Analyse Das hohe Grundrechtsgut der Versammlungsfreiheit

Düsseldorf · Die Entscheidung des zuständigen sächsischen Landratsamts, ein Demonstrationsverbot zu erteilen, ist wohl rechtswidrig.

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in Artikel 8 unserer Verfassung ist doppelt eingeschränkt. Zum einen ist es kein Jedermann-Grundrecht wie etwa jenes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2) oder auf Meinungs- und Informationsfreiheit (Artikel 5). Grundrechts-Ausübung nach Artikel 8 ist an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden: "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln."

Die zweite Einschränkung betrifft Versammlungen unter freiem Himmel, also etwa jene geplanten im sächsischen Heidenau. Artikel 8 II führt dazu aus: "Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden." Von dieser Eingriffsmöglichkeit hatte das Landratsamt Sächsische Schweiz/Osterzgebirge Gebrauch gemacht. Das dagegen auf den Plan gerufene Verwaltungsgericht Dresden erklärte gestern die Verbotsverfügung für rechtswidrig. Die unterschiedliche rechtliche Einordnung von Versammlungen, je nachdem, ob diese zu Hause, in einem Wirtshaus oder auf Straßen und Plätzen veranstaltet werden, hängt mit dem polizeilichen Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zusammen.

Sobald die zuständige Behörde konkreten Anlass zur Annahme hat, dass eine Versammlung im Freien Sicherheit und Ordnung etwa durch Gewaltakte rivalisierender Demonstranten gefährdet, auch weil unbeteiligte Passanten zu Opfern werden könnten, darf die Behörde als letztes Mittel grundsätzlich die Grundrechts-Ausübung verbieten - unter Berufung auf Paragraf 15 des Versammlungsgesetzes. Danach kann eine Versammlung unter freiem Himmel verboten oder mit Auflagen versehen werden, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes erkennbare Umstände dafür vorliegen, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet wäre, wenn die Versammlung stattfände. Das Gleiche gilt, falls die Voraussetzungen für ein Verbot nachträglich gegeben sind. Dann kann eine Versammlung aufgelöst werden.

Eine Differenzierung nach Versammlungsfreiheit für die eine Gruppe und Versammlungsverbot für die gegnerische wäre rechtlich anfechtbar, weil man etwa in der aufgeheizten Stimmung in Heidenau mit Gewissheit annehmen darf, dass es in jedem Fall zu Ausschreitungen käme, egal wer sich öffentlich versammeln darf und wem das untersagt wird.

Rechtlich hoch problematisch ist eine Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit mit der Begründung, es bestehe ein polizeilicher Notstand. Der Staat als Inhaber des Gewaltmonopols muss gewährleisten, dass seine Sicherheitsorgane, hier die Polizei, nicht nur generell der Sicherheit der Bürger dienen, sondern auch dafür Sorge tragen, dass die Bürger von ihren Freiheitsrechten Gebrauch machen können. Die Behörde darf auch nicht Verbots-Maßnahmen ergreifen, um der Polizei die Arbeit zu erleichtern. In dem Fall wäre ein Versammlungsverbot ein unverhältnismäßiger, damit rechtswidriger Eingriff in das Grundrecht und hohe Rechtsgut des Artikel 8. Stets muss vor einem Verbot eine Abwägung zwischen schützenswerten Rechtsgütern vorgenommen werden. Vor allem darf das Grundrecht niemals einer untergeordneten Ordnungsvorschrift geopfert werden.

(mc)
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