Berliner Republik Der Siegeszug der Büroklammern

Auch bei den Grünen gewinnen nun die Sanften. Der Typus Marktschreier ist endgültig politisches Auslaufmodell. Die treuen Diener der Demokratie, die Schäubles, Steinmeiers, de Maizières und Kretschmanns, bestimmen die Politik. Gut so.

In keinem Porträt über die neue grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt fehlt das kleine Adjektiv "still". Die 46-Jährige gilt als zurückhaltend, ruhig, eine Nebendarstellerin auf der großen Bühne der Politik. Selbst in ihrem Heimatland Thüringen kennt nur jeder dritte Bürger die Bundestagsvizepräsidentin. Trotzdem warf Göring-Eckardt die prominenten und rhetorisch offensiven Grünen-Frauen Claudia Roth und Renate Künast aus dem Rennen.

Ist das wirklich nur dem bürgerlichen Habitus Göring-Eckardts zuzuschreiben, den sich angeblich viele (Neu-)Grüne als Realo-Gegenentwurf zu Jürgen Trittin wünschten? Wohl nicht. Es war vielmehr die unaufgeregte, nachdenkliche, ja fast sanfte Art der Theologin, die an der Basis einer wertekonservativ orientierten Partei Anklang fand. Die Spitzenauslese bei den Grünen passt in eine politische Entwicklung, die so ziemlich genau am 1. März 2011 begann. Damals trat der politische Heilsbringer schlechthin, Karl-Theodor zu Guttenberg, als überführter Fälscher von seinem Ministeramt zurück und vom Sockel des Polit-Superstars herab. Mit dem Rücktritt Guttenbergs änderte sich die ohnehin schwierige, durch das rasche Wechselspiel von Hoffnungen und Enttäuschungen geschundene Beziehung zwischen Bürger und Politiker. Eine neue Nüchternheit ist seither zu bewundern.

Auf den ersten Plätzen der Beliebtheitsrangliste der Politiker tummeln sich Staatsdiener ohne Fanclubs, Handwerker der Macht. Neben der Chef-Pragmatikerin Angela Merkel etwa der besonnene Herr Steinmeier, der konfliktscheue Herr Kretschmann und die beiden urpreußischen Pflichtpolitiker Wolfgang Schäuble und Thomas de Maizière. Es ist ein Siegeszug der Büroklammern. De Maizière pflegt gerne zu berichten, wie sehr er das Image des fleißigen, soliden Aktenlesers schätzt. Über die "geordnete Verwaltung" kann der Verteidigungsminister regelrecht ins Schwärmen geraten. Inszenierungen sind ihm zuwider.

Es ist also nicht so, wie es der "Spiegel" diese Woche in einer bunten Titelseiten-Geschichte weismachen will: Charisma sei der Schlüssel zum politischen Erfolg. Die besondere Gabe des Menschenfischens kann in der Bildschirm-Demokratie den Aufstieg befördern. Erfolg garantiert sie nicht. Im Gegenteil: Charisma birgt die Gefahr der Hybris, jener Selbstverehrung, die nicht nur bei zu Guttenberg, sondern in Teilen auch bei Norbert Röttgen und Christian Wulff zu besichtigen war. In der Berliner Republik sind Marktschreier und Selbstdarsteller Auslaufmodelle.

Starke Persönlichkeiten sind gefragt. Keine Stars.

(RP/pst)
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