Mögliches Bündnis vorerst gescheitert Ab sofort ist Schwarz-Grün immer denkbar

Berlin · Sie scherzten, lachten und diskutierten angeregt. Nach knapp sechs Stunden Sondierungen zwischen Union und Grünen beendeten die Grünen vorerst alle schwarz-grünen Gedankenspiele im Bund. Und dennoch: Das Bündnis ist ab sofort eine ernsthafte Option in Bund und Ländern. In Hessen könnte es schon bald soweit sein.

Ausgerechnet Volker Bouffier, der kernige Konservative aus Hessen, brachte die Grünen an diesem Dienstagabend zum Lachen. Der CDU-Politiker hatte während den Verhandlungen auf seinem Handy die Fernsehnachrichten verfolgt und dabei offenbar versehentlich den Ton angeschaltet. So war der Satz der Nachrichtensprecherin "hat die CDU eine Großspende von BMW bekommen" im Saal der Parlamentarischen Gesellschaft deutlich zu hören. Großes Lachen in der Runde. Die Grünen-Unterhändler scherzten mit ihren Unionskollegen. Bei der Nachricht ging es um die soeben bekanntgewordene Großspende der BMW-Hauptaktionäre an die Union. Normalerweise ein gefundenes Fressen für Grünen-Politiker, um den Konservativen Klientel-Politik für die Autoindustrie vorzuwerfen. Immerhin hatte die Kanzlerin bei den EU-Verhandlungen gerade erst schärfere Abgasrichtlinien für die Autoindustrie verhindert. Doch die Grünen vermieden eine Spitze.

Özdemir: Ernsthaftes Bemühen, Brücken zu bauen

Die Anekdote aus den Sondierungsgesprächen am späten Dienstag in der Parlamentarischen Gesellschaft iun Berlin belegt: Die einst so verfeindeten Parteien haben inzwischen einen entspannten, ja fast lockeren Umgang miteinander gefunden. Hatten die Grünen im bayerischen Landtagswahlkampf erst vor wenigen Monaten ein virtuelles "Schurkenquartett" ins Internet gestellt und dort CSU-Politiker diffamiert, so lobte nun ausgerechnet CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt die Gespräche als "sehr gut und konstruktiv". Es habe kein Problem gegeben, das nicht überwindbar gewesen sei, so Dobrindt. Auch die Grünen waren voll des Lobes. Grünen-Chef Cem Özdemir sprach von konstruktiven Gesprächen in guter Atmosphäre. "Es gab ein ernsthaftes Bemühen, Brücken zu bauen", sagte er.

Dass die Grünen am Ende der nächtlichen Gespräche die möglichen Koalitionsverhandlungen trotz der guten Atmosphäre platzen ließen, ist alleine den inhaltlichen Differenzen in der Steuerpolitik geschuldet, versichern die Beteiligten der Union. Zwar hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann noch versucht, Komrpomisssignale zu senden, doch die noch amtierende Berliner Grünen-Spitze rund um den scheidenden Fraktionschef Jürgen Trittin war (noch) nicht bereit, die Steuerpläne kassieren. Beim nächsten Mal, so versicherte es ein Grüner später in kleiner Runde, werde das womöglich anders sein. Die Steuerpolitik müsse ja ohnehin einer Revision unterzogen werden.

Auch Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke bewertete das Gespräch mit der Union als "sehr, sehr konstruktiv, sachlich und in vielen Fragen sehr detailliert". Es gebe jetzt mit der Union "eine andere Gesprächsatmosphäre" als 2005. Union und Grüne könnten besser miteinander als "in den vergangenen 20 Jahren". Die Grünen hätten nach dem Sondierungsgespräch nach 15minütigen internen Bewertungen um noch mehr Zeit gebeten, um zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Die 14 Unionsvertreter seien daraufhin sofort bereit gewesen, in der Nacht noch länger in der Parlamentarischen Gesellschaft auszuharren. "Das wäre nicht selbstverständlich gewesen", sagte Lemke.

Auch in Agrarpolitik Fortschritte

Die Union sei den Grünen vor allem bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft und auch in der Agrarpolitik unerwartet weit entgegen gekommen. Annäherungen habe es beim Verbot gentechnisch veränderter Lebensmittel, der Beschränkung der Massentierhaltung und beim Frackingverbot gegeben, so Lemke. Am Ende seien die Unterschiede vor allem bei der Umsetzung der Energiewende und beim Finanzierungsbedarf für den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur jedoch zu groß gewesen.

