Ärger um NRW-Liste Fehler könnte AfD Einzug in Bundestag kosten

Düsseldorf · Eine Beschwerde über die Kandidatenwahl beschäftigt den Landeswahlleiter. Sollte der Wahlausschuss die NRW-Liste anzweifeln, wäre die AfD im bevölkerungsreichsten Bundesland nicht auf dem Stimmzettel.

 Delegierte halten am 25. Februar 2017 bei der Landeswahlversammlung der AfD NRW in Essen ihre Abstimmungskarten hoch . Bei der Versammlung stimmten die Delegierten auch über die Kandidatenaufstellung für die Bundestagswahl im Herbst ab.

Delegierte halten am 25. Februar 2017 bei der Landeswahlversammlung der AfD NRW in Essen ihre Abstimmungskarten hoch . Bei der Versammlung stimmten die Delegierten auch über die Kandidatenaufstellung für die Bundestagswahl im Herbst ab.

Foto: dpa

Im Vorfeld der Bundestagswahl gab es bereits in mehreren Bundesländern Wirbel um die Gültigkeit der AfD-Listen — jetzt steht offenbar auch die der nordrhein-westfälischen Kandidatenliste infrage. Hintergrund sind Unregelmäßigkeiten bei einer Delegiertenwahl im Kreisverband Recklinghausen. Diese könnten — je nach Einschätzung des Landeswahlleiters und des Wahlausschusses — zur Ungültigkeit der gesamten Liste führen.

In einem vierseitigen anonymen Schreiben an den Landeswahlleiter, das unserer Redaktion vorliegt, wird die korrekte Aufstellung der Delegierten für die Listenwahl beanstandet. Bei dem entsprechenden Kreisparteitag in Recklinghausen sollen drei Personen an Wahlvorgängen beteiligt gewesen sein, die zu diesem Zeitpunkt noch keine AfD-Mitglieder gewesen sind. Zwei von ihnen ließen sich als Delegierte aufstellen, um die NRW-Kandidaten für den Bundestag mitzubestimmen.

Nach Angaben des Düsseldorfer Parteienrechtlers Martin Morlok kann nur Delegierter werden, wer auch Mitglied dieser Partei ist. Dass die Personen im Nachhinein den Mitgliedsstatus erhielten, heile die Sache nicht. "Wenn diese Stimmen relevant waren, betrifft das die Gültigkeit der Liste", sagte Morlok.

Mindestens einer der drei Männer hat die Kandidatenliste im Februar mitgewählt. Schon bei Listenplatz eins war jede Stimme wichtig: Der AfD-Spitzenkandidat für NRW, Martin Renner, gewann die Stichwahl mit nur einer Stimme über dem erforderlichen Quorum.

Der Landeswahlleiter prüft den Fall nun unter Hochdruck. Schon am Freitag tagt der Wahlausschuss und entscheidet über die Zulassung aller Landeslisten für die Bundestagswahl. Korrekturen oder Neuwahlen sind zeitlich nicht mehr möglich.

Im Fokus der Vorwürfe steht der Kreisparteitag der AfD Recklinghausen im Herbst 2016. Orts- und Kreisverbände waren für die Bundestagswahl dazu aufgerufen, Delegierte zu wählen, also Abgesandte, die auf einer großen Wahlversammlung über die AfD-Kandidaten aus NRW entscheiden sollten.

Der AfD-Kreisverband Recklinghausen traf sich am 23. Oktober 2016 in einer Gasstätte in Marl: Um 11.35 Uhr — so steht es im Protokoll — begrüßt der Vorsitzende die Anwesenden. Es soll an diesem Tag vor allem um die Auswahl jener Delegierten gehen, die in Essen vier Monate später die Kandidaten für die Bundestagswahl bestimmen sollen. Zwölf Personen muss der Kreisverband schicken, das sieht die Satzung der Partei so vor, und zwölf Personen werden an diesem Tag in Marl gewählt. Das Problem: Drei Anwesende sollen zu diesem Zeitpunkt noch AfD-Mitglieder "in Prüfung" gewesen sein — also keinerlei Stimmrecht gehabt haben. Die AfD behält sich nämlich laut eigener Satzung eine vierwöchige Prüfungszeit aller Mitgliedsanwärter vor.

