Detroit Comeback-City Detroit

Detroit · In der Industriemetropole ging es jahrzehntelang nur bergab. Nun entdecken junge Amerikaner die Stadt als Experimentierfeld.

Wer die Achterbahnfahrt Detroits verstehen will, muss zu John J. George gehen. Wo der Fremde nur trübe, triste Straßenzüge mit vereinzelten Lichtblicken sieht, sieht der Lokalmatador am Lenkrad seines Geländewagens untrügliche Zeichen des Aufschwungs. Alles nur eine Frage der Perspektive. Das Desaster, das sich für alle Welt mit dem Namen Detroit verbindet? "Es hätte viel schlimmer kommen können", sagt der ehemalige Versicherungsmakler. "Dann würden wir jetzt durch die Wildnis holpern."

Der klobige Dreistöcker neben der Reifenbude an der Lahser Road war mal ein Freimaurertempel, gerade so vor der Abrissbirne gerettet. Heute dient er als Gemeindezentrum. "Ratten, Tauben und streunende Katzen, das war alles, was wir dort fanden", sagt George über den Tag, als seine Motor City Blight Busters die Ruine für einen Dollar ersteigerten. Das Kino mit dem neonrot flackernden Namen Redford gäbe es längst nicht mehr, hätte die Freiwilligentruppe nicht eingegriffen. Nun hat Mike Duggan, Detroits Bürgermeister, sogar seine jährliche Rede zur Lage der Stadt im Redford gehalten, es war wie ein Ritterschlag. Irgendwann im Laufe der Fahrt gewinnt man den Eindruck, dass Brightmoor ohne die Blight Busters nicht mehr Brightmoor wäre, sondern eine Art Atlantis, nicht im Meer versunken, wohl aber aufgegeben.

Rund fünfzigtausend Menschen lebten zur besten Zeit in dem Viertel, das mit dem Boom der Autoindustrie im Nordwesten Detroits entstand. Nach der aktuellsten Zählung sind es noch 23.000. Egal, John J. George spricht pausenlos von "opportunities" - von Chancen für Leute, die kapierten, vor welchem Comeback diese Stadt stehe.

Mit seiner schwangeren Frau und seinem Sohn hatte er gerade ein Einfamilienhaus bezogen, da begannen Drogenjunkies in einem leeren Gebäude nebenan wilde Partys zu feiern. Morgens fand er Kanülen, leere Flaschen, Müll. Statt wegzuziehen, kaufte George Sperrholzplatten, die er vor die Türen und Fensterhöhlen des Nachbarhauses nagelte. Als zwei kräftig gebaute Männer erschienen und fragten, was er da mache, fürchtete er schon, nun bekomme er es mit der Drogenbande zu tun. Dabei handelte es sich um junge Väter, die wie er entschlossen waren, das Viertel vor dem Absturz zu retten. Daraus entstanden 1988 die Blight Busters.

Blight, vielleicht am ehesten zu übersetzen mit Schandfleck, ist das Schlüsselwort der Krise. Daher Blight Busters, die Schandfleckbeseitiger. An die 400 vergammelte Bruchbuden haben sie, nur mit Vorschlaghämmern und Muskelkraft, niedergerissen. Nun schickt Duggan, ein Krankenhaussanierer, den die Detroiter vor zwei Jahren wegen seiner zupackenden Art an die Spitze eines Rathauses wählten, das lange im Zeichen von Korruption und Misswirtschaft gestanden hatte, Abrisskommandos mit Baggern, um das Tempo zu forcieren. "Wir haben die Stellung gehalten, jetzt reitet die Kavallerie ein", sagt George. Dann aber fährt Gordon Soderberg, Georges rechte Hand, dem Optimisten mit ein paar trockenen Sätzen in die Parade. Soderberg kennt sich aus mit Katastropheneinsätzen, nach dem Hurrikan Katrina half er in New Orleans, nach dem Erdbeben 2010 in Haiti. Er will Kriegsveteranen nach Brightmoor holen, damit sie hier fürs nächste Desaster üben können. Detroit, sagt Soderberg, erinnere ihn an New Orleans, nachdem dort die Uferdämme gebrochen waren. George dagegen hat es schon immer verstanden, den Silberstreif zu beschwören. Als Brandstifter in der Devil's Night, der Teufelsnacht vor Halloween, reihenweise Häuser abfackelten, organisierte er Patrouillen, um ihnen das Handwerk zu legen. Die Teufelsnacht nannte er kurzerhand in Engelsnacht um. Angel's Night.

