Berlin Chancenkonto der SPD im Minus

Berlin · Die Partei will jedem Erwachsenen die Möglichkeit eröffnen, sich weiterzubilden. Doch der Vorstoß ist nicht neu. Experten sind zudem skeptisch.

Es war eine der Neuigkeiten im "Zukunftsplan" der SPD, den Kanzlerkandidat Martin Schulz am vergangenen Sonntag in einer lange angekündigten und vielbeachteten Rede präsentierte: Die SPD wolle ein persönliches "Chancenkonto" für alle Arbeitnehmer einführen, das mit einem staatlichen Startguthaben ausgestattet werde, sagte der Parteivorsitzende im Willy-Brandt-Haus. Das Konto solle jedem Erwerbstätigen neue Chancen für Weiterbildung und Existenzgründungen eröffnen.

Schulz sagte zwar nicht, wie viel der Staat auf diese Konten einzahlen soll und wie genau sie funktionieren sollen, doch kundige Medienvertreter wussten, dass Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die Vorarbeiten dafür geleistet hatte. Im Ende 2016 vorgelegten Weißbuch "Arbeiten 4.0", in dem sich die Ministerin allerlei Gedanken über die Veränderung der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter gemacht hatte, findet sich die Idee bereits. Hier gibt es auch eine Vorstellung über die Höhe des Chancenkontos: Anfangs solle der Staat 5000 Euro Startkapital bereitstellen, später bis zu 20.000. Hochgerechnet auf 44 Millionen Erwerbstätige ergäben sich unvorstellbar hohe Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe. Die "Bild"-Zeitung errechnete sogar eine Summe von 800 Milliarden Euro bei 20.000 Euro pro Kopf.

Der politischen Konkurrenz von der Union fiel es daraufhin leicht, die Pläne als unfinanzierbar zu geißeln. Nahles bemühte sich in dieser Woche, die Dinge wieder geradezurücken: Beim Chancenkonto handele es sich nur "um ein virtuelles Budget, also Buchgeld auf einem Konto, welches erst bei Inanspruchnahme durch reales Geld hinterlegt wird", heißt es in einem Papier ihres Ministeriums. Kosten würden nur für tatsächliche Weiterbildungen entstehen. Wenn jeder Zehnte davon Gebrauch machen würde - und das sei eine hochgegriffene Zahl - würde eine einmalige Ziehung den Staat rund 5,1 Milliarden Euro im Jahr kosten, rechnet das Ministerium vor. Dies solle aus dem Steueraufkommen finanziert werden. "Hierfür bietet sich eine Erhöhung der Erbschaftsteuer an", heißt es.

"Berufsbilder und Anforderungen an Qualifikationen ändern sich, die Beschäftigten brauchen die Möglichkeit, darauf zu reagieren und sich vor Qualifikationsverlust zu schützen", erklärte Nahles. Die Kritik am Chancenkonto der SPD sei aus der Hüfte geschossen. "Das plakative Zusammenrechnen von Kosten ist völliger Unsinn: Das Chancenkonto bezieht sich auf das gesamte Berufsleben und wird bei Bedarf eingesetzt." Nahles hatte die Idee des Chancenkontos als Alternative zum von den Linken geforderten bedingungslosen Grundeinkommen vorgestellt. Mit dem Konto sollen Lohnausfälle bei Weiterbildung, Existenzgründung, Teilzeitphasen oder Auszeiten ausgeglichen werden.

Auf Arbeitgeberseite schrillen schon die Alarmglocken. Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist dementsprechend skeptisch. "Hier soll ein neuer Rechtsanspruch auf staatliche Leistungen geschaffen werden, dabei gibt es Förderprogramme für Weiterbildung und Gründungen schon zuhauf", kritisierte IW-Forscher Hans-Peter Klös. Weiterbildung werde in Zukunft eine größere Rolle spielen, sagte auch Klös. "Doch bitte bedarfsorientiert" und als "betriebliche Veranstaltung".

Ein ausgereiftes und in der SPD-Führung abgestimmtes Konzept, wie es die SPD zu Steuern und Rente vorgelegt hat, gibt es für das Chancenkonto bislang nicht. Die bei Nahles im Weißbuch genannten Zahlen will sich Schulz bisher nicht zu eigen machen. Wer unter welchen Bedingungen Geld vom Staat abrufen kann, lässt er offen. Ebenso die Frage, wie das Chancenkonto mit Plänen der SPD für das "Arbeitslosengeld Q" zusammenpasst, das ebenfalls für Weiterbildung gedacht ist.

Es könnte sein, dass Schulz vor der Bundestagswahl nachlegt und seine Pläne für das Chancenkonto konkretisiert. Sollte die SPD an den nächsten Koalitionsverhandlungen beteiligt sein, wird sie das Chancenkonto wohl einbringen. Aus ihrer Sicht könnte es das Herzstück einer weiteren Arbeitsmarktreform werden, die den negativen Auswirkungen der Digitalisierung vorbeugt.

(mar/qua)
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