Als es in Marl also um "Top 12" geht ("Wahl der Vertreter zur Landeswahlversammlung"), sind 33 Personen anwesend. Einer stellt den Antrag, die vorab ausgesuchten Delegierten abzuwählen — sie waren durch unangenehme Aussagen aufgefallen. Alle fünf werden abgewählt. Auch die drei Männer, die zu dem Zeitpunkt noch keine Mitglieder sind und weder aktives noch passives Stimmrecht haben, stimmen mit ab. Dann geht es um die Neuwahl. Zwei der Männer bewerben sich selbst um die Posten — und werden gewählt. Mindestens einer nimmt später auch in Essen an der Wahlsammlung als Delegierter teil.

Ein anonymes vierseitiges Schreiben eines AfD-Mitglieds, das unserer Redaktion vorliegt, ging Dienstag beim Landeswahlleiter NRW ein. Darin heißt es, die Aufstellung der Delegierten am 23. Oktober sei "satzungswidrig" gewesen, was "nachweislich Einfluss auf die gewählten Listenkandidaten" gehabt habe. Der Verfasser fordert eine "umfangreiche Prüfung" der Liste.

Nur eine Stimme mehr

Genau das tut der Wahlleiter, und zwar unter Hochdruck. Am Freitag muss der Wahlausschuss über die Landeslisten für die Bundestagswahl befinden. Bis dahin will der Wahlleiter sich nicht äußern. Korrekturen der Listen wären nicht mehr möglich — sollte eine Liste für ungültig erklärt werden, könnte die betreffende Partei in NRW, dem Bundesland mit den meisten stimmberechtigten Wählern, nicht antreten. Wichtige Prozentpunkte würden der AfD fehlen, die in aktuellen Umfragen zwischen sieben und neun Prozent schwankt.

Wie schwer wiegt der Verstoß gegen die parteiinterne Satzung? Welche Relevanz hat das für die Gültigkeit der gesamten Liste? Kann ein Formfehler die AfD den Einzug in den Bundestag kosten?

Laut Parteienrechtler Martin Morlok stellt sich die Frage, ob es damit getan sei, dass die Personen nachträglich, also zum Zeitpunkt der Delegiertentätigkeit, Vollmitglieder waren. "Angesichts der gebotenen Formstrenge bei einer Bundestagswahl halte ich das für unwahrscheinlich", sagt Morlok. Die Auswahl eines Delegierten sei Vertrauenssache. AfDler, die die Personen unter falschen oder vorgetäuschten Tatsachen zu Delegierten gewählt haben, könnten damit argumentieren — und die Rechtmäßigkeit der Wahl anfechten. Ob das Auswirkungen auf die Gültigkeit der Landesliste hat, hänge davon ab, wie relevant die Delegiertenstimmen gewesen seien, erklärt Morlok.

"Reihenfolge hochpolitisch"

Tatsächlich war es auf der Wahlversammlung im Februar in Essen so, dass schon die Entscheidung um Platz eins nicht knapper hätte ausfallen können: Spitzenkandidat Martin Renner hatte die Stichwahl gegen Kay Gottschalk, dem mit nur einer Stimme über dem Quorum gewonnen. Einer der beiden Delegierten, die in Recklinghausen noch keine Mitglieder waren, war in Essen dabei — seine eine Stimme hätte schon beim Spitzenplatz entscheidend sein können. Nach Ansicht von Morlok wäre es mit einem Streichen des ersten Platzes nicht getan: "Eine Landesliste ist sehr komplex, die Reihenfolge der Kandidaten hochpolitisch, die Listenplätze stehen alle in wechselseitiger Abhängigkeit."

Auf Fragen zu den Vorwürfen hieß es vonseiten der AfD lediglich, man könne nicht weiterhelfen, "dem Landesvorstand wurden diese Vorfälle nicht gemeldet". Allerdings liegt unserer Redaktion eine E-Mail vor, aus der hervorgeht, dass eine Person aus dem Landesvorstand schon Mitte Juni über jene Probleme beim Kreisparteitag informiert worden ist. Ein Eilantrag soll am 10. Juli auch an das AfD-Schiedsgericht gegangen sein. Der Kreisvorsitzende Recklinghausens, Ulrich Wolinski, wollte sich auf Anfrage nicht zu Details äußern — und verwies auf "offene parteiinterne Verfahren".

(jra)
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