Der große Triumph des Olaf Scholz

Der Erlöser der Hamburger SPD ist ein spröder Vertreter: Olaf Scholz bleibt auch in der Stunde des Sieges Maß und Mitte in Person. Seriosität, Pragmatismus und Verlässlichkeit strahlt er aus – ein bisschen wie einst Helmut Schmidt. Die CDU steht unter Schock, die Grünen kommen ins Grübeln.

Hamburg Lektüre auf der Fahrt gestern nach Hamburg: Das Heldenstück der Woche sei mit Olaf Scholz besetzt, schreibt Wolfram Weimer im "Focus", und mehr noch: Scholz sei der Phoenix, der aus der Asche der SPD emporsteige.

Ein paar Stunden später steht man diesem "Phoenix" gegenüber und staunt: Dieser spröde Erlöser der Hamburger Sozialdemokratie, dieser auch im Triumph so nüchterne "Mister 50 Prozent" machte seine Anhänger im Altonaer Kulturzentrum "Fabrik" freudetrunken wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Alle Alster-Sozialdemokraten waren außer Rand und Band, nur Scholz blieb Maß und Mitte in Person: Der Anzug anthrazitfarben, das Hemd blütenweiß, die Krawatte konservativ rot-silber gestreift, den schmalen Mund leicht nach links oben gezogen, verschmitztes Lächeln – so stand der große Sieger des Wahlabends auf dem Podium. "O-laf, O-laf"-Rufe prasselten auf ihn nieder: Wenn der neue SPD-Star in Hamburg und – wer weiß – vielleicht sogar bundesweit ein Genussmensch ist, konnte er es verdammt gut verbergen.

Ebenso zurückhaltend wirkte Scholz' Ehefrau Britta Ernst. Keine Spur von Glamour, kein Hauch von Übertreibung, schrillem Gehabe: hellgrauer Hosenanzug, darunter ein schwarzer Pulli, links am Revers etwas Schmückendes in Rot, verhaltenes Lächeln.

Das Paar strahlte aus, was Olaf Scholz seinen "lieben Freundinnen und Freunden" – er sagte nicht: "liebe Genossinnen und Genossen" – ankündigte: eine seriöse, pragmatische, verlässliche Politik. "Wir werden uns an die Arbeit machen" – das klang nach dem hanseatischen Großmeister der Politik, nach Helmut Schmidt, nur 40 Jahre jünger. Schmidt ist 92, Scholz 52. Der "Alte" hatte dem "Jungen" im Wahlkampf den hamburgisch-sozialdemokratischen Ritterschlag gegeben. Das brachte Zusatz-Bonuspunkte.

Die letzten Tage vor der Entscheidung wirkten paradox: Scholz, der Herausforderer des amtierenden Bürgermeisters Christoph Ahlhaus (CDU), trat auf wie der Bürgermeister; Ahlhaus, der Unglücksrabe, der die von seinem Vorgänger angerichtete, vielen Hamburgern nicht schmeckende schwarz-grüne Suppe auslöffeln musste, war zuletzt eigentlich nur noch Bürgermeister auf dem Papier.

Bei der CDU wusste man seit Tagen, dass der Wahlzug längst abgefahren war. Eine Christdemokratin meinte kurz vor der ersten Prognose, das werde ein grausamer Abend. "Grausam", sagte sie später, wäre auch ein Resultat von 25 Prozent gewesen: "Das jetzt jedoch haut mich total um, das ist entsetzlich, nicht zu fassen." Ahlhaus, die Fleisch gewordene Erdrutsch-Niederlage, blieb fair, sprach von einer schmerzhaften Stunde der Ratlosigkeit. Aber einen Tritt gegen seinen Amtsvorgänger Ole von Beust versagte er sich dann doch nicht: Es räche sich eben, dass in der schwarz-grünen Koalition ab 2008, die zu versuchen richtig gewesen sei, von der Union zu viele Zugeständnisse gemacht worden seien. Sollte heißen: Von Beust habe mit seiner im Sommer 2010 gescheiterten Schulpolitik bürgerliche Wähler verärgert und sich dann noch ins Privatleben verabschiedet.

Im Kongresszentrum am Bahnhof Dammtor verdrückten sichtbar unter Schock stehende Christdemokraten die Häppchen genauso hastig, wie sie Bier- und selbst Weingläser leerten: "Schütt' die Sorgen in ein Gläschen Wein . . ."

Ein Christdemokrat aus Eppendorf stellte sein Glas so temperamentvoll ab, dass man schon glaubte, es klirren zu hören. Er schnaubte: "Selbst bei der Wirtschaftskompetenz haben uns die Sozis abgehängt."

Alt-Bürgermeister Henning Voscherau, in den 90er Jahren die Nummer eins der Hamburg-SPD, blieb ebenso wie Olaf Scholz maßvoll: "Die SPD solle jetzt nicht übermütig werden und keine ideologischen Rückfälle zulasten der Wirtschaft riskieren." Das hörte sich an wie einst beim SPD-Starökonomen Karl Schiller: "Genossen, lasst die Tassen im Schrank."

Bei den Grünen sah man bedröppelte Mienen. Krista Sager, GAL-Ikone, beklagte den Weggang des Bürgermeisters von Beust und den "CDU-Zerfallsprozess". Anja Hajduk, GAL-Spitzenkandidatin, formulierte, was allen Anhängern der Grünen trotz des seit Monaten herrschenden Umfragehochs seit diesem denkwürdigen Wahlabend dämmert: "Unsere Bäume wachsen nicht in den Himmel."

Internet Der Tag danach: Reaktionen aus Berlin und Analysen unter www.rp-online.de/politik

(RP)
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