Karlsruhe Das Rudel folgt der Chefin

Karlsruhe · Angela Merkel trifft mit ihrer Rede die Seele des CDU-Parteitags. Das Resultat ist ein spektakulärer Stimmungswandel: Die Delegierten unterstützen ihren Kurs fast einstimmig. Es ist auch ein Gegenmodell zur Kanzlerverhinderungspartei SPD.

Angela Merkel bekommt Stoff-Wolf beim CDU-Parteitag geschenkt
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Merkel bekommt auf Parteitag Stoff-Wolf geschenkt

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Es ist etwas passiert zwischen der CDU und Angela Merkel bei diesem Bundesparteitag in Karlsruhe. Irgendwann zwischen 10.30 Uhr und 17.11 Uhr, zwischen dem ersten Auftritt Merkels auf der Bühne und dem wichtigen Beschluss, ihre Flüchtlingspolitik bei nur zwei Gegenstimmen unter knapp tausend Delegierten mit einer also überragenden Unterstützung zu versehen. Die dahinter stehende Motivation hat sich im Laufe der Stunden gewandelt. Wie bei keinem Parteitag zuvor. Nie zuvor hat die Chefin derart unter Beschuss gestanden, nie zuvor kam es so sehr darauf an, die richtigen Worte zu finden, um mehr zu gewinnen als einen Kompromiss auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, einen, der weiter wirkt als bis zur Nationalhymne am Ende.

Am Anfang ist es noch die Kanzlerin, die durch ihr pures Erscheinen, ohne ein einziges Wort gesagt zu haben, die Delegierten aufspringen und applaudieren lässt. Das ist das demonstrative Gegenprogramm der Kanzlerpartei CDU zur Kanzlerverhinderungspartei SPD. Mögen die Genossen die Erfolgsaussichten ihres Chefs mit miesestem Wiederwahlergebnis meucheln, die Christdemokraten wissen, wen sie stärken müssen, wenn sie weiter die Nummer eins in Deutschland sein wollen.

So ist es seit 2005. Die Parteitage jubeln der Vorsitzenden zu, folgen äußerlich entspannt ihren jeweiligen Modernisierungsvorgaben. Wenn die Deutschen dieser Kanzlerin vertrauen, warum die eigene Partei nicht? Aber im tiefen Innern, in der berühmten "Seele" der Partei, da sind stets die Restzweifel geblieben. Schließlich hat sich Merkel nicht in der CDU sozialisiert, sie hat sie von außen übernommen. Die Zweifel sind mit der Flüchtlingskrise gewachsen. Und sie haben mit den konsequenten Reflexen des CSU-Chefs Horst Seehofer eine Orientierung und Nahrung gehabt.

Zehn Zitate aus Angela Merkels Rede
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So bewegen sich zwei Strömungen auf diesen Parteitag zu. An der Oberfläche die Zustimmung zum Machtfaktor Merkel, darunter aber eine breite Gegenströmung des Zweifels, ob das, was Merkel macht, noch zur Volkspartei CDU passt. Dass sie am Vorabend in den Führungsgremien die Gegenanträge weggebügelt bekommt, indem sie Fragen und Besorgnisse aufgreift, ohne die Forderung nach Begrenzung zu erfüllen - Regierungskunst. Und offenbar ist der Parteitag gewillt, sich von Merkel überreden zu lassen, ohne überzeugt zu sein.

Doch dann beginnt Merkel. Und nimmt sofort Kurs mitten auf die Seele der Partei. Zweifeln am "Wir schaffen das" stellt sie die "Identität unseres Landes" entgegen, "Großes" zu leisten, aus Trümmern heraus. Ja, es mache "uns Christdemokraten im Kern aus, zu zeigen, was in uns steckt". Und dann zieht sie einen gewaltigen Bogen: Von Adenauer, der sich nicht für "etwas" Freiheit", sondern für "die" Freiheit entschieden habe, über Ludwig Erhard, der nicht Wohlstand für viele, sondern für alle gewollt habe, bis hin zu Helmut Kohl, der "blühende Landschaften" nicht für "einige Regionen", sondern für alle neuen Bundesländer gewollt habe.

