USA nach der Wahl Das liberale Amerika hofft auf "Michelle 2020"

Washington · Während viele von Trumps Gegnern in Schockstarre verharren, protestieren andere. Und hoffen auf Michelle Obama. Das inoffizielle Projekt "Michelle 2020" gibt den liberalen Amerikanern Hoffnung.

 Für viele Amerikaner ist Michelle Obama eine Hoffnungsträgerin.

Für viele Amerikaner ist Michelle Obama eine Hoffnungsträgerin.

Foto: afp, sp

Wuchtige Mauern. Eingänge, die an ein Gewölbe denken lassen. Früher war das mal ein Postamt, dann hat Donald Trump das historische Gebäude an der Pennsylvania Avenue von der amerikanischen Regierung gemietet, um daraus ein Luxushotel zu machen. Und nun wird es zu einem Zentrum der Anti-Trump-Proteste.

"Not our President!" - nicht unser Präsident, schallt es über die Straße, an der das Trump International Hotel liegt. Irgendwann rufen junge Frauen in einem rasch zu enormer Lautstärke anschwellenden Chor: "Pussy Power! Pussy Power!" Der herausfordernde Slogan spielt an auf das, womit der Unternehmer vor Jahren gegenüber dem Entertainment-Reporter Billy Bush geprahlt hatte: Dass Frauen ihm, dem Star, alles erlaubten, sogar, dass er sie an den Genitalien berührt. "Pussy schlägt zurück!", ist nun vor der Nobelherberge auf handbeschriebenen Plakaten zu lesen.

"Trump hat alle außer weiße Männer vor den Kopf gestoßen"

Der abendliche Protest an der Pennsylvania Avenue, es ist ein Ventil, um spontan Frust abzulassen. Das liberale Amerika hat die Wahl verloren, und während in der überaus liberalen Stadt Washington manche noch in Schockstarre verharren, sagt Rita Gordon, dass sie in den nächsten Tagen noch sehr viel protestieren wird. Trump, schiebt sie hinterher, habe jede einzelne Bevölkerungsgruppe des Landes vor den Kopf gestoßen - "mit einer Ausnahme: weiße Männer".

Die erste Präsidentin im Weißen Haus, ja, sicher, das wäre eine Sache für die Geschichtsbücher gewesen, sagt die Mittdreißigerin. "Aber um ehrlich zu sein, ich war nie ein großer Hillary-Fan." Die meisten, die vorm Trump-Hotel demonstrieren, sehen es ähnlich, vielen wäre Bernie Sanders, Clintons linker Rivale, als Kandidat viel lieber gewesen. Nach Postern mit Hillarys Konterfei sucht man vergebens. Dafür gibt es rosafarbene Herzen, auf denen steht, dass man gegen Intoleranz aufstehen soll.

Am Weißen Haus brennen Kerzen, besser gesagt, im Park davor, denn das Haus selbst ist noch weiträumiger abgesperrt als sonst, weil Bautrupps demnächst die Tribünen für den Festzug der Amtseinführung aufstellen. Auf denen werden am 20. Januar handverlesene Gäste sitzen, um den Präsidenten Trump nach der Vereidigung am Kapitol auf dessen Rückweg zur Machtzentrale zu feiern. Mit der Kerzenmahnwache will Yong Jung Cho, Tochter südkoreanischer Einwanderer, ein Zeichen setzen. An einem provisorischen Maschendrahtzaun bilden Studentinnen einen Kreis, um sich ihre Enttäuschung von der Seele zu reden. Es liege ja auch eine Chance darin, dass es Hillary nicht geschafft habe, spricht Sarah Taylor sich und den anderen Trost zu. Denn nun werde die erste Präsidentin der US-Geschichte eine Frau sein, die sie vielleicht wirklich inspiriere. Nur damit man sie nicht falsch verstehe, das Land sei mehr als bereit für eine Madame President, sagt Sarah Taylor. "Michelle 2020", ruft eine ihrer Kommilitoninnen und stößt die Faust in die Luft.

"Michelle 2020" gibt Hoffnung

Worauf sich die Stimmung der Runde schlagartig aufhellt. Dass Michelle Obama sich dereinst fürs Oval Office bewirbt, hat die First Lady selber nie bestätigt, wie auch, es wäre ohnehin viel zu früh. Dennoch ist sie die große Hoffnungsträgerin, eine Art Strohhalm, an den sich das liberale Amerika in depressiven Momenten klammern kann.

"An meine Tochter: Es wird dir gut gehen", betitelt Dana Milbank am Donnerstag eine Kolumne in der "Washington Post". "Die Leute machen Witze, dass sie in ein anderes Land fliehen, aber Amerika bleibt das großartigste Land der Welt." Milbank, eine der Edelfedern des Hauptstadtblatts, sorgte für Aufsehen, als er Zeitungspapier verzehrte. Es wurde in kleine Fetzen zerrissen und mit nahrhaften Speisen vermengt, nachdem er Monate zuvor angekündigt hatte, falls sich seine Wahlprognose als falsch erweise, werde er das Papier essen, auf dem sie gedruckt sei. Die Republikaner, lautete die Prognose, würden Donald Trump nie zu ihrem Präsidentschaftskandidaten küren. Nun ist Trump nicht nur Kandidat, sondern designierter Staatschef, und Milbank schreibt seiner Tochter, einer Siebtklässlerin, einen offenen Brief. "Du hast zu Recht Angst davor, dass ein Mann, der über Frauen redet, wie Trump es tut, zum Präsidenten gewählt wurde. Aber wir wissen alle, dass eines Tages eine Frau zur Präsidentin gewählt werden wird. Vielleicht wirst du das sein."

"Trump bedeutet viel Arbeit für Psychologen"

In meinem Viertel, sehr liberales Washington, hat vor drei Wochen ein 68-Jähriger ein spätes Studium in Psychologie abgeschlossen. Als er zur Party einlud, um das Diplom zu feiern, bemerkte jemand nach der launigen Rede des angehenden Psychologen, dass er sich über Mangel an Arbeit kaum beklagen dürfte, falls Trump gewinne. Es war als Scherz gemeint. Heute spricht eine befreundete Lehrerin von ihrer Verzweiflung: Alles was man den Kindern an Anstandsregeln beibringe, werde nun konterkariert durch einen Präsidenten, der sich einer derart vulgären Sprache bediene. Ein Nachbar, dessen Vorfahren im 19. Jahrhundert aus Süddeutschland eingewandert sind, schickt am Morgen nach der Wahl eine E-Mail in fast korrektem Deutsch. "Gott in himmel", um es mit einem Stoßseufzer seiner Mutter zu sagen, schreibt er. "Wir sind entsetzt."

Auf dem Congressional Cemetery, einem historischen Friedhof in der Nähe des Kapitols, wird das Grab einer frühen Wegbereiterin des Frauenwahlrechts auf einmal zu einer Pilgerstätte. Die Rechtsanwältin Belva Ann Lockwood kandidierte 1884 fürs Weiße Haus, 36 Jahre bevor Frauen in den USA zum ersten Mal abstimmen durften. Jemand hat eine Notiz hinterlassen: "Es tut mir so leid. Wir haben es versucht, aber es ist uns nicht gelungen." Unter dem Zweizeiler steht, später in anderer Handschrift hinzugefügt, ein einziges Wort. "Noch."

(RP)
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