Dass es noch immer ziemlich trostlos aussieht in Brightmoor, hat mit der Größe der Motor City zu tun. Es begann damit, dass die Autowerke vergleichsweise gute Löhne zahlten, starke Gewerkschaften für ordentliche Abschlüsse kämpften und Detroit sich rühmte, die Wiege der Mittelklasse zu sein. Wer bei Ford am Fließband stand, konnte sich ein Eigenheim leisten. Daraus wuchs eine Stadt, auf deren Fläche sich Boston, Manhattan und San Francisco zu dritt unterbringen ließen. 1950 hatte Detroit 1,8 Millionen Einwohner. Nach schweren Rassenunruhen 1967 traten die weißen Mittelschichtenfamilien die Flucht in die Vororte an; mittlerweile ist die Bevölkerung auf 680.000 geschrumpft. Mit über 18 Milliarden Dollar hoffnungslos überschuldet, meldete Detroit im Juli 2013 den größten Bankrott der amerikanischen Kommunalgeschichte an. Ende 2014 hat man nach der Einigung mit den Gläubigern und einer radikalen Kürzung der Pensionsansprüche das Insolvenzverfahren abgeschlossen. Seit Duggan in der City Hall regiert, sind vierzigtausend kaputte Straßenlaternen repariert worden. Statt wie früher eine Stunde dauert es im Schnitt nur noch 20 Minuten, bis nach einem Notruf die Polizei erscheint. Vor allem aber entdecken junge Amerikaner die Stadt für sich, als eine Art Experimentierfeld, auf dem man sich austoben kann. "Sind die Ruinen erst weg, fühlst du dich wie ein Künstler vor einer weißen Leinwand. Dann sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt", sagt Stacey Malasky.

Malasky bedruckt T-Shirts, ihre Firma heißt Ocelot, wie die Raubkatze, von der sich der Maler Salvador Dalí ein Exemplar als Haustier hielt. Dalí mit hochgezwirbeltem Schnurrbart, ein Ozelot als Maskottchen, es ist das Firmenlogo. Die Maschinen sind ausnahmslos recycelt, in einem Nebenraum schläft ihr kleiner Sohn Leo. In Salisbury, im Ostküstenstaat Maryland, hängte die Grafikdesignerin ihren Job bei einer Zeitung an den Nagel und ging mit ihrem Mann Patrick nach Detroit. Die Vier-Zimmer-Wohnung, die beide erwarben, hätte in der alten Heimat locker das Vierfache gekostet. Aber dass nun alle von der "Comeback City" reden, hält Malasky für übertrieben. "Erst war Detroit die Stadt der Ruinen, jetzt ist es die Stadt der großen Wiedererfindung. Das klingt mir beides zu plakativ." Gegenden, in denen junge Zuzügler die Gentrifizierung vorantreiben, stehen anderen gegenüber, in denen es aussieht wie nach einem Krieg.

Sal Bono (33) träumt von einem neuen Silicon Valley. Bono sitzt in der Kneipe Cliff Bell's und erklärt Unternehmensgründern, zumeist Frauen, wie man eine Website baut oder sich Facebook und Instagram zunutze macht, um zu werben. Die Idee für solche lockeren Lehrstunden kam vom Build Institute, einer Initiative, die Selbstständige berät und mit Minikrediten hilft. Für Bono schließt sich der Kreis: In Detroit geboren, ging er mit 18 nach Los Angeles. Schauspieler wollte er werden, er landete im Silicon Valley bei Apple. Vor drei Jahren zog er zurück in den Mittleren Westen. In Kalifornien, sagt er, seien zu viele Pfade schon zu ausgetreten. Wer wirklich gegen den Strich denken wolle, der sei in Detroit gerade richtig.

(RP)
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