Bald darauf wirft sie den Anker in ganz große Tiefen aus, beschwört den "Gründungsmythos" der CDU, das "C" als aktuellen Kompass, die "von Gott gegebene Würde jedes einzelnen Menschen" als Selbstverständnis der Partei. Es ist der größtmögliche Abstand zur Forderung nach Obergrenzen, die innere Begründung für Merkels Entscheidung vom Februar, Syrer von der ungarischen Autobahn auf dem Weg nach Österreich in Deutschland aufzunehmen: Das sei "nicht mehr und nicht weniger als ein humanitärer Imperativ" gewesen.

Solche Passagen sind erkennbar nicht ans Volk gerichtet, solche Formulierungen zielen ins Selbstverständnis der Partei. So wie Merkel ihre Kanzlerschaft bedingungslos dem Gelingen der Flüchtlingspolitik ausliefert, baut sie diese Flüchtlingspolitik ins Fundament der Partei ein. Mehrfach spricht sie in der bei solchen Gelegenheiten seltenen Ich-Form, erwähnt Mitstreiter so wie sie sie spontan sieht und signalisiert damit, dass sie auf die Partei angewiesen ist, um Erfolg zu haben. Viele Einschränkungen hat sie inzwischen eingezogen, sie legt sich fest, die Flüchtlingsbewegung zu ordnen, zu steuern und deutlich zu reduzieren. Und sie markiert Abgrenzungen zu rot-grün-regierten Ländern, die wohl nur deshalb auf den Flüchtlingsamtschef einprügelten, um davon abzulenken, dass sie bei der konsequenten Abschiebung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten.

Zum Schluss außer Wahlkampf für die Parteifreunde in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt auch ein großer Blick in die Zukunft, die Deutschland nur verlieren könne, wenn es sich abschotte. Merkel entwirft ihre Vision für ihr Land in 25 Jahren, in dem sich die Delegierten wiederfinden - nachdem die Kanzlerin hinter der Skepsis gegenüber Flüchtlingen auch Angst vor Veränderungen aufgedeckt hat. Sie greift auf das einfache Einstein-Bild vom Leben als Fahrrad zurück: Nur wer sich nach vorne bewege, verliere nicht das Gleichgewicht. Später werden auch unbeirrbare Merkel-Gegner anerkennen, dass sie eine kluge, überzeugende Rede gehalten habe. Sie berichten von dem neuen Gefühl, dass Merkel die CDU nicht nur von oben, sondern auch von innen führe.

Neun Minuten dauert der Applaus, von Merkel selbst beendet, weil es nun "an die Arbeit" gehen müsse. Vier Stunden dauert die Arbeit. Dutzende melden sich zu Wort. Die meisten feiern die "Großrede" Merkels, schildern mutmachende Erlebnisse aus ihren Wahlkreisen. Aber 30 lassen nicht locker, sammeln sich um Innenexperte Wolfgang Bosbach, wollen mit einem Initiativantrag ein deutlicheres Signal. Armin Schuster, der frühere Bundespolizist, begründet den Versuch, die Partei auf nationale Alleingänge festzulegen. Wenn Europa nicht funktioniere, müsse man den Polizisten die Möglichkeit geben, die "geltende Rechtslage anzuwenden" und Flüchtlinge aus sicheren Ländern an der Grenze abweisen. "Vier bis fünf Monate stationäre Grenzkontrolle", schätzt Schuster, würden reichen, um danach die Freiheit des Schengen-Raumes wiederbeleben zu können.

Innenminister Thomas de Maizière widerspricht namens der Antragskommission. Vorrang solle die Absicherung der EU-Außengrenzen haben, nicht die deutsche Bedrohung der Freizügigkeit. Abstimmung. Wenige Dutzend folgen Schuster, viele Hundert Merkel. Dann die Schlussabstimmung. Fast einstimmig. Ob diese Überzeugung die Delegierten nun auch in alle Regionen tragen? Ob die EU-Lösung in Merkels Sinne funktioniert? Der Antrag lässt Merkel viel Luft, auch ganz andere Saiten aufzuziehen. Und auch dafür, vielleicht gerade dafür, hat sie nun das Vertrauen ihrer Partei.

(may-)
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