Sommer-Interview mit Anton Hofreiter "Allein Israel die Schuld zu geben, ist skandalös"

Berlin · Der Fraktionschef der Grünen, Anton Hofreiter, über das neue Selbstverständnis seiner Partei, mehr Steuergerechtigkeit und den endlosen Nahost-Konflikt.

 Anton Hofreiter, Fraktions-Vorsitzender der Grünen.

Anton Hofreiter, Fraktions-Vorsitzender der Grünen.

Foto: dpa, Carmen Jaspersen

Wir sitzen hier im Grünen, unter Bäumen, neben einem Lavendel-Busch. Kommt Ihnen das entgegen?

Hofreiter Bei so schönem Wetter bin ich gerne draußen. Drinnen ist es gerade viel zu stickig.

Ist uns die Natur heute nicht mehr so wichtig wie zu Beginn der ökologischen Bewegung?

Hofreiter Es gibt auf alle Fälle eine verblüffende Entwicklung: Während sich die gefährlichen Klimaveränderungen auf immer mehr Menschen und Regionen auswirken, tut die Politik so, als hätten wir schon genug über das Thema geredet. Wir haben das Problem aber nicht gelöst, im Gegenteil. Wetterkatastrophen werden häufiger, außerdem sterben im Moment so viele biologische Arten aus wie noch nie in der Geschichte des Lebens.

Ist das Thema Klima- und Naturschutz griffig genug für die Grünen als großes Zukunftsthema - so, wie der Atomausstieg früher ihr Mega-Thema war?

Hofreiter Zugegeben, die Klimaveränderungen sind schwerer zu fassen als das Thema Atomausstieg. Trotzdem ist und bleibt unser Mega-Thema der notwendige ökologische und soziale Umbau unserer Wirtschaft zum Schutz unserer Lebensgrundlage.

Wie wichtig ist, dass Ende 2015 ein Weltklima-Vertrag zustande kommt?

Hofreiter Ein Weltklimavertrag ist für unser Leben elementar wichtig. Wir benutzen die Atmosphäre unseres Planeten bisher als Deponie für unsere Abgase. Deutschland und Europa müssen dringend mit gutem Beispiel vorangehen. Wir müssen der Welt zeigen, dass es möglich ist, aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen und trotzdem unseren Wohlstand und unsere Wirtschaftskraft zu erhalten. Wenn das gelingt, wird das eine Sogkraft entwickeln und die Klima-Verhandlungen enorm erleichtern.

Wollen Sie dabei auch die vielen FDP- und AfD-Wähler mitnehmen, die eine neue politische Heimat suchen, aber andere Prioritäten haben als den Klimaschutz?

Hofreiter AfD-Wähler sind keine potenziellen Wähler für die Grünen. Und viele FDP-Wähler gibt es ja nicht mehr. Aber denen wird vielleicht auch auffallen, dass wir die einzige im Bundestag noch verbliebene Bürgerrechtspartei sind.

Sind Sie auch eine bürgerliche Partei?

Hofreiter Ich bin mir nicht sicher, was der Ausdruck "bürgerlich" in politischen Kontext genau bedeuten soll. Ich finde es beispielsweise arrogant von der CDU zu sagen, sie seien die einzige bürgerliche Partei. Also ob die anderen nicht auch von und für Bürgerinnen und Bürger wären. Sei's drum. Wir Grüne werden zum Beispiel von vielen Selbstständigen gewählt, in Bremerhaven haben wir bei der letzten Bürgerschaftswahl aber auch bei den Arbeitslosen stark hinzugewonnen. Weil die Menschen darauf setzen, dass mit grünen Ideen schwarze Zahlen geschrieben werden können. Dass also eine moderne, ökologische Ausrichtung der Wirtschaft am Ende zu mehr Wachstum und Arbeitsplätzen führen wird.

Das passt auch gut zur Union, nicht? In Hessen wächst ja auch schon zusammen, was zusammen gehört.

Hofreiter Was zusammen passt zeigt sich immer wieder neu. Natürlich sind wir froh, dass Schwarz-Grün in Hessen gut funktioniert. Auch die SPD geht ja mit großer Selbstverständlichkeit Koalitionen mit der CDU ein. Da sagt niemand: Da wächst zusammen, was zusammen gehört. Wobei sich SPD und Union ähnlicher sind, als sie zugeben wollen. CDU-Generalsekretär Tauber sagt, die Grünen müssten mehr in die Mitte rücken, dann könnte Schwarz-Grün im Bund 2017 klappen.

Stimmen Sie zu?

Hofreiter Ich weiß nicht, was Herr Tauber damit meint. Das Problem bei den gescheiterten schwarz-grünen Sondierungsgesprächen 2013 war, dass die Union nicht verstanden hat, dass die Grünen nicht regieren wollten, um schöne Posten zu besetzen, sondern um echte Veränderungen durchzusetzen. Wir wollen 2017 an die Regierung, aber mit demselben Impetus: um dringend notwendige Veränderungen anzustoßen. Ob und mit welchem Koalitionspartner das am besten geht, sehen wir dann. Das kann die Union sein, das kann auch Rot-Rot-Grün sein. Wir werden vorbereitet sein.

