Aufsichtsräte in deutschen Konzernen Das Kartell der älteren Herren

Berlin · Kaum mehr als ein halbes Dutzend Ex-Manager im Rentenalter hat weite Teile der deutschen Wirtschaft unter Kontrolle. Der Einfluss ist nahezu unbeschränkt und so groß, dass manch ein Minister davon nur träumen kann.

Gerhard Cromme ist für sein unverbrüchliches Selbstvertrauen bekannt. Als Chefkontrolleur von Thyssenkrupp musste er einst auf der Hauptversammlung nach gravierenden Fehlplanungen in Amerika einen Verlust von fünf Milliarden Euro verkünden, der den Traditionskonzern fast in die Pleite trieb. Ein Aktionär wagte zu fragen, ob der Aufsichtsrat angesichts dieses Desasters denn richtig besetzt sei. Cromme antwortete, es sei sehr schwierig, geeignetes Personal für solch eine verantwortungsvolle Aufgabe zu finden. Dafür brauche es schon eine ganz besondere Qualifikation. Ein Raunen ging durch den Saal. "Fünf Milliarden Verlust - das hätte doch jeder hinbekommen", spottete einer.

Die Konsequenzen aus der Thyssenkrupp-Misere hielten sich für Cromme dennoch in Grenzen. Zwar musste er sein Mandat als Aufsichtsratschef niederlegen. Bis heute ist er aber trotz seiner inzwischen 73 Jahre immer noch Chefkontrolleur des deutlich größeren Siemens-Konzerns. Er hat entscheidenden Einfluss auf das Schicksal von 348.000 Beschäftigten. Cromme zählt trotz Missmanagements bei Thyssenkrupp und trotz fortgeschrittenen Alters weiter zum Zirkel jener mächtigen alten Männer, die bis heute die deutsche Wirtschaft anführen.

Rund ein Drittel der Dax-Konzerne wird von Aufsichtsratschefs kontrolliert, die über 70 Jahre alt sind. Das Durchschnittsalter für diesen Posten liegt mittlerweile bei fast 68 Jahren - mit steigender Tendenz. Und das in einer Zeit, in der für viele Beschäftigte der Arbeitsmarkt schon eng wird, wenn sie die 50 Jahre überschritten haben. Weil sie dann nicht mehr als so leistungsfähig gelten. Mehr noch: In diesem elitären Machtzirkel gibt es einen inneren Kreis von fünf bis sechs Managerdenkmälern, die besonders viele Aufsichtsratsposten gleichzeitig innehaben und überdies bestens miteinander vernetzt sind.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) untersucht jedes Jahr, wie die Posten in den deutschen Aufsichtsräten verteilt sind. Am mächtigsten ist den Anlegerschützern zufolge der 69-jährige Ex-Bayer-Chef Werner Wenning, Aufsichtsratschef bei Bayer und Eon mit weiteren Mandaten bei Siemens und im Henkel-Gesellschafterausschuss, gefolgt vom gleichaltrigen früheren Henkel-Chef Ulrich Lehner, Chefkontrolleur bei Telekom und Thyssenkrupp und weiteren Posten bei Eon und Henkel. Auch der 77-jährige Manfred Schneider, Chefaufseher von RWE und Linde, spielt in dieser Liga. Sie sind die Königsmacher; sie wählen in den Konzernen die Führungsspitze aus und beaufsichtigen die Manager, sie wachen über die Finanzen und segnen die Strategie ab.

Die Dax-Konzerne, die allein diese Herren aus Nordrhein-Westfalen in ihrer Funktion als Aufsichtsratschef kontrollieren, haben insgesamt mehr als 600.000 Beschäftigte, kommen zusammengerechnet auf über 280 Milliarden Euro Umsatz und eine Liquidität in zweistelliger Milliardenhöhe. Zum Vergleich: Der Bundeswirtschaftsminister hat einen Etat von gerade mal sieben Milliarden Euro.

Wer überwacht die Aufsichtsräte?

Während aber Politiker demokratischer Kontrolle unterliegen und abgewählt werden können, gibt es in der Wirtschaft keine verlässlichen Instanzen, die einen unfähigen Aufsichtsratschef aus dem Amt entfernen könnten. So sind die Machtverhältnisse an der Spitze seit Jahren nahezu unverändert: 2015 wurden zwar 49 der 248 Mandate turnusmäßig neu besetzt. Auf die Rangfolge der einflussreichsten Aufsichtsräte hat sich das aber laut DSW nicht wesentlich ausgewirkt.

Welche Folgen die Überalterung hat, ist schwer zu überprüfen. Auffällig ist aber, dass ausgerechnet bei Skandalkonzernen wie VW und Thyssenkrupp sehr alte Kontrolleure in verantwortlichen Positionen saßen: bei VW der 78-jährige Ferdinand Piëch sowie bei Thyssenkrupp der bei seinem Ausscheiden 70-jährige Cromme. Zudem dürfte sich ein Aufsichtsrat, der ausschließlich mit Vertretern der Generation 70plusminus besetzt ist, bei Zukunftsthemen wie Digitalisierung als Sparringspartner eher schwertun.

Fürchten muss sich das Kartell der mächtigen Männer vor niemandem

Zugegeben, die Verantwortung der Aufsichtsräte ist groß. Fürchten muss sich das Kartell der mächtigen Männer aber vor niemandem. Laut Aktiengesetz kann der Aufsichtsrat zwar theoretisch durch die Hauptversammlung abberufen werden. Das ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse aber meist recht unwahrscheinlich. Zwar gibt es für die Wirtschaft auch ein Regelwerk, das Richtlinien für eine gute Unternehmensführung festlegt, den sogenannten Corporate-Governance-Kodex. Verbindlich sind diese Regeln aber nicht.

Darauf, dass sich die mächtigen Räte gegenseitig überwachen, sollte niemand vertrauen. Allein schon, weil sie sich in so vielen Gremien immer wieder über den Weg laufen. Würde einer Kritik üben, käme dies womöglich als Bumerang zurück. Zudem sind sie oft auch privat einander verbunden. Wenning etwa bezeichnet Lehner als Freund, beide spielen Golf und Skat.

Angesichts dieser Netzwerke können das Bemühen um mehr Vielfalt in Aufsichtsräten oder eine Frauenquote immer noch wenig bewirken. Die einflussreichste Aufsichtsrätin ist der DSW zufolge die Allensbach-Chefin Renate Köcher. Vom engsten Zirkel der Macht ist sie weit entfernt. Sie kommt auf Rang 17. Immerhin ziehen sich einige der alten Herren langsam aus der ersten Reihe zurück. Schneider kündigte an, den RWE-Posten niederzulegen, Commerzbank-Chefaufseher Klaus-Peter Müller (71) hört ebenfalls auf. Auch Crommes Laufbahn neigt sich nun dem Ende zu, 2018 ist für ihn bei Siemens Schluss. Sein Nachfolger? Im Gespräch ist Werner Wenning. Er wäre dann über 70.

(RP)
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