auf dem Schirm für eine verantwortliche Position. Immerhin hatte er unter Beweis gestellt, dass er Pflicht und Kür, Handwerk und Provokation beherrscht. Die Kanzlerin gehörte aber nicht zu jenen, die meinten, man müsse Spahn zu Höherem berufen: Das Gesundheitsministerium, auf das sich Spahn zu Recht Hoffnung gemacht hatte, erhielt der frühere Generalsekretär Hermann Gröhe.

"Nicht aus falsch verstandener Toleranz alles hinnehmen"

Nun hätte Spahn auch einen guten Generalsekretär abgegeben. Möglicherweise wäre er in Zeiten der Flüchtlingskrise und einer immer stärker werdenden AfD im Vergleich zum konzilianten Peter Tauber sogar der Passendere gewesen. Spahn ist einer, der Politik erklären und das konservative Profil seiner Partei darstellen kann, ohne dabei selbst populistisch zu werden. Das klingt dann so: "Wir müssen selbstbewusst unsere Werte und Prinzipien vertreten und dürfen nicht aus falsch verstandener Toleranz alles hinnehmen. Wer meint, eine Frau müsse eine Burka tragen, der ist falsch in unserem Land."

Spahn ging 2013 aber leer aus. Er wurde noch nicht einmal Fraktionsvize. Das war ein Schlag für ihn. Er stellte sich neben der Gesundheits- und Sozialpolitik inhaltlich breiter auf. Er meldete sich zu Integrationsfragen und zur Homo-Ehe zur Wort. Dem Adenauer-Haus grub er das Wasser ab, indem er die "CDU 2017" gründete - eine Plattform junger Abgeordneter, die sich seit 2014 Gedanken machen, wofür die CDU künftig stehen soll. Weiterhin organisiert er die Treffen schwarz-grüner Abgeordneter.

Seine Fernsehpräsenz ist so beachtlich, dass er den Vergleich mit dem ausscheidenden CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach nicht scheuen muss. Allerdings sieht sich Spahn vor, dass seine öffentliche Wahrnehmung und sein tatsächlicher politischer Einfluss nicht allzu sehr auseinanderfallen. Daher setzte er auch viel Energie ein, sich an die Schaltstellen zu kämpfen. Beim CDU-Parteitag 2014 ließ der Westfale Spahn es für einen Platz im Präsidium auf eine Kampfkandidatur gegen den Rheinländer Gröhe ankommen.

Kontakt zu den alten Herren

Spahn hatte die Junge Union und die Senioren-Union hinter sich und gewann. Er verfügt auch sonst über Rückhalt in der Partei: Spahn hält Kontakt zu den alten Herren des legendären Andenpakts. Sie halten viel von ihm, weil er zugleich modern und konservativ ist - so wie sie sich die Zukunft der CDU vorstellten, bevor Merkel sie übernahm. Spahn ist jung genug, dass er in der Ära nach Merkel noch jede Rolle spielen kann.

Durch die nordrhein-westfälische CDU ging nach Spahns erfolgreicher Kandidatur allerdings ein tiefer Graben. Im Landtagswahlkampf sind die Reihen geschlossen. Doch sollte es der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet nicht ins Amt des Ministerpräsidenten schaffen, könnte es sein, dass viele die Zukunft der Landespartei eher bei Jens Spahn sehen.

Im Kanzleramt hat sich im Laufe dieser Wahlperiode die Erkenntnis durchgesetzt, dass man "diesen Spahn" doch besser in den Machtapparat einbinden sollte. Als im Finanzministerium der Posten eines Parlamentarischen Staatssekretärs frei wurde, war es Merkel, die Finanzminister Wolfgang Schäuble die Personalie vorgab. Der Finanzminister musste seinen agilen Staatssekretär erst schätzen lernen. "Er kann einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen, aber das gefällt mir", soll Schäuble über Spahn gesagt haben.

Der gelernte Bankkaufmann mischt sich in fast jede Debatte ein. Wenn es im CDU-Präsidium um Flüchtlingspolitik geht, wirft er sich die Bälle mit Julia Klöckner zu. Im Streit zwischen CDU und CSU um die Flüchtlingspolitik agiert er aktuell als Mittler. Rhetorisch liege man viel weiter auseinander als fachlich, lautet sein Mantra. Auch für die Wahlkampfstrategie 2017 hat er schon Pläne. Für Spahn ist klar: "Die Menschen wollen eine Wahl haben, keine Konsenssoße."

(qua)
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