Berlin Der Weg zu Neuwahlen hat viele grundgesetzliche Hürden

Berlin · Sollten die Jamaika-Gespräche scheitern, geht es nicht ohne Weiteres an die Wahlurnen. Am Ende entscheidet der Bundespräsident.

Trotz des Machtworts der Kanzlerin ist das Thema Neuwahlen nicht abgeräumt. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer erklärte gestern, dass sie die Chancen einer Einigung für eine Jamaika-Koalition mit 50 zu 50 bewerte. Wenn die anderen Gesprächspartner nicht mutig genug für einen Politikwechsel seien, dann gehe die FDP lieber in Neuwahlen, als dass sie sich verbiegen lasse, sagte Beer. Am Wochenende hatte FPD-Chef Christian Lindner Neuwahlen ins Spiel gebracht. Die Kanzlerin warnte davor, immer wieder über Neuwahlen zu sprechen. Die Grünen sehen das ähnlich: "Ich muss schon sagen, dass das Gerede von Neuwahlen ziemlich unverantwortlich ist", sagte Parteichef Cem Özdemir.

Unabhängig davon, ob es politisch klug ist, Neuwahlen als echte Option zu sehen - sie können jedenfalls nicht ohne Weiteres angesetzt werden. Seit Bestehen der Bundesrepublik kam es bereits dreimal zu vorgezogenen Neuwahlen. Willy Brandt 1972, Helmut Kohl 1983 und Gerhard Schröder 2005 stellten jeweils die Vertrauensfrage im Bundestag - mit der Absicht verbunden, sich das Vertrauen nicht aussprechen zu lassen und so über Artikel 68 des Grundgesetzes den Weg für Neuwahlen freizumachen. Nach einem solchen Vertrauensverlust des Kanzlers liegt es in der Hand des Bundespräsidenten, ob er den Bundestag tatsächlich auflöst. In allen drei Fällen entschieden die Bundespräsidenten für Neuwahlen.

Diesen Weg kann Angela Merkel nicht beschreiten. Die Kanzlerin ist seit dem 24. Oktober nur noch geschäftsführend im Amt und kann damit auch keine Vertrauensfrage mehr stellen. Es existieren auch keine Fristen, bis wann eine neue Regierung nach einer Bundestagswahl im Amt sein muss.

Sollten die Jamaika-Gespräche scheitern und sollten die Sozialdemokraten bei ihrem Nein zu einer Regierungsbeteiligung bleiben, dann besteht nach Artikel 63 des Grundgesetzes die Möglichkeit, dass sich Merkel - auf Vorschlag des Bundespräsidenten - im Bundestag ohne gesicherte Regierungsmehrheit zur Wahl stellt. Rein theoretisch könnte der Bundespräsident auch einen Sozialdemokraten oder einen Abgeordneten einer weiteren Partei vorschlagen. Bislang aber stellte - außer ab 1969 zwischenzeitlich die SPD im Bündnis mit den Liberalen - stets die größte Fraktion im Bundestag den Kanzler. Dieser Tradition würde Frank-Walter Steinmeier sicherlich weiter folgen.

Im dritten Wahlgang würde Merkel die einfache Mehrheit zur Wahl reichen. Ob sie dann tatsächlich ernannt wird, bestimmt der Bundespräsident. In seinen Händen läge also die Entscheidung, ob Deutschland eine Minderheitsregierung bekäme. Der Bundespräsident muss im Sinne des Staatswohls entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit, dass er eine Minderheitsregierung gegen den Willen der Kanzlerin einsetzt, ist sehr gering. In einem solchen Fall ist eher damit zu rechnen, dass er den Bundestag auflöst und es zu Neuwahlen kommt. Bislang folgten Bundespräsidenten bei Entscheidungen über Neuwahlen stets dem politischen Willen der Mehrheit des Bundestags. Dass ein Präsident davon abweicht, ist eigentlich nur denkbar, wenn er durch Neuwahlen das Staatswohl gefährdet sieht.

(qua)
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