Arnaud Montebourg "Deutscher Vorsprung gefährlich für Europa"

Frankreichs Industrieminister fordert Lohnerhöhungen in Deutschland und setzt auf einen SPD-Sieg bei der Bundestagswahl.

Herr Minister, gerade haben Sie im französischen Fernsehen gefordert, Deutschland müsse mit dem Sozialdumping aufhören und die Löhne erhöhen, damit in Europa wieder Wachstum entstehen könne. Liegt denn die Lösung der wirtschaftlichen Probleme allein in Berlin?

Montebourg Nein, natürlich nicht. Aber Deutschland und Frankreich könnten noch viel mehr gemeinsam dafür tun, dass wir endlich wieder Wachstum in Europa bekommen. Deutschland hat heute einen gewaltigen Exportüberschuss gegenüber seinen Partnern, das ist ein Fakt. Die deutsche Wirtschaft hat sich über viele Jahre mit Lohnzurückhaltung einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Aber diese Situation, dieses Ungleichgewicht ist auf Dauer ökonomisch unhaltbar, ja gefährlich. Wir dringen also darauf, dass es hier zu einer Angleichung zwischen unseren Ländern kommt. Im Übrigen geht die Diskussion in Deutschland ja durchaus in diese Richtung; so steht die Forderung nach einer allgemeinen Anhebung der Löhne im Wahlprogramm der SPD.

Glauben Sie, dass Sie diesen Kurs leichter durchsetzen können, sollte im Herbst bei der Bundestagswahl Peer Steinbrück Kanzler werden?

Montebourg Es ist jedenfalls kein Geheimnis, dass wir den politischen Ideen der SPD näherstehen als denen der aktuellen politischen Mehrheit in Berlin, die als Regierung unser jetziger Gesprächspartner ist. Wir gehören schließlich zur selben politischen Familie in Europa, und 2011 haben wir, die französischen Sozialisten und die SPD, ein gemeinsames Programm verabschiedet. Darin teilen wir die Analyse zu den Ursachen der Euro-Krise, und wir haben auch ganz ähnliche Vorstellungen zur Industriepolitik. Wie dem auch sei, wir werden nach der Bundestagswahl ganz pragmatisch und in aller Freundschaft mit denjenigen Entscheidungsträgern zusammenarbeiten, die von den Deutschen gewählt wurden.

Deutschlands Wirtschaft profitiert heute von Arbeitsmarktreformen, die einst von einem SPD-Kanzler durchgesetzt wurden. Ist die "Agenda 2010" auch ein Modell für Frankreich?

Montebourg Ich glaube nicht, dass es in Europa ein Modell gibt, das man allen Ländern überstülpen kann. Sie sind zu unterschiedlich, die Menschen sind zu unterschiedlich. Hingegen kann man gegenseitig voneinander lernen. In Deutschland gibt es seit Langem eine ausgeprägte aktive Mitbestimmung in den Unternehmen. Deutschland hatte vor zehn Jahren Reformbedarf, Frankreich hat dies heute. Wir sind beispielsweise gerade dabei, einen "Pakt für die Wettbewerbsfähigkeit" umzusetzen. Aber neben all diesen Unterschieden und Eigenheiten gibt es eben auch viele Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Frankreich. Es liegt in unserer Hand, dem übrigen Europa gemeinsam zu zeigen, dass mehr Wachstum möglich ist. Und ich glaube, dass unsere deutschen Freunde durchaus empfänglich für diese Botschaft sind.

Es gibt aber einen Dissens zwischen Berlin und Paris, wie mit der Staatsverschuldung in Europa umzugehen ist. Die Bundesregierung verlangt eine strikte Sanierung der Haushalte, in Paris scheint das nicht so wichtig.

Montebourg Diese Diskussion findet vor allem zwischen der EU-Kommission und dem Rest der Welt statt! Wir setzen eine ernste Haushaltssanierung um, aber die Amerikaner können einfach nicht verstehen, warum wir uns in Europa totsparen, statt voll auf die Ankurbelung der Wirtschaft mit frischem Geld zu setzen, wie sie es ja selbst auch tun. Und beim Internationalen Währungsfonds hat man inzwischen längst eingestanden, dass man sich getäuscht hat und dass eine Austeritätspolitik kontraproduktiv für das Wirtschaftswachstum ist.

Dieser Ansicht sind aber nicht alle Ökonomen...

Montebourg ... aber sehr viele! Wir sollten diese Diskussion jedenfalls genau verfolgen und nach pragmatischen Lösungen suchen. Ich bin davon überzeugt, dass es in unserer Lage in Europa keinen guten und keine schlechten Schüler gibt und auch keinen Klassenlehrer, der für alle entscheidet. Wir müssen uns entscheiden, was wir wirklich wollen: Was bringt uns denn eine Sanierung der Finanzen, wenn dabei die Wirtschaft vor die Hunde geht? Deshalb sage ich: Haushaltsdisziplin ja, Totsparen nein. Staatspräsident François Hollande hat es unlängst übrigens sehr klar formuliert: Wir brauchen ordentliches Wirtschaftswachstum in Frankreich und in ganz Europa. Also müssen wir einen Weg finden, es zu bekommen. Das ist dann auch gut für Deutschland, denn unser Schicksal ist eng verbunden.

MATTHIAS BEERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort