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Demokratie-Serie (7) Das gute, böse Internet

Berlin · Lange wurde das Internet als Medium gefeiert, das Diktaturen stürzen kann. Mittlerweile stellen auch Demokratien fest: Das Internet ist nicht die Spitze der Aufklärung, sondern eine ihrer größten Herausforderungen.

Angela Merkel lässt sich mit einem Flüchtling fotografieren, 13.000 Mal reagieren Menschen bei Facebook auf die Geschichte der Deutschen Welle. Die englischsprachige Seite "Your Newswire" behauptet hingegen, der Mann sei einer der Drahtzieher hinter den Anschlägen von Brüssel, und erzeugt damit 32.000 Reaktionen. "Fake News" schlagen Nachrichten, weil Nutzer kommentieren und teilen, was sie besonders aufregt oder ihr Weltbild bestätigt. Das Gerücht in sozialen Netzwerken, Hillary Clinton sei in einem Pädophilie-Ring verstrickt, der von einer Pizzeria aus gesteuert werde, endet darin, dass ein Mann mit einer Schrotflinte in das Geschäft marschiert, um der Sache einmal selbst auf den Grund zu gehen.

Lange wurde das Internet als Medium der Transparenz gefeiert, als Heilsbringer, der sogar Diktaturen ins Wanken und Stürzen bringen kann. Hätte es den "Arabischen Frühling" ohne Blogger und die sozialen Medien überhaupt gegeben? Hatten die Regimes dieser Welt nicht immer dermaßen große Angst vor dem Internet, dass sie es aussperren wollten? Das mag so sein. Mittlerweile ist aber auch bei den westlichen Demokratien Katerstimmung zu spüren. Nicht nur, weil der "Arabische Frühling" die Welt weder demokratischer noch stabiler gemacht hat; ganz im Gegenteil. Nein, auch die gewählten Regierungen wollen jetzt regulieren und einschreiten angesichts der Bedrohung, die am digitalen Horizont aufzieht. "Fake News" scheinen da erst der Anfang zu sein: Auch Hacker-Angriffe und Social Bots könnten ein ernstes Thema im Wahlkampf werden. Jene Programme also, mit denen automatisch Nachrichten in sozialen Netzwerken verbreitet werden können. Der Bundeswahlleiter hat bereits angekündigt, gegen die neuen digitalen Einfallstore aufzurüsten. Und die Grünen wollen noch vor der Wahl ein Gesetz auf den Weg bringen, das Social Bots kennzeichnungspflichtig macht.

Neue Herausforderung für die Aufklärung

Was von der Aufregung bleibt, ist eine nüchterne Erkenntnis. "Das Internet ist weder per se demokratisch noch per se anti-demokratisch. Es läutet weder den Untergang des Abendlandes ein, noch führt es ins Zeitalter der Erleuchtung", schreibt Stephan Eisel, Politikwissenschaftler und ehemaliges CDU-Bundestagsmitglied, in einem Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung. Es ist eben nicht der Sieg des Projektes Aufklärung - "sondern eine neue Herausforderung für die Aufklärung."

Noch sollte man das Netz bei der politischen Meinungsbildung aber nicht überbewerten. Nach einer Onlinestudie von ARD und ZDF aus dem Jahr 2016 spielt es für ein Drittel der Bevölkerung über 14 Jahre keine Rolle. Weitere 18 Prozent - und damit immerhin 13 Millionen Menschen - sind nur einmal wöchentlich oder seltener online. Genau deshalb sind die richtigen Schlüsse jetzt so wichtig: Weil eben nicht erst dann gehandelt werden darf, wenn das Internet durch den demografischen Wandel die klassischen Kanäle der demokratischen Meinungsbildung abgelöst hat.

Tatsächlich gibt es allen Grund, von diesem Internet begeistert zu sein. Noch nie war mehr Wissen in Bruchteilen einer Sekunde abrufbar. Noch nie konnte man so problemfrei Menschen weltweit erreichen. Noch nie war die Pluralität der Meinungen so groß. Noch nie bot sich eine größere Plattform, um zu zeigen, was gerade um einen herum passiert: Sei es eine Revolution, ein Kindergeburtstag oder die Katze auf dem Sofa. Das Internet verändert unsere Gesellschaft grundlegend, es ist das schärfste Schwert der Globalisierung. Der Traum von grenzenloser digitaler Entfaltung ist trotzdem ausgeträumt. An einigen wenigen Großkonzernen kommt man im Internet nicht mehr vorbei, auch weil sich die Nutzer längst nicht mehr als mündige Bürger, sondern als Kunden begreifen. Weil sie teilen, ohne zu hinterfragen - wo es doch angeblich nie einfacher war, genau das zu tun. Weil sie sich hinter ihren eigenen Horizont zurückziehen und nur mit jenen Menschen in Kontakt treten, die ihren Horizont teilen. Weil sie sich so erdrückt von den unendlichen Möglichkeiten der globalisierten Welt fühlen, dass sie den einfachen Antworten populistischer Meinungsmacher hinterherlaufen. Der neue US-Präsident regiert per Twitter-Kurzmitteilungen, lässt Aktienkurse mit lediglich 140 Zeichen in den Keller rauschen.

Nutzerbedingungen nicht gelesen?

Wie das Selbst- und Demokratieverständnis der Internet-Großkonzerne aussieht, lässt sich am Beispiel Mark Zuckerbergs zeigen. Der Facebook-Gründer trat in Indien auf wie der digitale Heiland. Versprach, dem Subkontinent Zugang zum Netz zu verschaffen, gleichbedeutend mit Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung und medizinischer Versorgung. Dabei meinte Zuckerberg gar nicht das freie Internet, in dem sich Nutzer nach eigenen Vorstellungen entfalten können. Sondern Internetzugang durch Facebook, nach den Geschäftsbedingungen von Facebook. Sein Selbstverständnis ändert nichts daran, dass die Inder den 32-Jährigen aus dem Land warfen. Da kündigte er für 2017 an, alle 50 Bundesstaaten der USA zu besuchen. Schon kursierten Gerüchte, Zuckerberg bereite sich auf eine Kandidatur als US-Präsident vor.

Bei uns gibt es weite Teile des Internets nur noch nach den Bedingungen von Amazon, Facebook oder Google - ohne dass man sich die Nutzerbedingungen mal durchgelesen hätte. Aus dieser selbst verschuldeten Entmündigung folgt eine beachtliche Naivität, die Menschen glauben lässt, sie könnten Geschäftsbedingungen widersprechen, indem sie Bildchen mit staatstragenden Texten veröffentlichen. Bei Facebook, natürlich.

"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen", schrieb der deutsche Philosoph Immanuel Kant 1784. Wir brauchen eine neue Mündigkeit im Internet - und das von Kindesbeinen an. Demokratie 2.0 lässt sich nur gestalten, wenn die Demokraten endlich mit der Aufklärung 2.0 beginnen.

(lukra)
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