Berlin/Kreuth Attentat heizt Diskussion um Sicherheit an

Berlin/Kreuth · In der Regierungskoalition droht neuer Streit. Die CSU will das umstrittene Thema Vorratsdatenspeicherung wieder vorantreiben.

CSU will das Thema Vorratsdatenspeicherung wieder vorantreiben
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Am Tag eins nach dem Anschlag von Paris stellte sich in der deutschen Innenpolitik ein, was man gemeinhin als "politischen Reflex" bezeichnet: Die unvermeidlichen Reaktionen auf den brutalen Terrorakt zeigten sich in einer neu aufkeimenden Debatte um die innere Sicherheit und in der Auseinandersetzung mit der islamfeindlichen Bewegung "Pegida".

Empörung löste eine Äußerung des stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland aus, der in dem Anschlag von Paris eine Rechtfertigung für die deutsche "Pegida"-Bewegung sieht: "All diejenigen, die bisher die Sorgen vieler Menschen vor einer drohenden Gefahr durch den Islamismus ignoriert oder verlacht haben, werden durch diese Bluttat Lügen gestraft." SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warf Gauland "politische Hetze" und "politische Brandstiftung" vor. Die AfD ist in der Frage der Beurteilung des Anschlags, wie in vielen anderen Fragen auch, zerstritten. AfD-Chef Bernd Lucke sagte das Gegenteil von Gauland: Er mahnte, man dürfe nicht die Gewalttat zweier Extremisten einer ganzen Religionsgemeinschaft anlasten, deren Großteil aus friedliebenden, unbescholtenen Menschen bestehe.

Die "Pegida"-Bewegung wiederum sieht sich ebenfalls durch die Anschläge bestätigt. Auf ihrer Facebook-Seite schreiben die Anhänger: "Die Islamisten, vor denen ,Pegida' seit nunmehr zwölf Wochen warnt, haben heute in Frankreich gezeigt, dass sie eben nicht demokratiefähig sind, sondern auf Gewalt und Tod als Lösung setzen!" Weiter heißt es dort: "Unsere Politiker wollen uns aber das Gegenteil glauben machen. Muss eine solche Tragödie etwa erst in Deutschland passieren?"

Als wenig geschmackssicher erwies sich die CDU-Politikerin Erika Steinbach. Nach dem Anschlag verbreitete sie beim Kurznachrichtendienst Twitter: "Nur katholische Kirche kritisieren, sonst lebensgefährlich", versehen mit einem zwinkernden Smiley. Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung los. Ihr wurde Verunglimpfung von Verstorbenen vorgeworfen. Steinbach selbst reagierte gewohnt selbstbewusst auf die Anwürfe gegen sie: Bei solch grausamen Taten helfe nur Ironie, twitterte sie. "Meinungsfreiheit mag nicht jeder, wenn es nicht die eigene ist."

Der Anschlag von Paris wird vielfach als das "9/11" für die Meinungsfreiheit bezeichnet. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA waren auch in Deutschland viele Sicherheitsvorschriften verschärft worden. Die CSU stieß gestern die Debatte für Deutschland an. Bei der Klausurtagung ihrer Landesgruppe in Wildbad Kreuth stellten die Christsozialen das Programm um und verabschiedeten gleich am Morgen ein über Nacht ausgearbeitetes Programm zur inneren Sicherheit.

Das zwischen Union und SPD umstrittene Thema der Vorratsdatenspeicherung soll nach dem Willen der CSU wieder oben auf die Agenda gestellt werden. Scharf begründete Rechtsexperte Norbert Geis das Verlangen, dass die Sicherheitsbehörden Telefon- und Computerdaten zur Terrorabwehr über einen längeren Zeitraum speichern dürfen: "Wer immer noch vom Angriff auf den Datenschutz fabuliert, hat den Ernst der Lage nicht begriffen." Es dürften nicht die Daten von Terroristen und Verbrechern geschützt werden, es gehe um den Schutz der Bürger.

Die CSU will Doppelstaatlern, die die Terrororganisation "Islamischer Staat" unterstützen, die Staatsbürgerschaft entziehen, Werbung für Terrorvereinigungen leichter bestrafen und die Freiheitsstrafen für die Vorbereitungen von Anschlägen und Nichtbeachten von Vereinsverboten ausweiten. Die Verpflichtung, gegen Menschen vorzugehen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören und von Deutschland aus einen Angriff vorbereiten, müsse im Strafgesetzbuch an die Realitäten des Jahres 2015 angepasst werden. Heute will die CSU ihre Anliegen mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) besprechen.

SPD-Fraktionschef Oppermann wies die Forderungen der CSU prompt zurück. "Wir dürfen keine Panik verbreiten. Das wollen die Terroristen, dass wir alle in Angst und Schrecken in wilden Debatten übereinander herfallen." Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Eva Högl, warnte vor "sicherheitspolitischem Aktionismus". Handlungsbedarf sieht sie nicht. "Die Gefahr von gewaltbereiten Extremisten, die aus den Kriegsgebieten nach Deutschland zurückkehren, ist bekannt. Unsere Sicherheitsbehörden sind hier sehr wachsam." Auch Innen-Staatssekretär Günter Krings (CDU) zeigte sich eher zurückhaltend: "Die Vorratsdatenspeicherung bleibt für uns ein wichtiges Thema." Der Tag nach dem Anschlag sei aber nicht der richtige Zeitpunkt, die Debatte neu zu führen.

(may-, qua)
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