25 Jahre nach dem Tiananmen-Massaker Das Reich des Schweigens

Peking · Vor 25 Jahren endete die chinesische Demokratiebewegung in einem Massaker. Viele Chinesen wissen wenig über diesen Teil ihrer Geschichte.

Heute und damals im Foto-Vergleich: 25 Jahre nach Tiananmen
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1989 rollten Panzer gegen friedliche Demonstranten. Die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung am Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) ist in China bis heute tabu. Ein Foto im Internet reicht, und die Sicherheitskräfte schlagen zu, wie der Historiker Xu Youyu Anfang Mai erleben musste. Er war mit zwölf Bürgerrechtlern unter einem Banner mit der Aufschrift "Gedenksymposium zum 4. Juni" zu sehen. Stunden später waren er und vier Mitstreiter festgenommen. Dabei forderten sie nur, "die Wahrheit über die Ereignisse herauszufinden".

Heute vor 25 Jahren befahl die Parteiführung dem Militär, den größten Studentenprotest der chinesischen Geschichte mit Waffengewalt zu beenden. In der Nacht zum 4. Juni 1989 wurden in Peking Hunderte, wenn nicht gar Tausende Menschen rund um den Tiananmen getötet oder verletzt. Begonnen hatten die Demonstrationen in Peking nach dem Tod des Reformpolitikers Hu Yaobang am 15. April 1989. Er war als Chef der Kommunistischen Partei (KP) entmachtet worden. Studenten und später auch Arbeiter forderten seine Rehabilitierung. Rufe nach Freiheit und Demokratie kamen hinzu. In mehr als 80 Städten schlossen sich Menschen der Protestbewegung an.

Doch an der Spitze der KP setzten sich die Hardliner durch. Ministerpräsident Li Peng setzte das Militär in Marsch. Einen Tag später wurde das Kriegsrecht verhängt. Li Peng und Deng Xiaoping, damals Vorsitzender der zentralen Militärkommission, gelten als Hauptverantwortliche für das Blutbad, das Chinas Presse als Niederschlagung "konterrevolutionärer Unruhen" feierte.

Eine Reise durch China
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Die damaligen Geschehnisse stehen in keinem Schulbuch. Staatliche Zensoren blockieren online die Suche nach Begriffen wie "4. Juni" oder nach listigen Umschreibungen wie "35. Mai". Die Behörden löschen Beiträge und Bilder über den 4. Juni nahezu komplett aus dem Internet - wie etwa jüngst ein Foto von Chinas First Lady, Peng Liyuan. Es zeigt die Ehefrau von Staats- und Parteichef Xi Jinping, die damals als Militärkünstlerin mit lächelndem Gesicht für Soldaten nach deren brutalem Einsatz am Tiananmen sang. Auch die Dienste des amerikanischen Internetriesen Google sind in China im Moment fast vollständig blockiert. Das Vorgehen sei "rigoroser als in den Vorjahren", kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Behörden setzten alles daran, die Erinnerung an die Ereignisse aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen.

Die Sicherheitsbehörden bauen die Hauptstadt Peking derweil zur Festung aus. Täglich überfliegen fünf Hubschrauber auf 18 Routen die Stadt. An wichtigen Kreuzungen wachen Polizeitransporter. Gummigeschosse und Elektroschlagstöcke lassen ältere Pekinger an die absurden Erklärungen Li Pengs vom 1. Juli 1989 denken. Damals traf der Premier einen US-Politiker chinesischer Herkunft, Daniel K. Wong. Knapp einen Monat nach dem 4. Juni erklärte Li: "Unsere Soldaten wollten kein Blut vergießen." Doch das Massaker war "keine Verkettung von Missverständnissen", wie Li es darstellte. Aus den nach Hongkong geschmuggelten Memoiren des damaligen KP-Chefs Zhao Ziyang weiß die Welt heute, dass das Blutbad Folge falscher Beschlüsse war: Er ließ die Armee nach Peking einmarschieren und die Autorität der Partei gewaltsam wiederherstellen.

Heute setzt die Führung in Peking auf das Vergessen - und die Strategie scheint aufzugehen. Zeitzeugen von 1989 schweigen gegenüber ihren Kindern aus Sorge, dass ihnen zu viel Wissen schaden könnte. Greifen Lehrer das Thema im Unterricht auf, werden sie abgestraft. "Wir machen uns Sorgen, wer unser Anliegen nach unserem Tod weiterträgt", sagt Zhang Xianling, Mitinitiatorin der "Mütter vom Tiananmen". Die Initiative fordert Chinas Führer alljährlich auf, den 4. Juni neu zu bewerten. Die erschossenen Kinder der Angehörigen sollten als unschuldig rehabilitiert werden, erklären sie.

Die wilde chinesische Mauer
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Auch nach einem Vierteljahrhundert verschweigt die Regierung die Zahl der Getöteten. Dennoch sei der Geist vom Tiananmen lebendig, meinen Intellektuelle wie Xu. Die Bürger hätten erkannt, dass sie ihre Rechte selbst verteidigen müssten. In diesem Geist sieht Xu die sich häufenden Proteste immer größerer Bevölkerungskreise gegen Umweltverschmutzung, Landenteignung oder Kaderwillkür: Dieser Unmut erinnere die Parteiführung immer wieder an 1989.

(RP)
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