Chronik der Kreuzfahrt-Katastrophe

Rund zwei Wochen nach der Havarie der "Costa Concordia" vor der toskanischen Küste kommen immer noch neue Details ans Licht. Telefonate von Kapitän Francesco Schettino, der von Bord geflohen war, wurden in der Haft abgehört. Die Reederei ist zu Entschädigungszahlungen bereit.

Giglio 100 Jahre nach dem Untergang der "Titanic" avancierte die Havarie des Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" vor der toskanischen Küste zu einer neuen großen Schifffahrts-Katastrophe. Eine Chronik:

Freitag, 13. Januar, 19 Uhr Die "Concordia" läuft aus dem Hafen Civitavecchia Richtung Savona aus. An Bord sind mehr als 4200 Menschen, darunter etwa 1000 Mitglieder der Besatzung. Die See ist ruhig.

19.30 Uhr Kapitän Francesco Schettino steuert das 290 Meter lange Schiff an die Insel Giglio heran. Er will mit einer "Verneigung", einem Manöver mit Sirene, Ex-Kapitän Mario Palombo grüßen, der auf Giglio lebt. Auf der Brücke sollen sich zudem Costa-Hostess Domnica Cemortan und Koch Antonio Tievoli befinden, der auf Giglio geboren wurde und seine Schwester mit der "Verneigung" grüßen lassen will.

21.45 Uhr Die Passagiere genießen das Abendleben auf dem Schiff. Die "Concordia" gleitet mit 15 Knoten, 28 Kilometern pro Stunde, durch das ruhige Wasser – dann ertönt ein lauter Knall: Ein unter Wasser liegender Fels hat den Rumpf auf einer Länge von 70 Metern aufgeschlitzt.

21.49 Uhr Auf dem Schiff fällt das Licht aus, dann der Strom. Die Passagiere sind verunsichert, die Crew spricht von einem "technischen Defekt" – der Maschinenraum ist bereits überflutet. Das Schiff beginnt sich zu neigen. Die Hafenaufsicht ruft Schettino an: "Ist alles okay?" "Positiv. Wir haben nur eine kleine technische Störung", wiegelt der Kapitän ab. Auf die Frage, wie viele Menschen an Bord seien, antwortet der 52-Jährige: "200, 300. Ich gehe zur Brücke, um nachzuschauen."

22.12 Uhr Der Neigungswinkel des Kreuzfahrtschiffes beträgt bereits 20 Grad, er fährt aber weiter Richtung Küste. Auf der Brücke fordert Roberto Bosio, ein Kapitän, der als Gast auf der "Concordia" ist, die Evakuierung.

22.44 Uhr Die "Concordia" kentert nahe des Hafenbeckens von Giglio.

22.48 Uhr Als das Evakuierungssignal ertönt, bricht unter den Passagieren Panik aus, die Besatzung ist mit der Rettung so vieler Menschen überfordert.

23.36 Uhr Kapitän Schettino verlässt das sinkende Schiff – er habe Passagieren beim Einsteigen in ein Rettungsboot helfen wollen, sei dabei gestolpert und selbst in das Boot gefallen, sagt er später.

Samstag, 14. Januar, 0.30 Uhr Schettino wird an Land gesichtet.

0.42 Uhr Gregorio de Falco von der Hafenaufsicht ruft Schettino auf dem Handy an, da dieser nicht an das Telefon auf der Brücke gegangen war: "Sind Sie an Bord?", wird der Kapitän gefragt. "Nein, ich bin nicht an Bord, weil das Schiff untergeht."

1.46 Uhr Erneuter Anruf von der Hafenaufsicht: "Kapitän – Höflichkeit beiseite: Gehen Sie an Bord. Das ist ein Befehl. Es gibt schon Tote." Schettino: "Wie viele?" De Falco: "Das sollten Sie mir sagen!"

3.05 Uhr Die Hafenpolizei meldet, es gebe fünf Verletzte und drei Tote.

4.45 Uhr Das Schiff ist evakuiert.

11.45 Uhr Schettino gibt ein Interview, bei dem auch eine Frau anwesend ist, der der Kapitän angeblich einen Laptop übergeben haben soll.

11.55 Uhr 4179 Gerettete werden an Land registriert, 53 Menschen werden vermisst, 60 sind verletzt, drei tot. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Schettino, der am Nachmittag festgenommen und verhört wird.

