Seltsamer Trend in Fernost Chinesen frönen skurrilem Hitler-Kult

Peking · 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs faszinieren Hitler-Deutschland und sein Militär einen Teil der chinesischen Öffentlichkeit

Eine Darstellung Hitlers im Stil der KFC-Werbung mit dem Spruch "Hitler-frittierte Bürger“.

Eine Darstellung Hitlers im Stil der KFC-Werbung mit dem Spruch "Hitler-frittierte Bürger“.

Foto: Johnny Erling

Erst bei näherem Hinschauen erkennt die deutsche Touristin entsetzt, was ihr da im chinesischen Designladen angeboten wird. Im Pekinger Kunst- und Galerienviertel 798 vermarktet das "Fantasy Utopia Studio" satirische Popart mit schrägen Sprüchen, etwa T-Shirts mit Fotos von "Maobama", der verballhornte Name aus Barack Obama und Mao Tsetung. Warum sollte da nicht auch Obernazi Adolf veralbert werden dürfen? Doch als sie sich die Mauspads, Flaschenöffner, Portemonnaies oder Handy-Schutzhüllen mit aufgedruckten Hitlerporträts genauer anguckt, ist sie dann doch geschockt. Der Führer trägt Küchenschürze nach Art von Werbeonkel Colonel Sanders, der Werbefigur für die in China verbreiteten Kettenrestaurants des US-Hähnchenbraters "Kentucky Fried Chicken" (KFC). Hitler wird zum "HFC"-Onkel gemacht. Was das heißt, steht ausgeschrieben daneben: "Hitler Fried Citizens" (Hitler-frittierte Bürger), ein böses Wortspiel zum Holocaust.

 "Mein Kampf“ in der chinesischen Version.

"Mein Kampf“ in der chinesischen Version.

Foto: Johnny Erling

Wut und Zorn über Japans Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg werden nach 70 Jahren in China weiter öffentlich geschürt. Wenn es aber um das mit Japan verbündete Hitlerdeutschland geht, verschließen Pekings Behörden ihre Augen vor der Verharmlosung des deutschen Faschismus und offener Vermarktung seiner Symbole. Es fällt nicht allzu schwer, sich in der Hauptstadt die offiziell verbotene Hitlerbiografie "Mein Kampf" zu besorgen. Die übersetzte Kampfschrift liegt bei einem der wilden Bücherstände aus, die allabendlich auf Dreiradkarren an Straßenecken stehen. Professioneller als in früheren Auflagen, ist sie mit ISBN-Nummer sowie dem Namen einer Pekinger Druckerei gedruckt und gibt die staatliche "Xinhua"-Buchladenkette als Vertriebskanal an. Die Angaben sind gefälscht. Auch ein Übersetzer "Wu Zhiren" wird genannt. Der Name ist ein Pseudonym. Mit anderen lautgleichen Schriftzeichen geschrieben, bedeutet er "ein Unbekannter".

Zwar macht sich nach Chinas Verordnungen jeder strafbar, der faschistisches Schriftgut herstellt oder vertreibt. Über das Thema Hitler, das Dritte Reich und den Faschismus darf nur aus kritischer Distanz geschrieben werden. Die Geschäftemacher mit der Nazi-Propaganda aber brauchen sich ebenso wie die Käufer nicht zu verstecken. Über das Internet werden Nazi-Schriften und -Souvenirs offen vermarktet.

Nur Japaner werden verdammt

Dabei verfügt die sozialistische Volksrepublik über die weltweit ausgefeilteste Zensur und das am schärfsten überwachte Internet. Die Cyber-Polizei schlägt zu, wenn es gegen Dissidenten, Bürgerrechtler, kritische Anwälte, oppositionelle religiöse Gruppen oder aufbegehrende Minderheiten geht. Von Razzien gegen Nazipropaganda ist dagegen nichts zu hören. Schon 2006 prangerten chinesische Medien den unkontrollierten Handel mit Kultobjekten des Dritten Reichs über Online-Anbieter wie Taobao an. "Naziprodukte, die den Faschismus verherrlichen, werden bei uns im Internet offen verkauft", schrieb empört die Zeitung "Beijing Times".

