Das Idealbild der Jugend bleibt Der Wert des Alters

Das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt. Das Idealbild der Jugend bleibt. Viele Alte fühlen sich ausgegrenzt. Die Regierung will nun gegensteuern.

Berlin Der frühere Bürgermeister von Bremen, Henning Scherf (SPD), ist nach seiner aktiven politischen Zeit eine Art Anwalt für die Senioren im Land geworden. Bei jeder Gelegenheit ergreift der 73-Jährige mal scharfzüngig, mal humorvoll das Wort für die Alten. Nun leitet er eine dieser überparteilichen Kommissionen, die Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Nation machen sollen.

Die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Lüders, erwartet ein Konzept, wie alte Menschen in allen Lebensbereichen wie Arbeit, Kultur, Technik und Bildung gleichberechtigt teilhaben können. "Wir dürfen nicht Allerweltsweisheiten abliefern", steckt Scherf das eigene Ziel ab. Bis November sollen die Vorschläge auf dem Tisch liegen.

Die Experten werden sich voraussichtlich mit einem kuriosen Sammelsurium an Diskriminierung durch Lebensalter beschäftigen. "Das deutsche Arbeitsrecht ist durchtränkt von altersdiskriminierenden Maßnahmen", meint der Kölner Jurist Felipe Temming. Als Beispiel nennt er Tarifverträge von Piloten, die mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen müssen.

Auch bei der Kreditvergabe durch Banken bekommen Ältere häufiger Absagen als Menschen mittleren Alters. Den Diskriminierungs-Fahndern ist zudem ein Dorn im Auge, dass der Abschluss einer privaten Zusatz-Krankenversicherung in der Regel nur bis zum Alter von 65 oder 70 Jahren möglich ist.

Bei der Suche nach geeignetem Wohnraum stoßen ebenfalls viele Senioren an Grenzen. Einer Studie des Kuratoriums Deutscher Altershilfe zufolge gibt es in Deutschland knapp 550 000 Wohnungen ohne oder mit nur wenigen Zugangsbarrieren. Dies entspreche 1,2 Prozent des Wohnungsbestandes.

Der Chef der Senioren-Union, Otto Wulff, regt sich darüber auf, dass man mit 70 Jahren nicht mehr Schöffe bei Gericht sein darf. "Es kann nicht sein, dass man Leute ausschließt, die aufgrund ihrer Lebens- und Berufserfahrung noch die besten Urteile fällen können", sagt er. Es gehe auch nicht, dass man öffentlich-rechtliche Gutachter ab einem gewissen Alter ausschließe. Diese Gesetze seien in der wilhelminischen Zeit entstanden.

Trotz der Vielfalt an Ungleichbehandlung von Älteren und Jüngeren, die es seit Jahren gibt, ist es kein Zufall, dass die Kommission in diesem Jahr startet. Seit Beginn des Jahres ist die Reform der Rente ab 67 in Gang. Sie gilt als Kristallisationspunkt beim Thema Benachteiligung Älterer. Wer in diesem Jahr seinen 65. Geburtstag feiert, muss einen Monat länger arbeiten, um die Regelarbeitszeit zu erreichen. Die Altersgrenze steigt schrittweise bis ins Jahr 2029. Dann müssen alle Arbeitnehmer bis 67 im Job bleiben, um Anspruch auf die volle Rente zu erwerben.

SPD, Grüne, Linke und die Wohlfahrtsverbände laufen Sturm gegen die aktuelle Regelung. Sie fordern, erst müsse die Situation Älterer am Arbeitsmarkt verbessert werden, bevor die Regelarbeitszeit verlängert werden kann. In der Bevölkerung ist die Skepsis groß, was die Chancen Älterer betrifft: 55 Prozent der Bürger meinen einer Forsa-Umfrage zufolge, ab 45 Jahren bekomme man keinen Job mehr.

Den Chef der Senioren-Union empört das Stereotyp vom leistungsschwachen Alten. "Ein Vorurteil lautet, Alter habe etwas mit Schwäche zu tun, mit weniger Können, mit weniger Leistung. Das mag in einigen wenigen Berufen, die eine harte körperliche Beanspruchung mit sich bringen, zutreffen", betont er. Aber für den größten Teil der Arbeitnehmer gelte dies nicht. "Das Alter wird häufig als Grund vorgeschoben, um jemanden loszuwerden."

Vor dem Hintergrund solch ernüchternder Befunde, dass bereits Menschen Mitte 40 als alt wahrgenommen werden, hat die Bundesregierung 2012 zum Themenjahr gegen Altersdiskriminierung gemacht. Optimistischer Titel: "Im besten Alter. Immer." Die Beauftragte der Bundesregierung will weg vom Negativ-Image des Alterns. "Noch nie gab es eine so gesunde, aktive, gebildete und materiell wohlhabende Generation 60plus", sagt Lüders. Doch es dominierten negative Altersbilder wie "Methusalem-Komplott", "Altersfalle" oder "Überalterung".

Als Unterstützer für ihr Themenjahr hat Lüders Prominente gewonnen. So setzen sich die Schauspieler Axel Pape, Liz Baffoe und Uschi Glas für die Kampagne ein. Ebenso der Sänger Peter Maffay und die Kabarettistin Maren Kroymann. Sie sollen bei einem Aktionstag im April auftreten.

Auf die Frage, ab wann der Mensch eigentlich alt ist, gibt es viele Antworten. Spitzensportler sind mit 30 alt. Arbeitnehmer sind in vielen Branchen mit 45 alt. Zuschauer privater TV-Sender sind mit dem 50. Geburtstag schlagartig alt.

Der Altersforscher Andreas Kruse aus Heidelberg legt sich auf keine Grenze fest: "Es gibt kein Alter, ab dem wir sagen könnten: Nun beginnt das Alter. Wir müssen uns sehr viel mehr auf diese kontinuierlichen, das heißt, allmählich verlaufenden Veränderungsprozesse einstellen."

Aus seinem Forscheralltag, in dem er immer wieder Menschen fragt, ab wann aus ihrer Sicht das Alter beginnt, erhält er häufig die Antwort, dies sei ab 80 der Fall. "Wobei Alter hier vielfach gleichgesetzt wird mit Hilfsbedürftigkeit, chronischen Erkrankungen, vielleicht sogar Gebrechlichkeit."

Tatsächlich könnten Biologen, Mediziner und Psychologen nachweisen, dass ab der Mitte des neunten Lebensjahrzehnts bemerkenswerte Veränderungen in vielen körperlichen und teilweise auch in geistigen Merkmalen stattfänden. Kruse betont: "Diese Merkmale bringen uns zu der Interpretation, dass die Verletzlichkeit des Organismus erkennbar zunimmt." Das werde von Menschen in diesem hohen Lebensalter vielfach auch so wahrgenommen und dann mit dem Begriff "Alter" belegt.

(RP)
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