Informationen über Grenzverlauf unterdrückt DDR fälschte massenhaft Landkarten

Berlin (rpo). Damit die Flucht aus der EX-DDR noch schwerer wurde, hat das Stasi-Ministerium massenhaft topographische Karten gefälscht. Die Bevölkerung verfügte daher über keine genauen Informationen zuum Grenzverlauf.

Das sagte die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, am Freitag bei der Vorstellung eines Buches zu dem Thema. Birthler sprach von einer absurden Geheimhaltung der DDR-Führung. Selbst auf Karten für Touristen habe es viele weiße Flecken gegeben.

Kein Zuchthaus "Gelbes Elend" in Bautzen, kein Flughafen in Dresden, die Kippe für Industrieabwässer im Chemiekombinat Buna ein natürlicher Sumpf - so präsentierte sich die DDR auf Landkarten und Stadtplänen. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, stellte am Freitag in Berlin ein Buch vor, in dem erstmals begonnen wurde, den Geheimhaltungswahn der Stasi in der Kartografie systematisch aufzuarbeiten.

Auf die Frage nach den Gründen für die offensichtlichen Fälschungen und Auslassungen konnte Birthler keine insgesamt befriedigende Antwort geben. Allerdings sei es zur Vermeidung von noch häufigerer Republikflucht nützlich gewesen, die Grenzregionen entweder gar nicht oder mit dreistesten Verzerrungen und Verfälschungen darzustellen.

Der Kartografie-Historiker Wolf Koch wies bei der Vorstellung des Buches darauf hin, dass es schon 1970 möglich gewesen sei, zuverlässige Karten im Wanderkarten-Maßstab 1:50.000 aus Satellitenbildern herzustellen. Kartenvergleiche lassen nach Angaben der Wissenschaftler darauf schließen, dass der NATO zu diesem Zeitpunkt die wirklichen topographischen Verhältnisse der DDR besser bekannt waren als deren Bürgern. "Die DDR-Bürger hatten natürlich keine Satellitenbilder", sagte Birthler. Sie ironisierte den DDR-Verlautbarungsjargon: "Unsere Menschen finden das auch ohne Karte."

Zunächst vom Ministerium des Innern, ab 1958 von der Stasi, wurde die DDR mit zwei Ausgaben topographischer Karten erfasst. Eine bildete tatsächlich die Wirklichkeit ab, war aber geheim und nur dem Militär, dem Innenministerium und der Stasi zugänglich. Die zweite, genannt "Ausgabe für die Volkswirtschaft", war nicht ganz so geheim, aber bereits verfälscht und verzichtete beispielsweise auf die Darstellung des Dresdner Hauptbahnhofs. Kirchtürme wurden verschoben, Haupt- in Nebenstraßen umfirmiert und militärische Anlagen entweder völlig weggelassen oder durch Weglassen oder Hinzufügen von Gebäuden oder Umfriedungen getarnt. Gebiete außerhalb des DDR-Territoriums, etwa Westberlin, wurden weiß gelassen. Aber auch ein Grenzstreifen auf DDR-Seite blieb nach Maßgabe der Stasi ohne kartografische Details, so dass sich manche Orte überhaupt nicht auf Karten fanden.

Noch grotesker stellte sich die ehemalige sowjetische Besatzungszone auf der dritten Ebene, den allgemein erhältlichen Wander- und Straßenkarten und Stadtplänen dar. Da sucht man in Zwickau das Trabi-Werk vergebens, ganze Güterbahnhofsanlagen verschwinden, und die Verzerrung im Maßstab geht so weit, dass Kilometer breite Ackerstreifen bei Zittau einfach weggeschrumpft wurden. Wer nach der Wende im DDR-Teil des Harzes wandern wollte, war gut beraten, in einem West-Antiquariat nach einer Vorkriegs-Wanderkarte zu fragen.

Das scheinbar gebäude- und vegetationslose Westberlin wurde immerhin von dem in DDR-Reichsbahn-Regie geführten S-Bahn-Netz durchzogen. Und im Tiergarten war das sowjetische Ehrenmal als einziges Gebäude ausgeführt. Selbst die Pläne für Ostberlin litten unter Fälschungen, so dass "Falk-Pläne ein beliebtes Mitbringsel" für die Brüder und Schwestern im Osten waren, wie Birthler anmerkte.

Aber wer nun glaubt, das alles habe mit der Wende ein Ende gehabt, der irrt: Noch heute zeigt ein beleuchteter Touristen-Stadtplan direkt am Bahnhof Alexanderplatz die "Hans-Beimler-Straße" an Stelle der Otto-Braun-Straße, wo Birthlers Stasi-Unterlagen-Behörde ihren Sitz hat.

(RPO Archiv)
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