Den Grünen wollten den klaren Vorrang der erneuerbaren vor fossilen Energien, hier sei die Union nicht erkennbar genug mitgegangen. Die Grünen hätten aber ihre Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz und einer Vermögensabgabe nicht in den Vordergrund gestellt. Zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen hätten die Grünen vor allem den Abbau ökologisch schädlicher Subventionen vorangestellt.

Die Parteispitze will dem Parteitag am Wochenende einen Antrag vorlegen, in dem sie von einer schwarz-grünen Koalition abrät. Allerdings soll der Antrag des Bundesvorstands auch einen Passus enthalten, in dem die Grünen die Wiederaufnahme von Gesprächen mit der Union nicht völlig ausschließen, falls Parteikonvent und Mitgliederentscheid der SPD eine große Koalition ablehnen. "In diesem Fall läge der Ball zuerst bei Frau Merkel, dann bei der SPD", so Lemke. "Es würde sich dann die Frage anders stellen, ob sich die SPD nicht doch für ein rot-grün-rotes Bündnis öffnet", sagte sie.

Sechsstündige Gespräche

Der Ausgang des Gesprächs bedeutet: Beim nächsten Mal ist alles denkbar. Denn bei vielen Themen waren sich Schwarze und Grüne vielfach näher als gedacht. Beispiel: Zuwanderung. Früher ein Tabuthema für Konservative gab es am Dienstagabend übereinstimmende Äußerungen aller Anwesenden zu einer Willkommenskultur in Deutschland und der Notwendigkeit einer qualifizierten Zuwanderung. Auch die Themen Infrastrukturfinanzierung und Europa seien "in großer Harmonie" besprochen worden, berichtete ein Unionsmann. Dass selbst die ökologisch geprägten Grünen-Politiker in den Gesprächen mehr Geld für Straßen und Brücken forderten, bemerkten Unionsleute anerkennend. Und stets wurde in aufgeräumter Atmosphäre diskutiert, hieß es. Das war bei den zweiten Sondierungsgesprächen zwischen SPD und UNion tags zuvor noch anders.

Beim großen Streitthema zwischen SPD und Union, dem Mindestlohn, wären Union und Grüne sogar schnell handelseinig geworden, berichtet ein Unterhändler der Union. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und der scheidende Fraktionschef Jürgen Trittin sollen in der Runde die von der Union favorisierte Kommissionslösung, bei der eine unabhängige Kommission aus Gewerkschaften, Arbeitgebern und Wissenschaftlern über den Mindestlohn entscheidet, zustimmend kommentiert haben.

"Das wird heute noch nichts"

Als um kurz vor 23 Uhr die Grünen um eine Unterbrechung baten und sich für ein internes Gespräch zurückzogen, war Kanzlerin Angela Merkel und ihren Verhandlern dennoch klar, dass es dieses Mal noch nicht reichen würde für ein Bündnis. "Das wird heute noch nichts", kommentierte ein den Grünen wohlgesinnter Unionspolitiker per SMS um kurz nach 23 Uhr. Der Abbruch der Verhandlungen knapp eine Stunde später bestätigte ihn. Im Herbst 2013 ist Schwarz-Grün also noch keine Regierungsalternative. Der Streit um die Steuerpolitik ließ dies nicht zu.

Es dürfte indes das letzte Mal gewesen sein, dass Unionspolitiker und Grüne bereits vor möglichen Koalitionsverhandlungen ergebnislos auseinandergehen. Zu gut war die Atmosphäre, zu offensichtlich die Überschneidungen in einigen Themengebieten. Mehrfach wurde am Tag nach den gescheiterten Verhandlungen deshalb auch darauf verwiesen, dass es ja zunächst in Hessen zu Schwarz-Grün kommen könnte.

Es ist Volker Bouffier, der erstmals eine schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland auf die Beine stellen soll. Die Führungsriege von Union und Grünen in Berlin haben ihren Landesverbänden jedenfalls signalisiert, dass dies doch eine interessante Alternative wäre. Und dann ist auch Schwarz-Grün im Bund wieder eine ernsthafte Option. Spätestens 2017.

(brö/mar)
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