Berlin "Das Erbe des Holocaust ist deutsche Leitkultur"

Berlin · Der Innenminister hat eine Debatte angestoßen, was Deutschland ausmacht. Für den Soziologen Koopmans gehört dazu auch die NS-Zeit.

Der Streit um den Begriff Leitkultur und die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) veröffentlichten Thesen geht weiter. Der niederländische Soziologe und Integrationsforscher Ruud Koopmans bezeichnete die Debatte in der "Welt" als notwendig: Jedes Land der Erde brauche eine Leitkultur, "und die stabilen Staaten haben auch alle eine nationale Kultur". Leider beanspruchten die Gegner die moralische Deutungshoheit und könnten Befürworter erfolgreich "entweder als rechts abwerten oder lächerlich machen".

Um das aufzubrechen, sei de Maizières Vorstoß begrüßenswert. Etwas "ganz spezifisch Deutsches" ist aus seiner Sicht der Umgang mit der Vergangenheit: "Das historische Erbe des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, das ist deutsche Leitkultur." Man könne "nicht deutsch sein, ohne sich für den Holocaust zu schämen". Es gebe Einwanderer, die als Deutsche behandelt werden wollten, aber mit dem Holocaust nichts zu tun haben wollten, weil ja nicht ihre Vorfahren Täter gewesen seien. Das sei eine falsche Haltung: "Wenn sie sich antisemitisch äußern oder Israel das Existenzrecht absprechen, können sie nicht gleichzeitig beanspruchen, als Deutsche behandelt zu werden."

De Maizière hatte einen Zehn-Punkte-Katalog zur deutschen Leitkultur veröffentlicht. Darin schreibt er: "Über Sprache, Verfassung und Achtung der Grundrechte hinaus gibt es etwas, was uns im Innersten zusammenhält und was uns von anderen unterscheidet." Der Minister hob unter anderem soziale Gewohnheiten sowie die Bedeutung von Bildung, Kultur und Religion hervor. Das löste breite Kritik aus.

Der CDU-Wirtschaftsrat nannte die neue Debatte dagegen wichtig und für die Integrationspolitik zukunftsweisend. "Ein Einwanderungsland muss klare Bedingungen nennen. Das tun alle klassischen Einwanderungsländer", sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Neubürgern müssten Maßstäbe und Werte vermittelt werden. Unterstützung erhielt de Maizière auch von CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Er sagte dem Deutschlandfunk, es gehe nicht um ein Gesetz, sondern um eine Debatte, "was unsere Kultur prägt, was unser Zusammenleben ausmacht". Diese Debatte sei ein Wert an sich, und es könne dadurch ein Konsens entstehen. Die Kritik des früheren CDU-Generalsekretärs Ruprecht Polenz an de Maizière bezeichnete Spahn als Einzelstimme in der CDU.

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck begrüßte die Debatte im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur zwar grundsätzlich. Sie dürfe aber nicht auf "Stammtischniveau" und nicht nur im Vorfeld von Wahlen geführt werden. Mit Schlagworten wie "Wir sind nicht Burka" etwa habe er Probleme, weil sie "nicht der Differenziertheit der Bedeutung der Religion für Menschen" gerecht würden.

(RP)
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