60 Jahre Bundeswehr "Frauen als Soldaten? Zu meiner Zeit gab es noch nicht mal Polizistinnen"

Köln · Seit 1955 existiert die Bundeswehr. 60 Jahre später tauschen eine junge Berufssoldatin von heute und ein Soldat der Anfangszeit Erfahrungen aus. Dabei wird deutlich, was "ihre Armeen" verbindet und trennt.

45 Jahre zwischen Dienstantritt - ein Treffen der Bundeswehr-Generationen
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45 Jahre zwischen Dienstantritt - ein Treffen der Bundeswehr-Generationen

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Foto: Sebastian Wanninger, PIZ Personal

Als der Mönchengladbacher Dieter Schmitz zur Bundeswehr eingezogen wurde, waren die Kampfpanzer der Heeressoldaten in der Göttinger Ziethen-Kaserne noch auf Lastwagen montierte Papp-Attrappen; auch die Panzerabwehrlenkraketen der Kompanie wurden zunächst durch harmlose Holzmodelle dargestellt. "Es musste viel improvisiert werden. Es war eben alles noch im Aufbau", berichtet der 74-Jährige in der Lüttich-Kaserne in Köln der 33-jährigen Beate Schöne. Sie ist Leutnant der Luftwaffe und beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr tätig.

Anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Bundeswehr hat unsere Zeitung die beiden zum Erfahrungsaustausch zusammengeführt. Wir wollten wissen: Reden beide von derselben deutschen Armee?

Als er zur Bundeswehr ging, war ihre Mutter erst drei

1959 war bereits die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden. Schmitz, der eine Lehre zum Schaufenstergestalter absolviert hatte, meldete sich freiwillig für vier Jahre als Zeitsoldat, um nicht irgendwann später im Beruf zwangsweise eingezogen zu werden. "1959? Da war meine Mutter gerade einmal drei Jahre alt", entfährt es Schöne. Und der ehemalige Oberfeldwebel Schmitz meint mit Blick auf sie: "Frauen als Soldaten und sogar als Vorgesetzte — das war für uns gänzlich unvorstellbar. Es gab ja auch noch keine Polizistinnen oder weibliche Feuerwehrleute."

Scheinbar totale Gegensätze verkörpern die beiden: Schöne ist in Meißen geboren, einst DDR, der Westen war ihr gänzlich unbekannt. Die gelernte Grafikdesignerin ist freiwillige Soldatin in einer auf Auslandseinsätze ausgerichteten Bundeswehr und war schon im Kosovo und in Afghanistan im Einsatz. Schmitz diente nahe der Zonengrenze in einer Wehrpflichtarmee als Panzerjäger — eine Truppengattung, die nach dem Mauerfall abgeschafft wurde. Denn eine Bedrohung durch ein panzerstarkes Massenheer schien nach dem Ende der Sowjetunion für immer abgewendet zu sein.

Die weiteste Tour führte den heutigen Rentner nach Frankreich: "Als erste Bundeswehrsoldaten waren wir dort auf einem Truppenübungsplatz." Von Ressentiments wegen Krieg und Besatzungszeit habe er nichts gespürt: "Wir sind sehr freundlich empfangen worden."

Nicht nur an den Uniformen zeigt sich der Wandel

Schmitz bestaunt die heutigen Uniformen, den leichten atmungsaktiven und regenabweisenden Stoff. "Wir haben mit Kampfanzügen experimentiert, die viele Kilogramm schwer waren und sich bei Regen mit Wasser vollsogen. Als Ausgehanzug waren wir mit der mausgrauen Affenjacke ausgestattet. So hieß sie intern, weil sie so aussah wie die Jäckchen der Affen im Zirkus. Andere haben auch ,Königin-Luise-Bluse' dazu gesagt: Im Sitzen rutschte die Jacke schnell hoch, so dass sie uns scheinbar einen üppigen Vorbau verpasste."

Von den damals üblichen Nato-Alarmen, mit denen die schnelle Einsatzbereitschaft der Truppe getestet wurde, habe man immer rechtzeitig vorher durch den DDR-Soldatensender 904 erfahren. "Die waren gut informiert und haben auf diesem Weg geschickt ihre Propaganda transportiert." Einige westdeutsche Soldaten seien tatsächlich "nach drüben" desertiert, aber nach einigen Wochen ausgewiesen worden oder reumütig auf eigenen Wunsch zurückgekehrt.

Für Leutnant Schöne, dem Wetter entsprechend im kurzärmeligen hellblauen Sommerhemd unterwegs, ist das alles ferne Geschichte. Doch trotz der Unterschiede: Der Veteran und die Offizierin finden schnell Gemeinsamkeiten, das penibel zu führende Schießbuch, das geschlossen zum Essen geführt werden oder die fordernde Grundausbildung zum Beispiel. "Schon in den ersten Wochen habe ich sechs Kilo abgenommen, weil wir ständig in Bewegung waren", erinnert sich Schöne. "Ich musste nähen lernen", stöhnt Schmitz: Die Rekruten sollten unter anderem ihre Wäsche mit Namensschildern versehen.

