Demokratie-Serie (8) Die Erben der Demokratie

Berlin · Ein Drittel der erwachsenen Bundesbürger traut Jugendlichen nicht zu, sich später für den Erhalt unserer Staatsform einzusetzen. Das ergab jüngst eine ernüchternde Studie. Ganz so düster ist die Realität aber nicht.

 Politisches Engagement Jugendlicher: Düsseldorfer Schüler protestierten im Mai 2010 gegen die schwarz-gelbe Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen.

Politisches Engagement Jugendlicher: Düsseldorfer Schüler protestierten im Mai 2010 gegen die schwarz-gelbe Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen.

Foto: Bußkamp

Zum Vermächtnis des einstigen Bundeskanzlers und SPD-Übervaters Willy Brandt gehört der Satz "Wir wollen mehr Demokratie wagen". Wie Brandt das genau meinte, führte er in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 weiter aus - allerdings in weniger berühmten Sätzen. Demnach sollten Bürger durch mehr Austausch mit der Politik die Möglichkeit erhalten, "an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken". Brandt sprach dabei explizit die junge Generation der damals noch geteilten Bundesrepublik an: "Wir wenden uns an die im Frieden nachgewachsenen Generationen, die uns beim Wort nehmen wollen - und sollen." Diese jungen Menschen müssten aber verstehen, so Brandt, dass auch sie gegenüber Staat und Gesellschaft Verpflichtungen hätten.

Heute, mehr als 47 Jahre oder fast zwei Generationen später, sind viele ältere Bundesbürger jedoch pessimistisch, dass die Jugendlichen später einmal jene Verantwortung für den Erhalt der Demokratie übernehmen würden, die Brandt anmahnte. Einer jüngst vorgestellten Studie zufolge fehlt einem Drittel der erwachsenen Bevölkerung dieses Zutrauen in die Kinder und Jugendlichen: Sie trauen dem Nachwuchs nicht zu, später für die Demokratie einzustehen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Untersuchung, für die das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap im Auftrag des Kinderhilfswerks rund 1000 Erwachsene befragte.

Thomas Krüger, Präsident des Kinderhilfswerks und Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, hält das Ergebnis für besorgniserregend. Er warnte bei der Vorstellung der Studie davor, dass eine Gesellschaft "kippen" könnte, wenn mehr als 25 Prozent der Menschen den Glauben an etwas verlören´. Die Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau (Linke), teilt Krügers Sorgen. "Das ist ein Alarmsignal", sagte sie. Rechtspopulisten seien in Europa und weltweit auf dem Vormarsch: "Das birgt Gefahren für die Demokratie."

Aber ist es wirklich so schlecht um die Zukunft bestellt? Können Kinder und Jugendliche heute keine Demokratie mehr? Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man einzelnen aktuellen Forschungsergebnissen Glauben schenkt. So fand beispielsweise die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2015 in einer Jugendstudie heraus, dass zwar 87 Prozent der befragten Jugendlichen der allgemeinen Idee der Demokratie zustimmen. Wird es aber konkreter, schwindet dieser Rückhalt. So haben der Umfrage zufolge nur 38 Prozent der Jugendlichen Vertrauen in Parteien - einen der wichtigsten Pfeiler der repräsentativen Demokratie. Einen entscheidenden Grund dafür sehen Experten darin, dass demokratische Institutionen heute in einem weitaus härteren Wettbewerb um die Freizeit von Jugendlichen stünden. Die Angebote seien deutlich vielfältiger als noch vor einigen Jahren. Und auch die viel beachtete Shell-Jugendstudie kam in ihrer jüngsten Ausgabe zu einem ähnlich ambivalenten Ergebnis. Demnach stieg zwar das politische Interesse von Jugendlichen zuletzt deutlich: Nach nur 30 Prozent im Jahr 2002 bezeichnen sich nun wieder mehr als 40 Prozent der jungen Bundesbürger im Alter von zwölf bis 25 Jahren als politisch interessiert. Gleichzeitig bleibt jedoch die Politikverdrossenheit Jugendlicher hoch: Der Aussage "Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken" stimmten 69 Prozent der 15- bis 25-Jährigen in der Shell-Studie zu.

Grund für Pessimismus sehen Wissenschaftler dennoch nicht. Vielmehr werten sie die grundsätzlich positive Haltung zur Demokratie und die kritische Auseinandersetzung mit ihren Akteuren als Zeichen für Stabilität. "Eine Krise der Demokratie, in deren Hintergrund Präferenzen für autoritäre oder radikal-undemokratische Regierungssysteme lauern, ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland nicht zu erkennen", schrieben etwa die Sozialforscher Wolfgang Gaiser, Martina Gille und Johann de Rijke im September 2016 in einem Fachaufsatz zur Einstellung junger Menschen zur Demokratie.

Gestützt wird dieser Befund davon, dass seit einigen Monaten durchaus ein Bekenntnis vieler junger Menschen zu demokratischen Parteien zu beobachten ist - getrieben durch Impulse wie das aggressivere Auftreten von Rechtspopulisten, die Unzufriedenheit mit der Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump oder der Nominierung von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.

Professor Everhard Holtmann, Direktor am Zentrum für Sozialforschung der Universität Halle-Wittenberg, sieht eine weitere positive Entwicklung: "Wir beobachten, dass sich der große Rückhalt für Demokratie bei Jugendlichen in Ost- und Westdeutschland kaum mehr voneinander unterscheidet." Einst sehr deutliche Unterschiede seien heute kaum mehr existent. Ob es abweichende Zustimmungswerte bei Deutschen mit Migrationshintergrund gebe, könne derzeit anhand empirischer Daten aber noch nicht seriös belegt werden, sagt Holtmann. Er plädiert dafür, die politische Bildung in allen Schulformen und auch bei der beruflichen Weiterbildung wieder ernster zu nehmen. Neben der elterlichen Erziehung sei Bildung der Schlüssel für demokratischen Rückhalt bei Jugendlichen, sagt auch Kinderhilfswerk-Chef Krüger.

(jd)
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