Haben Sie diese Äquidistanz, den gleichen Abstand der Grünen zu Union und SPD, schon hergestellt?

Hofreiter Nein. Wir müssen nicht inhaltlich gleich weit entfernt sein von den beiden Volksparteien, sondern schlicht Verständnis und Vertrauen zu beiden Seiten aufbauen.

In der Steuerpolitik wollen die Grünen doch mehr zurück in die Mitte, oder?

Hofreiter Im Wahlkampf ist bei der Steuerpolitik manches falsch gelaufen. Die grüne Grundposition, dass unser Staat gerecht finanziert werden muss, bleibt aber richtig. Es stellt sich nur die Frage, ob die Gerechtigkeitslücke bei Leuten beginnt, die vielleicht 80000 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen haben, oder doch woanders. Wir haben meines Erachtens nicht die entscheidende Gerechtigkeitsfrage gestellt, wenn wir ab dieser Einkommenshöhe den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent erhöhen wollen. Viel entscheidender ist für mich, dass sich Einkommens- und Vermögensmillionäre an der Finanzierung des Gemeinwesens nicht angemessen beteiligen.

Das heißt, Sie setzen vor allem auf eine Vermögensteuer?

Hofreiter Eine kluge Form der Vermögensteuer ist denkbar. Wir haben eine sehr niedrige Vermögensbesteuerung im Vergleich zu Großbritannien oder den USA.

Was sagen die Grünen denn zum Soli: Soll der dauerhaft bleiben?

Hofreiter Man wird den Soli 2019 nicht einfach abschaffen, weil der Solidarpakt II ausläuft. Ich denke wir werden erleben, dass der Bund den Ländern ab 2020 einen Teil der Soli-Einnahmen abtritt, zum Beispiel zum Altschuldenabbau. Denn wir haben viele Länder, denen diese Altlasten die politischen Handlungsspielräume abschnüren.

Die große Koalition hat die größten Brocken ihres Regierungsprogramms schon abgearbeitet. Kommen jetzt drei verlorene Jahre?

Hofreiter Das droht in der Tat. Es fehlt Mut für Zukunftsaufgaben. Die Koalition müsste viel mehr für den Klimaschutz tun, denn es zeichnet sich längst ab, dass wir nicht unser Klimaziel 2020 erreichen. Unser Renten-, Pflege- und Gesundheitssystem kann nicht Schritt halten mit der rasanten Alterung und der enorm gestiegenen Lebenserwartung und den veränderten Arbeits- und Einkommensverhältnissen. Hier müsste die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode handeln und Reformen angehen, sie darf nicht zuwarten bis nach 2017.

Haben Sie ein Konzept für ein Ende der Gewalt in Nahost?

Hofreiter Ich maße mir nicht an, ein Patentrezept zu haben. Da ist ja eine ganze Region in der Krise — von Syrien, über den Irak bis zum Israel-Palästina-Konflikt. Ich glaube nicht daran, solche Konflikte mit Militärinterventionen in den Griff zu kriegen Das ist immer wieder schief gegangen. Wir müssen dahin kommen, Konflikte einzudämmen und Länder mit noch stabilen Strukturen umso mehr zu stärken und selber Hilfe anbieten. Wenn wir uns zum Beispiel den Libanon anschauen, wo vier Millionen Einwohner eine Million Flüchtlinge aufgenommen haben, dann frage ich mich, ob wir hier genug tun. Ähnliches gilt für Jordanien oder für das irakische Kurdistan. Wenn die Strukturen dort kollabieren, wird die Katastrophe noch größer. Es wäre klug, Schritt für Schritt die Region zu stabilisieren, statt konzeptlos von einer Katastrophe zur anderen zu hetzen.

Sollte Israel aufhören, den Gaza-Streifen zu bombardieren?

Hofreiter Der Nahost-Konflikt ist extrem verzwickt. Auch Israel trägt zur Gewaltspirale bei. Doch diese Selbstverständlichkeit, mit der von manchen Israel die alleinige Schuld zugeschoben wird, finde ich absolut skandalös. Niemand darf so tun, als würde Israel nicht mit Hunderten von Raketen aus dem Gaza-Streifen beschossen. Das sind keine unkontrollierten Terroristen, sondern Kämpfer der Hamas, die dort die Staatsmacht stellen. Ich habe Verständnis dafür, dass Israel versucht, dieser Bedrohung auch militärisch Herr zu werden. Aber die Verhältnismäßigkeit der Reaktion steht für mich sehr in Frage.

Sind Sie persönlich angekommen im Amt des Fraktionsvorsitzenden?

Hofreiter Gemessen daran, dass ich den Fraktionsvorsitz nach einer schweren Wahlniederlage übernommen habe und dass viele ein Auseinanderfallen der Grünen erwartet hatten, ist die Entwicklung sehr gut. Bei der Wahl lagen wir noch hinter der Linkspartei, jetzt liegen wir in den Umfragen vor ihnen. Offensichtlich schätzen die Bürger, was wir machen.

Können Sie sich vorstellen, einmal Rudolf Scharping und Jürgen Trittin zu folgen und sich persönlich für eine "Politik ohne Bart" zu entscheiden?

Hofreiter (lacht herzlich) Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

(mar, may-)
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