Länder reichen Verbotsantrag ein 303 Belege sollen die NPD entlarven

Berlin · Zehn Jahre nach dem Scheitern des ersten NPD-Verbotsantrags wagen die Länder einen neuen Anlauf in Karlsruhe. Auf 286 Seiten haben sie 303 öffentlich zugängliche Belege gesammelt, die eine Wesensverwandschaft mit der NSDAP beweisen sollen. Gleich mehrere Passagen aus dem Antrag sind schier unerträglich. Dennoch befürchten Kritiker eine Bruchlandung.

NPD-Verbotsantrag - ein riskantes Unterfangen
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NPD-Verbotsantrag - ein riskantes Unterfangen

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Am Dienstag ging wie vorgesehen der NPD-Verbotsantrag der Länder beim Bundesverfassungsgericht ein. Der Antrag kam per Bote an. Der Bundesrat stellt den Antrag auf ein Verbot der rechtsextremen Partei als einziges Verfassungsorgan. Bundesregierung und Bundestag haben sich nicht angeschlossen, Kanzlerin Merkel hofft laut Regierungssprecher Steffen Seibert aber auf einen Erfolg.

Die Länder zeigen sich überzeugt, dass sie stichhaltiges Material für ein erfolgreiches Verbotsverfahren vorlegen können. Zusammengestellt und formuliert haben den Antrag die Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers und Christian Waldhoff. Es bestehe eine "Wesensverwandtschaft" der NPD zum Nationalsozialismus, die für sich schon ein Verbot rechtfertige, schreiben sie. So vertrete die NPD ein "biologistisch-rassistisch" geprägtes Konzept der "Volksgemeinschaft".

Die Lektüre der Inhalte gleicht für aufgeklärte Geister einer Zumutung. Fünf Beispiele.

Rassismus Deutscher sei man von "von Geburt oder eben nicht", zitieren die Antragsteller aus einer Broschüre des Parteivorstands, die als Argumentationshilfe für NPD-Funktionäre gedacht ist. "Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers [...] ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert", heißt es weiter in dem NPD-Papier. "Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb [...] immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben." Aus diesem und anderen Belegen folgern die Antragsteller: Der Volksbegriff basiere auf "menschenverachtendem Rassismus".

Bereitschaft zur und Androhung von Gewalt Im Antrag verweisen Zitate auf die gezielte Zusammenarbeit mit Skinheads. Zur Begründung heißt es, die seien bereit, "als politische Soldaten zu denken und zu handeln." Zudem forderten NPD-Funktionäre aktiv zur Anwendung von Gewalt auf: "Werdet aktiv im nationalen Widerstand oder bildet Bürgerwehren, holt euch euer Land zurück", zitiert der Bericht laut "Süddeutsche Zeitung" einen Kreisvorsitzenden. "Wir gehen in den Angriff und wachsen bewusst im Sturm!", hieß es von den Jungen Nationaldemokraten.

Relativierung von NS-Verbrechen Auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitiert aus dem Antrag. Demnach warb der frühere Parteichef Udo Voigt im Wahlkampf mit dem Slogan "Gas geben" um Stimmen und das auch noch vor dem Jüdischen Museum in Berlin.

Die Aufklärung Jugendlicher über den Holocaust verhöhnt der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel. Er fragt, ob für die, die an den Holocaust nicht glaubten, "vielleicht wieder eine Baracke in Buchenwald oder Auschwitz aufgeschlossen" werde, wo dann "Migranten als Aufseher" den "jungen Deutschen ihre angebliche Erbschuld mit der Auschwitz-Keule einprügeln".

Glorifizierung von Adolf Hitler "Möge dieser Parteitag am Wochenende des 20. April dem einen oder anderen Delegierten ins Gedächtnis rufen, wozu der größte Sohn unseres Volkes in der Lage war", zitierte abermals die "Süddeutsche Zeitung" aus dem Verbotsantrag.

