Persönlich Christo . . . bekommt eine staatstragende Auszeichnung

Ein bisschen schmunzeln darf man schon darüber, dass der US-Künstler Christo mit dem Theodor-Heuss-Preis geehrt wird – mit einer Auszeichnung, die doch eher einen staatstragenden Charakter hat. Nun ist der aus Bulgarien stammende Christo weder ein Revoluzzer noch ein Bürgerschreck, doch atmet seine Kunst der Verhüllung immer auch etwas Subversives. Vielleicht war Helmut Kohl auch darum ein entschiedener Gegner der spektakulären Reichstags-Verhüllung.

Der Künstler hat gemeinsam mit seiner 2009 verstorbenen Frau Jeanne-Claude schon viele Projekte des Wrappings in aller Welt realisiert: ein Küstenstreifen Australiens beispielsweise, die Pont Neuf in Paris und elf Inseln vor Miami. Doch keine Verhüllung ist historisch und politisch derart aufgeladen gewesen wie jene in Berlin. Verhüllten Christos Stoffe etwa deutsche Geschichte? Und wurde da etwas ästhetisch nur aufgehübscht und zur Kunst erhoben, was eigentlich der inhaltlichen, politischen Auseinandersetzung bedurfte? Solche Fragen sind nicht kunst-feindlich, solange sie der Beginn einer Annäherung und nicht ein finales Verdikt sind.

Und gerade diese Annäherungen hat es 1995 tausendfach mit den vielen Besuchern in Berlin gegeben. Noch heute dokumentieren die Fotos von Menschen, die auf der Wiese vor dem Reichstag Sonne und Kunst genießen, eine Gelassenheit, der man fünf Jahre nach der Wiedervereinigung noch arg misstraute. Christo und Jeanne-Claude hatten ausgerechnet mit der Verhüllung den behutsamen Blick auf eine versöhnliche Zukunft Deutschlands geöffnet. Das dürfte damals kaum jemand so erkannt haben.

Der verhüllte Reichstag ist zur Vision geworden, einer deutschen Vision. Schön, dass Christo mit einem staatstragenden Preis im Namen von Theodor Heuss, des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik, geehrt wird.

(RP)
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