Ihre Reporter stießen unter dem Suchwort "Nazi" bei Taobao auf 862 Seiten mit Angeboten für SS-, Hetz- und Kriegspropaganda, Hitler-Briefmarken, Hakenkreuzobjekte, Orden oder Uniformen, die sich chinesische Händler aus dem Ausland besorgen. Die "Beijing Today" nannte das Online-Geschäft mit Naziutensilien eine "legale Grauzone". Im Oktober 2011 schrieb die Zeitung "Global Times" über die damals vermehrt auftauchenden "Mein Kampf"- Schwarzdrucke: "Das Manifest ist ein Bestseller auf den Straßen." Sie fragte: "Woher kommt Chinas Faszination dafür?"

Sozialwissenschaftler und Historiker versuchten sich an einer Antwort: Weder in der Öffentlichkeit noch in den Schulen Chinas werde außer der Verdammung von Japan eine ernsthafte Aufarbeitung des Faschismus betrieben. Als 2013 Pekings "Museum zum antijapanischen Widerstandskrieg" zum ersten Mal eine aus Polen übernommene Ausstellung zum Konzentrationslager Auschwitz zeigte, äußerten sich Besucher erschrocken über die "unvorstellbare Barbarei, zu der die Deutschen fähig waren". Sie hätten doch immer gehört, dass nur Japaner so grausam sein können.

Angst vor unbequemen Fragen

Die Ausstellung blieb bislang eine Ausnahme. Die Partei tabuisiert Debatten über Totalitarismus, weil sie zu rasch unbequeme Fragen zu Chinas Herrschaftssystem auslösen könnten. Die Erinnerung an Hitlerdeutschland dient vor allem als Beispiel, um Japan vorhalten zu können, wie anders die Deutschen ihre Kriegsschuld bereuten.

Gleichzeitig dulden die Behörden, dass auf Flohmärkten Hitlerbüsten verkauft werden. Dabei zieht chinesische Käufer nicht die faschistische Ideologie und deren Rassenwahn an. Das Interesse bezieht sich vor allem auf Hitlers Wehrmacht, Waffen und seine Blitzkriege. Unmerklich hat sich ein Trend zu militärischer Großmannssucht in der Gesellschaft ausgebreitet. Der von Parteichef Xi Jinping beschworene Traum einer starken Nation und eines auferstehenden China gibt dafür den Nährboden ab.

Die neue chinesische Faszination mit modernen Waffensystemen und Kriegszenarien zeigt sich auch schon an den Zeitungskiosken. Sie sind voller offiziell erscheinender militärischer Magazine und Zeitungen. Vor einem Stand im Ostbezirk der Hauptstadt wählt ein Mann Mitte 40 unter Dutzenden solcher Zeitschriften eine Hochglanzbroschüre über die deutsche Armee im Zweiten Weltkrieg aus. Das Magazin gehört zur Reihe "Shandian Chan". Auf ihr steht "Blitz". Die Zeitschriften verherrlichen Hitlers Blitzkriege, die Wehrmacht und SS.

Sie tragen deutsche Wörter auf ihren Titeln wie "Das Reich", "Edelweiß" oder "Großdeutscher Reichskriegertag". Der übersetzte Inhalt entstammt einschlägigen Magazinen aus dem Ausland. Der Kunde kaufte sich eine Ausgabe mit dem Schwerpunkt "deutsche automatische Gewehre". Er lese gerne Militärisches: "Nur wenn China stark ist, kann uns niemand mehr unterdrücken." Warum er sich ausgerechnet diese Nazi-Glorifizierung kaufe? "Die Deutschen haben es allen gezeigt. Jeder hatte Respekt vor ihnen."

(RP)
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