Analyse des Armuts- und Reichtumsbericht Armes Deutschland, reiches Deutschland

Berlin · Der lange Zeit umstrittene Armuts- und Reichtumsbericht sieht eine sinkende Zahl von Menschen, die sich tatsächlich einschränken müssen. Aber die überdurchschnittlich Verdienenden bekommen deutlich mehr.

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Foto: Ferl

Fünf Monate vor den Bundestagswahlen hat die Regierung den fünften Armuts- und Reichtumsbericht beschlossen und darin den kritischen Aussagen eine Erfolgsbilanz vorangestellt. Er war eigentlich zur Mitte der Wahlperiode erwartet worden. Im Vorfeld gab es Gerangel um einzelne Formulierungen. Den Vorwurf der "Schönfärberei" wies das Sozialministerium zurück, obwohl Teile seines Entwurfes vom Kanzleramt gekürzt worden waren. Die Regierung sieht sich mit einer Fülle von Projekten vom Mindestlohn bis zur Mütterrente auf dem richtigen Weg, das Arbeitsministerium will als Konsequenz an stabileren Löhnen arbeiten. Wichtige Fragen zum Bericht:

Wie hat sich die Armut entwickelt?

Die Regierung hebt hervor, dass der Anteil der Personen, die von erheblichen materiellen Entbehrungen betroffen sind, zwischen 2013 und 2015 von 5,4 auf 4,4 Prozent zurückgegangen sei. Der Trend ziehe sich durch fast alle Haushaltstypen. Alleinerziehende müssten mit rund elf Prozent überdurchschnittlich auf Güter und Aktivitäten verzichten. Gleichzeitig räumt die Regierung in ihrem Bericht ein, dass die Armutsrisikoquote, die längere Zeit zwischen zwölf und 14 Prozent gelegen hatte, zuletzt Richtung 16 Prozent anstieg.

Was ist der Unterschied zwischen Armut und Armutsrisiko?

Dahinter steht die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Armut. Die absolute Armut bedeutet tatsächlichen Verzicht auf Grundbedürfnisse wie Kleidung, Ernährung, Wohnung oder Gesundheit ("erhebliche materielle Entbehrungen"). Dagegen bezieht sich die relative Armut auf die Definition, wonach Bezieher von Einkommen unterhalb von 60 Prozent des mittleren Einkommens eines Landes mit einem Armutsrisiko leben. Dass dieser Anteil trotz boomender Wirtschaft, mehr Arbeitsplätzen und steigenden Einkommen in Deutschland nicht zurückgegangen ist, erklärt sich die Bundesregierung mit der Vermutung, dass die Zuwächse "über die gesamte Breite der Einkommensverteilung stattfanden". Damit sei die Relation sowohl der hohen als auch der niedrigen Einkommen zum mittleren Einkommen in etwa gleich geblieben. Steuer- und Sozialtransfers könnten das Armutsrisiko vor allem von Kindern, Alleinerziehenden und Arbeitslosen reduzieren. Bei ihnen zum Teil um die Hälfte, in der gesamten Bevölkerung um ein Drittel.

Öffnet sich eine Schere zwischen arm und reich?

Das kommt auf die Bezugsgröße an. Die Regierung verweist darauf, dass die Einkommensanteile, die auf die obere und die untere Hälfte der Bezieher entfallen, seit 2005 in einem stabilen Verhältnis von 70:30 liege. Wenn die Einkommenssumme der obersten zehn Prozent in Beziehung zu der der untersten 40 Prozent gesetzt wird, bleibt es in diesem Zeitraum bei einem engen Korridor von eins bis 1,1. Allerdings waren zu Beginn des Jahrtausends die Einkommen "deutlich gleichmäßiger verteilt", hält der Bericht fest. Er macht auch klar, dass die obersten 60 Prozent der Beschäftigten seit Mitte der 90er Jahre Gewinne verzeichnen konnten, die unteren 40 Prozent beim Bruttostundenlohn Verluste hinnehmen mussten.

Was weiß die Regierung über die Reichen?

Noch zu wenig, wie der Bericht selbst unterstreicht. Deshalb soll es dazu weitere Forschungsprojekte geben. Die Brisanz wird umschrieben mit der Feststellung: "Sind die Unterschiede zwischen arm und reich in einer Gesellschaft zu groß und wird Reichtum als überwiegend leistungslos erworben empfunden, so kann dies die Akzeptanz der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verringern." 1995 erzielte das oberste Prozent der Einkommensverteilung neun Prozent der Einkommen; dieser Anteil stieg bis 2008 auf rund 13 Prozent und liegt nun bei zwölf. Das Durchschnittseinkommen dieser Gruppe stieg von 250.000 Euro auf 430.000 Euro, fiel in der Krise auf 380.000 Euro, hat 2011 und 2012 die Schwelle von 400.000 Euro aber wieder überstiegen. Beim Vermögen besitzen zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte. Sieben Prozent beziehen mindestens 5000 Euro Einkünfte aus Vermögen pro Jahr. Bei einer nichtrepräsentativen Befragung von sehr Vermögenden sagten zwei Drittel, dass Erbschaften und Schenkungen ein relevanter Grund für ihren Reichtum seien.

Gibt es Auswirkungen auf die Demokratie?

In einem früheren Entwurf des Berichtes wurde dies vehement bejaht. Eine lebhafte Kritik richtete sich deshalb gegen die Streichung von Feststellungen, wonach Personen mit geringerem Einkommen auf politische Teilnahme verzichteten, weil sie die Erfahrung machten, dass sich die Politik weniger an ihnen orientiere oder es eine "klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zu Lasten der Armen" gebe. Der Bericht hält nun fest: "Die politische Beteiligung bis hin zur Teilnahme an Wahlen ist bei Menschen mit geringem Einkommen deutlich geringer und hat in den vergangenen Jahrzehnten stärker abgenommen als bei Personen mit höherem Einkommen und der Mittelschicht". Damit wirkten diese auf politische Entscheidungen "weniger ein".

(may-)
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