London Der unterschätzte Labour-Rebell

London · Jeremy Corbyn ist kein Mann großer Gesten. Ein hochgereckter Daumen, ein Lächeln. Das ist alles, was er gewöhnlich im Moment des Triumphs zeigt. Als der 68-Jährige in der Wahlnacht am Freitag vor die Mikrofone tritt, sieht er erschöpft aus. Er ist in den vergangenen Wochen von Wahlkreis zu Wahlkreis gereist, hat auf unzähligen Veranstaltungen gesprochen.

Die Mühe hat sich gelohnt. In den Morgenstunden wird klar: Theresa Mays Konservative haben ihre absolute Mehrheit im britischen Parlament verloren. Corbyn forderte sie zum Rücktritt auf. Abzusehen war das nicht: Viele seiner Fraktionskollegen machten kein Hehl daraus, dass sie ihn für "unwählbar" hielten. Doch Corbyn wurde nicht zum ersten Mal von seinen Gegnern unterschätzt. Seine vor allem jungen Anhänger verehren ihn wie einen Popstar. Dieses Phänomen hat nun auch bei der Parlamentswahl seine Wirkung entfaltet.

Der dreifache Vater und in dritter Ehe verheiratete Politiker gilt als ehrliche Haut, als einer, der nicht mit schmutzigen Tricks kämpft. Persönliche Angriffe und Schmähungen beantwortet er nicht. "Das ist nicht mein Stil", sagt Corbyn. Seine Agenda passte von Anfang nicht zu der unter Tony Blair nach rechts gerückten Labourpartei. Corbyn konzentriert sich auf soziale Themen wie Wohnungsnot, den schlechten Zustand des Gesundheitssystems, Bildung und die Renten. Dafür liebt ihn die Labour-Basis. Doch dazu muss man wissen: Viele seiner Anhänger sind der Partei erst vor Kurzem beigetreten. Manche gehen soweit zu sagen, Corbyn habe die Partei mit seiner Graswurzel-Bewegung gekapert.

Mehr als 30 Jahre lang war er ein Labour-Hinterbänkler im britischen Parlament. Corbyn machte sich als Parteirebell einen Namen. Das änderte sich, als Labour 2015 krachend gegen die Konservativen verlor: Corbyn trat für den Posten des Parteichefs an. Obwohl ihm nur Außenseiterchancen eingeräumt worden waren, gewann er mit deutlicher Mehrheit. Noch klarer war sein Sieg ein Jahr später - als er in einer von der Fraktion erzwungenen Urwahl erneut triumphierte.

(dpa)
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