Analyse Christen üben muslimische Tradition

Berlin · Immer mehr Politiker und hochrangige Vertreter der katholischen, evangelischen und jüdischen Religion nehmen am traditionellen Fastenbrechen der islamischen Gemeinschaften teil. Nun laden sie auch selbst dazu ein.

Während des islamischen Fastenmonats Ramadan gehört es auch für christliche Politiker in Deutschland schon seit Jahren zum guten Ton, Einladungen zur Begegnung beim allabendlichen islamischen Fastenbrechen anzunehmen. Doch in diesem Jahr geben sich die Spitzenpolitiker bei den Muslimen nicht nur die Klinke in die Hand, sie laden inzwischen auch selbst zum Fastenbrechen ein, obwohl sie selbst gar nicht fasten. Und für erhebliche interne Unruhe hat das Erzbistum Berlin gesorgt, als es nun ebenfalls selbst zum Fastenbrechen von Muslimen und Katholiken in die Katholische Akademie bat.

Zwar kennt auch die christliche Tradition das Fastenbrechen nach der Fastenzeit zum Osterfest. Doch bisher wurde nicht bekannt, dass Muslime auch zur christlichen Osterfeier eingeladen wurden oder gar Moscheegemeinden ihrerseits zum Osterfest luden.

Umgekehrt ist die Praxis nun jedoch von höchster Regierungsstelle tatkräftig unterstützt worden. Als die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özuguz (SPD), zum Fastenbrechen ins Gästehaus des Auswärtigen Amtes bat, waren unter den rund 40 Gästen Spitzenvertreter von Muslimen, Katholiken, Protestanten und Juden sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie griff bei dieser Gelegenheit angesichts von vier Millionen Muslimen, die zuallermeist rechtschaffene und verfassungstreue Bürger seien, den vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) geprägten Satz auf und sagte: "Es ist offenkundig, dass der Islam inzwischen unzweifelhaft zu Deutschland gehört."

Sie nutzte die Gelegenheit allerdings auch, um erneut auf die Anschläge islamistischer Terroristen zu verweisen. "Angesichts solcher Untaten fragen sich viele Menschen, warum diese Mörder den Wert eines Menschenlebens so gering schätzen und ihre Morde stets mit ihrem Glauben verbinden", betonte Merkel und erinnerte daran, dass sie nach den Anschlägen im Januar in Paris den Wunsch geäußert hatte, die Geistlichkeit des Islam möge diese Fragen klären. Merkel wiederholte ihr Anliegen, vor dem man nicht mehr ausweichen könne, "weil wir uns auch von denen nicht spalten lassen, die angesichts des islamistischen Terrors Muslime in Deutschland unter Generalverdacht stellen".

Landauf landab ist mit den vielen christlichen Beteiligungen am muslimischen Fastenbrechen vor allem die Botschaft verbunden, ein "Zeichen der Integration und des friedlichen Miteinanders" zu setzen, wie es der für Religion zuständige Unionsfraktionsvize Franz Josef Jung im Gespräch mit unserer Zeitung ausdrückt. Die Beteiligung von Personen des öffentlichen Lebens und der christlichen Kirchen hat auch nach seinem Eindruck "stark zugenommen". Und er hält es für "nachvollziehbar", dass muslimische Gemeinden mit der Einladung zum Fastenbrechen auch schlicht "Danke" sagen wollten, wenn sie neben ihren religiösen Aufgaben auch Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben übernähmen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) lobte beim Fastenbrechen in einer Berliner Moschee den "Geist der Offenheit", der von der offenen Tür für Nicht-Muslime ausgehe. Er betonte, dass Muslime ein "wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft" seien und es falsch sei, zwischen "wir Muslime" und "ihr Deutschen" zu unterscheiden.

Einladungen zum Fastenbrechen durch Städte, Parteien und Landesregierungen unterscheiden sich kaum von gewöhnlichen Empfängen, bei denen edle Speisen auf den Tisch kommen - allenfalls durch die Uhrzeit. Da strenggläubige Muslime während des Ramadan zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang fasten, beginnt das spezielle Dinner zumeist erst nach 21.30 Uhr.

Genauer ist da das Erzbistum Berlin, das den Start des gemeinsamen Fastenbrechens von Muslimen und Katholiken auf Einladung der Kirche für "21.28 Uhr" angibt. Doch zuvor beginnen bereits ein Vortrag über islamische Seelsorge in Deutschland, eine Koran-Rezitation und ein Tischgebet. Vera Krause, die Leiterin der bischöflichen Stabsstelle für interreligiösen Dialog, räumt ein, dass es kirchenintern auch die Kritik gebe, dass das Erzbistum zur Pflege muslimischen Brauchtums einlade. Für sie sei der Schritt allerdings "überfällig in einer religiös vielfältigen Stadt".

Berlin wäre nicht Berlin, wenn nicht auch weitere Stellen mit der religiösen Vielfältigkeit experimentieren würden. So nutzten die städtischen Bäderbetriebe die offenbar steigende Attraktivität des Fastenbrechens als Test für ein Geschäftsmodell: Grillen neben dem Pool nebst Mitternachtsschwimmen - was im Rest des Jahres strikt verboten ist, wurde nun als Einladung zum Fastenbrechen zu einem Spezialangebot zur Optimierung der Besucherzahlen, und zwar muslimischer wie nicht-muslimischer. Auch die Industrie hat den Trend des Fastenbrechens entdeckt und ähnlich dem Adventskalender vor Weihnachten nun auch einen Ramadan-Kalender zum Iftar-Fest herausgebracht.

Es sei doch "eine schöne Entwicklung, wenn das Interesse an religiösen Gebräuchen und Zeremonien wächst", meint der katholische Publizist Martin Lohmann - freilich mit süffisantem Unterton. Jedenfalls hoffe er, dass es sich um ein "echtes und ehrliches Interesse" handele, das sich ebenso offen und ehrlich für christliche Traditionen zeige. "Frau Merkel und andere könnten doch bitte auch gerne mal an der Fronleichnamsprozession teilnehmen oder im Rosenkranzmonat an den regelmäßig stattfindenden Marien-Andachten", sagt Lohmann unserer Zeitung. Je mehr "unverklebtes, also vorurteilsfreies Interesse an den Menschen und ihrer Treue zu Gott" wachse, desto besser sei es für die Gesellschaft. Toleranz sei nie eine Einbahnstraße.

(may-)
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