16.14 Uhr Aus der Untersuchungshaft ruft der Kapitän per Handy Freunde und Verwandte an – was er nicht weiß: Das Zimmer, in dem er sitzt, ist komplett verwanzt. Der Kapitän klagt die Reederei an: Diese habe ihn gedrängt, so nah an der Küste vorbeizufahren. "Die sind mir auf den Sack gegangen. Fahr' dort vorbei, fahr' dort vorbei."

Sonntag, 15. Januar Am Morgen werden ein Paar aus Südkorea und ein Besatzungsmitglied gerettet. Die Reederei gibt dem inhaftierten Schettino die Schuld am Unglück.

Montag, 16. Januar Früh morgens wird eine sechste Leiche an Bord gefunden. 36 Menschen werden noch vermisst. Der Vorstandsvorsitzende der Reederei, Pier Luigi Foschi, räumt ein, dass die "Concordia" öfter nah an Küsten vorbeigefahren sei, um die Gäste zu beeindrucken. Sie sei der Küste aber nie näher als 500 Meter gekommen. Ein Schiff dieser Größe sollte jedoch mindestens vier Kilometer Abstand halten.

Dienstag, 17. Januar Taucher entdecken im Wrack fünf Leichen, die Zahl der Opfer erhöht sich auf elf. Schettino erscheint zur ersten Anhörung im Untersuchungsgericht.

Mittwoch, 18. Januar Die Suche nach Vermissten wird unterbrochen – das auf der Seite liegende Wrack droht in tiefes Wasser abzurutschen.

Donnerstag, 19. Januar Die Rettungsaktionen werden fortgesetzt. Derweil kommt heraus, dass die "Concordia" bereits am 14. August 2011 nur 230 Meter an der Küste vorbeigefahren ist. Costa-Hostess Domnica Cemortan erzählt, Kapitän Schettino sei ein Held – er habe bei der Rettung geholfen.

Freitag, 20. Januar Die Suche wird erneut unterbrochen, da sich das Wrack bewegt hat.

Samstag, 21. Januar Opfer Nummer zwölf wird gefunden.

Sonntag, 22. Januar Eine der Toten wird als Deutsche identifiziert, eine weitere Leiche auf Deck sieben entdeckt. Die Zahl der Opfer steigt damit auf 13.

Montag, 23. Januar Taucher finden zwei weitere Toten, die Zahl der Opfer erhöht sich auf 15. Ein Drogentest, dem sich Schettino freiwillig unterzogen hat, fällt negativ aus.

Dienstag, 24. Januar Die Bergungsfirmen Neri und Smits wollen die 2300 Tonnen Schweröl aus dem Wrack pumpen, da ein Auslaufen das Naturschutzgebiet am toskanischen Archipel schädigen könnte. Das Öl, das bei kühlen Temperaturen zähflüssig wird, muss auf bis zu 50 Grad Celsius erwärmt werden. Schlechtes Wetter verhindert einen Start der Arbeiten und unterbricht die Rettungsaktion, in deren Verlauf das 16. Opfer gefunden worden war.

Mittwoch, 25. Januar Die Telefonmitschnitte aus Schettinos Zelle werden veröffentlicht. Darunter auch folgende Passage: "Als ich gesehen habe, dass sich das Schiff neigte, habe ich mich heruntergestürzt." Die Suche nach Opfern geht weiter. Eine Vermisstenmeldung aus Ungarn erweist sich als falsch: Das Außenministerium erklärt, eine Familie habe "die Daten einer vor drei Jahren gestorbenen Person missbraucht".

Donnerstag, 26. Januar Die Costa-Reederei widerspricht Schettino: Sie habe nicht verlangt, dass er so nah an der Insel Giglio vorbeifahre.

Freitag, 27. Januar Die Costa-Reederei kündigt Entschädigungen an: 11 000 Euro pro Passagier für verlorenes Gepäck oder erlittene Traumata sowie 3000 Euro für den Reisepreis und Rückreisekosten.

Heute Das Schweröl soll bei gutem Wetter abgepumpt werden. Mehr als 20 Personen werden noch vermisst, darunter acht Deutsche.

Internet Bilder aus dem Wrack unter www.rp-online.de/panorama

(RP)
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