Aggressive Grundhaltung gegen die demokratische Grundordnung Ein zentrales Thema im Antrag, weil es für das Gericht entscheidendes Kriterium für ein verbot darstellt. So bemüht sich der Antrag, auch revolutionäre Bestrebungen zu dokumentieren.

Ein Beispiel: NPD-Bundesvize Udo Pastörs postulierte laut zeit.de als Ziel der NPD "den Maximalschaden dieses Parteienstaates, der nichts anderes ist als der verlängerte Arm USraels ist". Das Zitat stammt demnach aus einer öffentlichen Rede vom Politischen Aschermittwoch 2009 in Saarbrücken.

Vom Bundesparteitag 2010 zitiert die Süddeutsche aus der Rede eines Vorstandsmitglieds: "Wir haben ja nicht vor, in den Landtag einzuziehen, um Teil des Systems zu werden. (. . .) Das draußen ist ein kaltes, zubetoniertes, volksfeindliches, asoziales System, das gehört nicht verändert, das gehört abgeschafft."

Die Länder geben sich selbstsicher

Der NPD-Verbotsantrag der Bundesländer ist damit aus Sicht von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) solide untermauert. "Wir sind der Überzeugung, dass wir gutes Material zusammengetragen haben, unbelastetes Material, frei von V-Leuten, das testieren wir ja auch", sagte Pistorius der Nachrichtenagentur dpa in Hannover. Die Begründung der Prozessbevollmächtigten der Länder sei außerordentlich schlüssig und stringent.

Fachleute zeigen sich allerdings vorsichtig, wenn nicht sogar skeptisch. So etwa der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier am Dienstag im RBB-Inforadio: "Ein Verbot politischer Parteien muss die äußerste Ausnahme sein", sagt der Jurist. Um eine Partei verbieten zu können, gebe es hohe Hürden. Die Vertretung und Verbreitung verfassungswidriger Ideen allein reichten für ein Verbot nicht aus - es müsse auch eine aggressiv-kämpferische, aktiv-kämpferische Haltung gegenüber den Grundwerten und dem Kernbestand der verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen.

Die Achillesferse

Das aber könnte sich als große Schwachstelle im Antrag erweisen. Dass ausgerechnet der NPD zuzutrauen ist, die Grundfeste der Republik ernsthaft zu gefährden, ist angesichts der akuten Schwäche der Partei nur schwierig zu begründen. Bei den vergangenen Wahlen schnitt die NPD im Bereich "Sonstige" ab: 0,8 Prozent in Niedersachsen, 1,2 Prozent in Bayern, 1,1 Prozent in Hessen und 1,3 im Bund. Hinzu kommen gravierende Finanzprobleme. Die Partei kämpft derzeit mehr ums Überleben als gegen das System.

Der Antrag versucht diese Argumente mit einem Verweis auf die konkrete Lage in Bereichen von Mecklenburg-Vorpommern zu entkräften. Einem beigefügten Gutachten zufolge hat die NPD dort bereits auf lokaler Ebene die Freiheit des demokratischen Lebens nicht nur bedroht, sondern bereits faktisch einschränkt.

Der EuGH setzt hohe Hürden

Verbotsverfahren vor dem höchsten deutschen Gericht bescherten "relativ marginalen Gruppierungen" ungerechtfertigte Aufmerksamkeit im In- und Ausland - insbesondere wenn ein Verbotsverfahren scheitere, kritisiert Papier außerdem. Zudem habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine noch höhere Hürde für ein Parteienverbot errichtet, indem er ein "dringendes soziales Bedürfnis für die Auflösung einer Partei" verlange.

Der frühere Verfassungsgerichts-Präsident plädierte dafür, extremistische Gesinnungen politisch zu bekämpfen. Gefragt seien "Aufgeklärtheit, Wachheit, Mut und Engagement der Zivilgesellschaft, um solche verwerflichen und verwirrten politischen Ideologien und Anschauungen zu bekämpfen und in eine politische und gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit zu verbannen", sagte Papier.

Mit Material von dpa und AFP

(dpa/AFP/pst)
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