Werner Patzelt "Der Osten kennt die gute Seite der Migration nicht"

Der Dresdner Politikwissenschaftler über die Wahl-Besonderheiten im Osten Deutschlands und die vertanen Chancen der Union.

Herr Professor Patzelt, in den Ostländern hat die AfD bei der Bundestagswahl abgeräumt. Was ist mit den ostdeutschen Wählern los?

Patzelt Seit die Pegida-Bewegung dort groß geworden ist, eigentlich schon seit der Wiedervereinigung, haben die Menschen dort weniger Vertrauen in die politische Elite als im Rest der Republik. Protest findet dort besonderen Widerhall, die Parteienlandschaft ist eine völlig andere - sie haben dort keine gewachsene Vergangenheit. Außerdem zieht das AfD-Thema Migration dort, Multikulti wie in westdeutschen Großstädten wollen die Ostdeutschen nicht - und da fühlen sie sich einfach nicht ernstgenommen.

Warum wollen sie im Osten kein "Multikulti"? Dort gibt es die wenigsten Ausländer.

Patzelt Die Ostdeutschen kennen es eben gar nicht, vor allem nicht die guten Seiten von Migration. Das liegt auch daran, dass Fälle von misslungener Integration die Schlagzeilen bestimmen - nicht die Erfolge. Hinzu kommt, dass den Ostdeutschen Patriotismus sehr wichtig ist, das wurde unterschätzt. Und der Osten ist nach der Wiedervereinigung nie einbezogen worden in die Europäisierung.

Was können Sie zur Wählerstruktur sagen?

Patzelt Die AfD-Wähler im Osten sind überwiegend Männer und Arbeiter. Die AfD ist dort die Partei der kleinen Leute - entgegen der akademisierten SPD und dem Kurs der CDU, die die politische Mitte nicht mehr mitgenommen haben.

Auch die Union ist weit von Ergebnissen früherer Wahlen entfernt. Ist der Ost-Bonus der Kanzlerin dahin?

Patzelt Wenn es den je gegeben hat. Die Union versteht sich als Partei der politischen Mitte. Für die Menschen, die sich als rechts verstehen, ist die Union schon lange keine Wahl mehr. Und weil die Union sich lange Zeit nicht um den rechten Rand gekümmert hat, hat sie eine Lücke geöffnet - für AfD und Pegida. Die Wahl hat den Schleier gelüftet und gezeigt: Viele fühlten sich von den Parteien nicht mehr vertreten. Die Union hätte ihren eigenen rechten Flügel nicht vernachlässigen dürfen.

Gerade in den von Björn Höcke dominierten Ländern liegt die AfD zehn Prozentpunkte über dem Rest der Republik - hat der Osten ein Nazi-Problem?

Patzelt Die Hälfte der Wähler haben sich aus Protest für die AfD entschieden, die andere Hälfte findet wirklich was an der Partei. Manche der Wähler kommen inhaltlich von der Union, manche von der NPD. Das muss sich erst sortieren.

JULIA RATHCKE FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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