Religionsunterricht in NRW Allah kommt in die Klassenzimmer

Münster · Der islamische Religionsunterricht in NRW wird ausgebaut – unter rechtlichen Verrenkungen, weil der Islam keine anerkannte Religionsgemeinschaft ist. Rot-Grün sieht in dem Prozess einen Prüfstein für das Verhältnis der Muslime zum Staat.

Der islamische Religionsunterricht in NRW wird ausgebaut — unter rechtlichen Verrenkungen, weil der Islam keine anerkannte Religionsgemeinschaft ist. Rot-Grün sieht in dem Prozess einen Prüfstein für das Verhältnis der Muslime zum Staat.

Die Männer tragen Schnäuzer, manche Frauen Kopftuch. Zum Beten knien sie auf einem Teppich. Und statt "Gott" steht da "Allah". "Miteinander auf dem Weg" heißt das Buch, das muslimischen Erst- und Zweitklässlern in NRW einmal ihre Religion erklären soll. Es ist ein nettes, kindgerechtes Buch, mit ermutigenden Überschriften ("Wie schön ist deine Welt, oh Allah!", "Ich liebe meine Familie"). Welche Umwälzung dahinter steht, lässt sich aus den freundlichen Bildern kaum erahnen.

Doch in Deutschland passiert etwas, das jahrzehntelang undenkbar war, und Nordrhein-Westfalen ist Vorreiter: Allah kommt in die Klassenzimmer. Derzeit etabliert sich an den Schulen das Fach islamischer Religionsunterricht — zum neuen Schuljahr in Hessen und Niedersachsen, ein Jahr nach dem Start in NRW. Von einem "Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung für die Schüler, aber auch die Eltern" spricht NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Das Ziel: jungen Muslimen auf wissenschaftlicher Grundlage ihre Religion nahebringen — auch, um sie immun zu machen gegen die Einflüsterungen der Extremisten.

Nach den Ferien startet das Fach in NRW auch an weiterführenden Schulen. Eigene Lehrpläne gibt es allerdings für die Grundschule erst seit 1. August, für die Sekundarstufe gar erst ab 2014. Lehrbücher fehlen bisher (auch "Miteinander auf dem Weg" ist noch nicht zugelassen); die Lehrer sind Quereinsteiger oder im Schnellkursus vorbereitet.

Kraftzentrum in NRW bei dem Prozess ist die Uni Münster. Am Zentrum für Islamische Theologie, an dem auch die Uni Osnabrück teilhat, lehrt Mouhanad Khorchide Religionspädagogik. Er ist auch Herausgeber von "Miteinander auf dem Weg". "Viele junge Leute identifizieren sich mittlerweile sehr stark mit dem Islam", sagt Khorchide. "Wenn man aber fragt, was sie vom Islam wissen, sagen sie: So gut wie nichts." Die Gefahr der "Rekrutierung in fundamentalistische Milieus" will Khorchide durch Religionsunterricht bannen: "Wir bieten den fehlenden Kern der islamischen Identität an." Die Nachfrage ist riesig — man brauche "Lehrer und Dozenten, und zwar möglichst schnell". Auf 900 schätzt Khorchide den Bedarf an Lehrern in NRW — 100 sollen jährlich die Uni Münster verlassen, aber erst ab 2017/18. Bis dahin muss die Zwischenlösung herhalten.

Alles nur vorläufig — das gilt auch für die rechtliche Fundierung des neuen Fachs. NRW hat mit den Stimmen von Rot-Grün und der CDU 2011 ein Gesetz bekommen, das 2019 schon wieder außer Kraft treten soll. Es legt fest, dass die Interessen der Islamverbände bei der Einführung des Religionsunterrichts von einem Beirat beim Ministerium vertreten werden sollen. Vier Vertreter benennt das Ministerium, vier die Islamverbände. Das Ganze ist eine Art Kirchenersatz — und nötig, weil der Islam, anders als die christlichen Kirchen, verfassungsrechtlich schlicht nicht existent ist. Er ist keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern auf Vereinsbasis organisiert.

Die Einführung von islamischem Religionsunterricht ist deshalb auch eine Expedition in staatskirchenrechtliches Neuland. Aus dem schwarz-gelb regierten Hessen wurden 2012 prompt Bedenken gegen NRW laut. Der Staat dürfe nicht "Lenker des Islam" sein, sagte Justizminister Jörg-Uwe Hahn — eine Kritik, in der sich der FDP-Mann eigenartigerweise mit muslimischen Fundamentalisten traf, die ebenfalls staatliche Vereinnahmung wittern. Die Religionspädagogin Lamya Kaddor wiederum fürchtete einen zu starken Einfluss der oft konservativen Verbände im Beirat.

Löhrmann verteidigt ihr Vorgehen: "Die Deutsche Islam-Konferenz — damals noch unter Innenminister Wolfgang Schäuble — hat die Beiratslösung ausdrücklich unterstützt." In dieser komplizierten Lage habe "alles für Pragmatismus statt Fundamentalismus gesprochen". Bis 2019 gilt die Beiratslösung. Und dann? Da wird Löhrmann so staatstragend wie unkonkret: "Die Landesregierung strebt an, die religionsverfassungsrechtlichen Fragen mit den muslimischen Verbänden unter Beteiligung der Fraktionen in einem gemeinsamen Arbeitsprozess zu klären."

Dazu dürfte auch gehören herauszufinden, welcher Dachverband — etwa der Islamrat, der Zentralrat der Muslime oder die türkische Ditib — wie viele Gläubige vertritt. Nur 20 Prozent der Muslime in Deutschland sind überhaupt organisiert. Der Rest, sagt Religionspädagoge Khorchide, "sollte sich institutionell vertreten lassen" — das würde die verfassungsrechtliche Anerkennung des Islam erleichtern. Umgekehrt könnten sich die Verbände nur im Dialog mit dem Staat entwickeln.

Für Rot-Grün in Düsseldorf ist die Einführung des islamischen Religionsunterrichts in diesem Sinne nicht zuletzt eine Nagelprobe für das Verhältnis der Muslime zu Deutschland. Allzu oft gab es hier, von den Anschlägen der Neonazis bis zu den Provokationen der Salafisten, schwere Belastungen. Von einem "Schritt zur Normalität" ist die Rede, vom "Paradigmenwechsel": Während die großen christlichen Kirchen schrumpfen, wächst die islamische Gemeinde. Daher wird auch in NRW erwogen, islamische den kirchlichen Feiertagen gleichzustellen, wie es Hamburg und Bremen getan haben. Und deshalb ist der islamische Religionsunterricht jenseits der Zahlen und Paragrafen für die Landesregierung so wichtig.

Die Lage sei "nicht optimal", sagt Khorchide zum Beirat im Ministerium und zu den Defiziten bei den Lehrplänen. Die Münsteraner aber haben ohnehin Größeres im Blick. "In Deutschland haben wir die Freiheit, unsere Religion angemessen zu verstehen", sagt Khorchides Kollege Milad Karimi, zuständig für islamische Philosophie und Mystik: "Wenn wir unseren Glauben richtig verstehen, ist das kompatibel mit allem, was wir mit dem demokratischen Rechtsstaat verbinden."

(RP)
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