Gröhe-Vorstoß zum Schließen der Gesetzeslücke Das Geschäft mit der Sterbehilfe

Berlin · Seit Jahren gibt es in Deutschland eine Gesetzeslücke: Gewerbsmäßige Sterbehilfe ist nicht verboten. Union und FDP konnten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf.

Bei der Sterbehilfe soll endlich eine Gesetzeslücke geschlossen werden. Bislang ist eine gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung nicht verboten. Eine breite Mehrheit von Abgeordneten aus Regierung und Opposition will mit einer überparteilichen Debatte nun ein neues Gesetz auf den Weg bringen. Nach der Ankündigung von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gegenüber unserer Redaktion, das Thema anzupacken, sprachen sich zahlreiche Abgeordnete dafür aus, die Sterbehilfe überparteilich zu regeln.

Vor allem SPD und Grüne versprechen sich davon, dass es in der Debatte um mehr gehen wird als um eine schärfere Grenzziehung, inwieweit sterbenskranken Menschen beim Suizid assistiert werden darf. Es soll auch um die Versorgung Schwerstkranker und Pflegebedürftiger gehen.

Aufsehenerregende Sterbehilfe-Fälle
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Foto: AFP

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt erklärte: "Ich bin dankbar für den Vorstoß des neuen Gesundheitsministers. Organisierte und geschäftsmäßige Sterbehilfe darf nicht zum allgemein akzeptierten 'Normalfall' werden." Die CSU unterstütze daher ihr Verbot. "Die CSU setzt sich auch weiterhin für den umfassenden Schutz des Lebens ein." Kritik an Gröhes Vorstoß kam hingegen vom Humanistischen Verband Deutschland. Unheilbar kranke Menschen müssten selbst entscheiden können, ob sie sterben wollten.

Auch heute schon aktive Sterbehilfe verboten

In ethischen Fragen hat der Bundestag mit diesem Verfahren, in dem die Abgeordneten nicht mit ihren Fraktionen stimmen müssen, sondern frei nach ihrem Gewissen entscheiden dürfen, mehrfach große parlamentarische Stunden erlebt. In den Debatten beispielsweise zur Spätabtreibung und zur Präimplantationsdiagnostik ging es um die großen Fragen von Leben und Tod, von Wissen und Gewissen und nicht um das übliche Links-rechts-Hickhack.

"Die überparteilichen Debatten zu ethischen Themen zeigen, wie profund der Bundestag in diesen Fragen arbeitet", sagt SPD-Fraktionsvize Carola Reimann. Sie plädiert dafür, sich über die Frage des Verbots gewerblicher Sterbehilfe und der Werbung dafür auch mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Gesellschaft mit ihren sterbenskranken Menschen umgeht.

Zum Hintergrund der aktuellen Debatte: In Deutschland ist auch heute schon aktive Sterbehilfe verboten. Die Gesetzeslücke besteht darin, dass die gewerbliche und die organisatorische Vermittlung von Sterbehilfe bislang nicht verboten ist. Ein Gesetzentwurf der damaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sah das Verbot der gewerblich vermittelten Sterbehilfe vor. Bis zu drei Jahre Haft sollten bei Zuwiderhandlung angedroht werden. Angehörige, Ärzte und andere den Sterbewilligen nahe stehende Personen sollten sich weiterhin nicht strafbar machen, wenn sie Hilfe zum Suizid leisten.

Der Union ging und geht dies nicht weit genug. Sie will grundsätzlich organisierte Sterbehilfe verbieten, nicht nur jene, mit der auch noch Geld verdient wird.

Lob für Gröhe von der Deutschen Stiftung Patientenschutz

Auch die Ärzteschaft, die sich grundsätzlich als Lebensretter sieht und immer wieder klargemacht hat, als Sterbehelfer nicht zur Verfügung zu stehen, plädiert für eine enge Fassung des Gesetzes. "Wenn wir verhindern wollen, dass solche Organisationen unter anderem Rechtsstatus weiter ihren Geschäften nachgehen, dann müssen wir jede Form der organisierten Sterbehilfe in Deutschland verbieten", sagt Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery.

In der Berufsordnung der Ärzte ist ohnehin festgehalten, dass die Mediziner keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen. Ein Gesetzentwurf, der, wie damals von Leutheusser-Schnarrenberger vorgesehen nur die gewerbliche Hilfe verbietet, hätte also die ethischen Maßstäbe der Ärzteschaft ausgehebelt.

Applaus für Gröhes Vorstoß, die organisierte Sterbehilfe gänzlich zu verbieten, gab es auch vom Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz: "Wenn ein Prinzip ethisch falsch ist, kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob Geld fließt oder nicht", sagte der Vorsitzende Eugen Brysch. Aus Sicht der Patientenschützer müssen auch die Hilfen für todkranke Menschen verbessert werden.

Nur jeder sechste Sterbenskranke in Deutschland erhalte angemessene professionelle Hilfe, um würdevoll sterben zu können. Von den 870.000 Menschen, die im vergangenen Jahr gestorben seien, hätten lediglich 16 Prozent eine professionelle medizinische, pflegerische und psycho-soziale Begleitung bekommen, sagte Brysch. Den Bedarf gebe es laut Weltgesundheitsorganisation aber bei etwa 60 Prozent der Fälle.

Schwachpunkt im deutschen Gesundheitssystem

Die Versorgung Schwerstkranker und Pflegebedürftiger gilt als ein Schwachpunkt des deutschen Gesundheitssystems. Während das medizinische Niveau gut ist, herrscht teils dramatischer Mangel an Pflegekräften. Die Aussicht, dass sich dieses Problem in einer rasch alternden Gesellschaft noch verschärfen wird, ruft immer mehr Mahner auf den Plan, die eine gesellschaftliche Debatte um würdiges Sterben und auch mehr Finanzmittel der Sozialkassen für die letzte Phase im Leben einfordern.

Aus Sicht des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK) gehören eine strengere gesetzliche Regelung und das verstärkte Kümmern um sterbenskranke Menschen zwingend zusammen. ZdK-Chef Alois Glück unterstützte Gröhes Vorstoß und betonte zugleich, jeder Mensch müsse darauf vertrauen können, dass er in seiner letzten Lebensphase alle mögliche Unterstützung durch eine qualifizierte Palliativmedizin und Hospizbegleitung erhält. Er bezeichnete den Ausbau der würdigen Sterbebegleitung als "Prüfstein für die Glaubwürdigkeit unseres Einsatzes für die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens".

(may-)
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