Parteitag Dämpfer für neue SPD-Chefin Nahles

Wiesbaden · Andreas Nahles ist mit nur 66 Prozent zur ersten weiblichen Vorsitzenden der Sozialdemokraten gewählt worden. Der Wiesbadener Wahlparteitag zeigte eine tief gespaltene Partei.

Andrea Nahles - Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion
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Andrea Nahles ist mit nur 66 Prozent zur ersten weiblichen Vorsitzenden der Sozialdemokraten gewählt worden. Auf dem Wiesbadener Parteitag zeigte sich die SPD tief gespalten.

Erstmals in ihrer 155-jährigen Geschichte wird die SPD von einer Frau geführt. Die rund 600 Delegierten wählten beim Parteitag in Wiesbaden Andrea Nahles zur neuen Vorsitzenden. Mit nur 66 Prozent Zustimmung bekam sie gestern jedoch das zweitschlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit. Ihre Gegenkandidatin, Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange, konnte immerhin 172 Stimmen für sich gewinnen. Nach ihrer Niederlage kündigte sie an, sich an der schon so oft ausgerufenen Erneuerung der Sozialdemokraten konstruktiv zu beteiligen.

In ihrer Bewerbungsrede schwor Nahles die Partei auf mehrjährige Debatten ein. Sie werde beweisen, dass der Erneuerungsprozess trotz Regierungsbeteiligung möglich sei. Das war einer der wesentlichen Kritikpunkte von Gegnern der großen Koalition gewesen. Nahles zeigte sich offen für eine Debatte über das umstrittene Hartz-IV-System. Sie forderte die Genossen jedoch auf, die Diskussion nicht mit Blick auf das Jahr 2010, sondern auf 2020 zu führen. Solidarität müsse wieder zum Antrieb der SPD werden, sagte Nahles - mit dem Ziel von mehr Gerechtigkeit. Globale Internetkonzerne müssten ebenso Steuern abführen wie kleine Einzelhändler.

Im Leitantrag des Parteivorstands wurden Forderungen nach einer Vermögensteuer auch auf Drängen der Jugendorganisation Jusos kurz vor dem Parteitag noch verschärft. "Eine gerechtere Lohnentwicklung und die Besteuerung von Erbschaften und Vermögen müssen dieser Entwicklung endlich etwas entgegensetzen", heißt es darin.

Mit Blick auf Russland forderte Nahles eine stärkere diplomatische Offensive. In der Partei gibt es Unmut über die harschen Töne des neuen Bundesaußenministers Heiko Maas (SPD) gegenüber Moskau. In der Europa-Debatte innerhalb der Union kündigte Nahles eine Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Europa-Reformprogramms "Buchstabe für Buchstabe" an.

Der gescheiterte Kanzlerkandidat und vorherige SPD-Chef Martin Schulz wurde beim Parteitag versöhnlich verabschiedet. Er scheide ohne Zorn und Bitterkeit, sagte Schulz. Zugleich forderte er die Delegierten auf, Andrea Nahles den Rücken zu stärken.

Dabei ist der deutliche Dämpfer für Nahles Ausdruck einer tief gespaltenen Partei. Herausfordererin Lange stellte die Debatte um Hartz IV in den Mittelpunkt ihrer Rede. Während Spitzen-Sozialdemokraten seit Jahren die Notwendigkeit des Förderns und Forderns betonten, entschuldigte sich Lange bei Aufstockern, die trotz Vollzeitarbeit Hartz-IV-Leistungen benötigen. Die in der SPD emotional geführte Diskussion über die Agenda-Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder sei keine "Vergangenheitsdebatte", denn Hartz IV sei für Millionen Menschen Alltag, sagte Lange. Die SPD habe in Kauf genommen, dass heute Menschen arm seien, obwohl sie Arbeit hätten. "Und dafür möchte ich mich bei den Menschen, die es betrifft, entschuldigen."

SPD-Vize-Chefin Malu Dreyer sieht trotz des schwachen Wahlergebnisses genug Vertrauen für Nahles als neue Parteichefin. "Ich bin überzeugt, dass Andrea Nahles genug Rückenwind hat. Auf dieser Grundlage kann sie sehr gut arbeiten", sagte Dreyer unserer Redaktion. Es sei ein großer Trugschluss, dass Aufbruch ein unbekanntes Gesicht voraussetze. Nahles war zuvor unter anderem stellvertretende SPD-Vorsitzende, Generalsekretärin und Bundesarbeitsministerin.

(jd/qua)
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