Maschinengewehr im Kofferraum

Seine Ausbilder, kriegsgediente ehemalige Wehrmachtssoldaten, pflegten einen rauen Ton. Aber auch Humor hätten sie bewiesen: Als Rekrut Schmitz immer wieder wegen einer angeblich schmutzigen Zahnbürste auffiel, lieh er sich in einer Apotheke eine meterhohe Werbezahnbürste aus, versteckte sie im Spind und zeigte sie beim nächsten Stubendurchgang vor. "Von da an war Ruhe."

Ausgang aus der Kaserne gab es die ersten drei Monate nicht, auch am Wochenende war durchgängig Dienst. "Hatten Sie eine Freundin?", will Schöne wissen. "Zum Glück nicht. Wer ein Mädchen hatte, für den war es sehr hart", antwortet Schmitz. Doch nach Ende der Grundausbildung lernt er seine heutige Ehefrau kennen. Und sie redet dem Unteroffizier aus, sich weiter zu verpflichten. "Ein kaufmännischer Angestellter in der Heimat war ihr lieber."
Schmitz bleibt den Streitkräften als Reservist treu. Die Anfangsjahre waren auch in diesem Bereich improvisiert: "Die Einweisung ins Maschinengewehr fand in Gaststätten statt. Tagelang hatte ich mit Wissen der Bundeswehr ein Gewehr mit Nachtsichtgerät im Kofferraum meines Autos, weil ich abends am Niederrhein herumgefahren bin, um Reservistenkameraden daran auszubilden."

Schöne ist, anders als Schmitz, ungeplant zu den Streitkräften gekommen. "Wer mir das ein halbes Jahr vorher gesagt hätte, den hätte ich für verrückt erklärt." Ihr ziviler Arbeitgeber in Köln war in die Pleite gerutscht. "Mein großes Hobby war Cheerleaderin beim 1. FC Köln. Beim Tanztraining hat mir jemand geraten, es einmal bei der Bundeswehr zu versuchen. Grafikdesign bei der Bundeswehr — als Außenstehende wusste ich vorher gar nicht, wie viele verschiedene Berufslaufbahnen dort angeboten werden."

Kuba-Krise und Afghanistan-Einsatz

2004 trug sie zum ersten Mal Uniform; 2009, als die Entscheidung anstand, endgültig Berufssoldatin zu werden, meldete sich Beate Schöne freiwillig für den Kosovoeinsatz: "Ich wollte zunächst diese Erfahrung machen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können." Der Einsatz bestätigte ihre Entscheidung Berufssoldat zu werden. 2011 dann ihr zweiter Einsatz in Afghanistan. Dort starben zwei ihrer engsten Kameraden durch ein Selbstmordattentat in Taloqan, nur durch Zufall war sie an diesem Tag nicht mit ihnen unterwegs. "Natürlich grübelt man darüber nach, trauert und fragt sich: Wo hätte ich normalerweise in diesem Moment gestanden, als der Taliban seine Sprengstoffweste zündete? Aber ich war mir vorher bewusst, dass eine solche Gefährdung zu meinem Beruf gehört."

"Wir wurden auf solche Sachen überhaupt nicht vorbereitet und haben uns auch keinerlei Gedanken darüber gemacht", sagt Schmitz. Doch dann, im Oktober 1962, kam die Kuba-Krise — die Welt stand am Rande eines Atomkriegs. "Alle waren nervös, man spürte die Angst. Eine Woche lang waren wir in 24-Stunden-Bereitschaft. Ich hatte ein voll aufmunitioniertes Maschinengewehr unter meinem Bett stehen."

Die heutigen Berichte über Bundeswehr-Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen oder Burn-out nach Auslandseinsätzen kann Schmitz nicht nachvollziehen: "Meine Eltern haben den Zweiten Weltkrieg erlebt. Da war doch alles ungleich schlimmer." Schöne widerspricht: Damals habe eine ganze Generation das Grauen erlebt; das Verständnis füreinander sei größer gewesen. "Heute leben wir in Deutschland in einer vergleichbar heilen Welt. Ein Afghanistan-Heimkehrer steht mit seinen Eindrücken zunächst allein da, er wird häufig nicht verstanden. Darum finde ich es gut, dass sich die Bundeswehr auch um die Verletzungen der Seele kümmert und einen nicht alleine lässt."

Mit ein wenig Neid blicke sie auf die amerikanischen Soldaten, die sie in Kundus und Masar-i-Sharif kennengelernt habe, meint Schöne. "Die werden zu Hause fast wie Helden empfangen. Meine Eltern mussten sich teilweise anhören, ich hätte ja auch Geld für den Auslandseinsatz bekommen. Das ist meiner Meinung nach nicht damit aufzuwiegen, sein Leben zu riskieren und sollte auch nicht das Motiv sein." Sie erkennt an, mit welch bescheidenen Mitteln die Afghanen zum Beispiel den Kindern eine Schulausbildung ermöglichten. "Angesichts der Horrormeldungen aus dem Land ist doch zu befürchten, dass der Einsatz langfristig nichts bringt", wirft Schmitz ein. Beate Schöne erwidert: "Natürlich ist das ein komplexes Thema. Man muss sehen, was die Zukunft bringt. Doch was wir im Einsatz leisten, ist wichtig."

(mic)
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