Manila Deutsche Geiseln auf den Philippinen frei

Manila · Die Islamisten hatten gedroht, den Arzt aus Hessen zu enthaupten. Umso größer war gestern die Erleichterung, als der Entführte und seine ebenfalls gekidnappte Lebensgefährtin überraschend freigelassen wurden. Offenbar floss Lösegeld.

Der Nervenkrieg um den bei einer Segeltour vor den Philippinen auf die Insel Jolo verschleppten Arzt Stefan O. (72) aus dem Rheingau und seine Partnerin Henrike D. (55) fand gestern ein glückliches Ende: Nach einem halben Jahr in der Gewalt einer islamistischen Terrororganisation sind sie wieder frei, wie das Auswärtige Amt am Abend bestätigte. "Wir sind erleichtert, bestätigen zu können, dass die beiden Deutschen nicht mehr in der Hand ihrer Entführer sind", sagte eine Sprecherin. "Sie befinden sich gegenwärtig in der Obhut von Mitarbeitern der Botschaft Manila. Wir danken der Regierung der Philippinen für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit."

Vorausgegangen war die Drohung der Kidnapper, den Arzt zu köpfen, wenn kein Lösegeld gezahlt werde. Dieses Ultimatum war am Morgen abgelaufen. Zunächst blieb unklar, ob die geforderten vier Millionen Euro gezahlt worden sind oder ob das philippinische Militär die Verschleppten befreit hat. Einen Tag vor Ablauf des Ultimatums der Islamisten war der Krisenbeauftragte des Außenministeriums, Rüdiger König (57), zu Gesprächen über die Freilassung auf der Inselgruppe eingetroffen.

Philippinische Streitkräfte waren nach eigenen Angaben zuvor eingeschritten, um die Geiseln aus der Hand der Islamisten zu befreien. "Ein Bataillon ist ausmarschiert", sagte ein Armeeangehöriger, der anonym bleiben wollte. Er sprach von "einer Art Rettungsaktion". "Sie sind jetzt in Sicherheit in einem Militärcamp", erklärte Roberto Fajardo, Chef einer Einsatzgruppe der philippinischen Polizei.

Ein Sprecher der Terrorgruppe Abu Sayyaf betonte dagegen in einem Radiointerview, die Deutschen seien gegen Zahlung der geforderten Summe freigelassen worden. "Wir haben das Lösegeld erhalten, keinen einzigen Centavo mehr, keinen weniger", sagte der Sprecher, der sich Abu Rami nannte. Er habe das Militär gewarnt: "Wenn der Person vor dem Ende des Ultimatums etwas zustößt, sollte die Öffentlichkeit die Regierung der Philippinen dafür verantwortlich machen." Rund drei Stunden vor Ablauf des Ultimatums habe er einen Anruf erhalten. Der Mann am anderen Ende der Leitung habe ihm gesagt, er solle auf das Lösegeld warten.

In philippinischen Regierungskreisen hieß es dem Magazin "Focus" zufolge, rund 60 Millionen Pesos (1,04 Millionen Euro) seien direkt gezahlt worden. Der Rest des Geldes solle nach weiteren Verhandlungen übergeben werden.

In den vergangenen Monaten waren die beiden Geiseln von den Entführern mehrfach in Radio- und Videobotschaften vorgeführt worden. Sie flehten sie dabei verzweifelt um Gnade. Ihre Lage schien hoffnungslos: "Ich bin hier in einem Loch, es ist groß, drei mal fünf Meter. Sie haben gesagt, dies ist mein Grab", hatte der deutsche Professor am Donnerstag in einem bewegenden Radiointerview mitgeteilt. Man habe ihn von seiner Partnerin getrennt, er habe stark abgenommen, es gebe nicht ausreichend zu essen. Zehn Bewaffnete bewachten ihn.

Der Arzt wurde auch gezwungen, sich vor einer schwarzen Flagge der Terrormiliz "Islamischer Staat" filmen zu lassen. Denn außer Lösegeld forderte Abu Sayyaf, Deutschland solle seine Unterstützung des internationalen Kampfs gegen die "muslimischen Brüder" in Syrien und im Irak einstellen.

Nach Überzeugung der philippinischen Geheimdienste befinden sich noch zehn weitere Geiseln in der Hand der Gruppe. Vermisst werden zwei Vogelbeobachter aus den Niederlanden und der Schweiz sowie zwei Malaysier und ein Japaner. Immer wieder erpressten die Islamisten mit Geiselnahmen Geld, um ihren Kampf zu finanzieren. Im Juni hatte die Gruppe eine Philippinin und eine chinesische Touristin freigelassen, die aus einer Hotelanlage entführt worden waren.

Die Extremisten verübten einige der verheerendsten Terroranschläge, die das südostasiatische Land in den vergangenen Jahrzehnten erlebte. Die Gruppe war im Jahr 2000 auch für die Entführung der deutschen Familie Wallert und 18 anderer Geiseln von einer Taucherinsel in Malaysia verantwortlich. Die Wallerts kamen erst nach mehr als drei Monaten frei, nachdem offenbar mehrere Millionen Euro gezahlt worden waren.

Das Auswärtige Amt in Berlin rät, die Insel Mindanao wegen der Entführungsgefahr unbedingt zu meiden. "In Teilen der Philippinen muss mit terroristischen Anschlägen gerechnet werden. Ziele sind insbesondere öffentliche Plätze, zum Beispiel Märkte, religiöse Einrichtungen und öffentliche Verkehrsmittel", heißt es in den aktuellen Reisehinweisen. "Auch auf weiter nördlich gelegenen Inseln kann ein Entführungsrisiko nicht ausgeschlossen werden. In der Sulu-See kann es zu Übergriffen auf Segel- und Tauchboote kommen." Meist gehe es dabei um Lösegelderpressungen ohne politische Motive.

Der 72-Jährige und seine Lebensgefährtin werden nun von Ärzten untersucht, wie sie die Geiselhaft gesundheitlich verkraftet haben. "Dann werden sie auf den nächstmöglichen Flug nach Manila warten", sagte ein Regierungssprecher.

(RP)
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