Analyse zum US-Schlag Warum der Syrien-Einsatz noch riskanter wird

Berlin · Nach dem Luftschlag der Amerikaner auf eine syrische Militärbasis ist die Lage im Land und in der Region noch unübersichtlicher geworden, und auch die Bundeswehr ist davon betroffen.

USA feuern Raketen auf Militärbasis in Syrien
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USA feuern Raketen auf syrische Militärbasis

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Foto: ap, Oscar Sosa

Wenn seit dem brutalen Niederschlagen des arabischen Frühlings in Syrien vor mittlerweile sechs Jahren rund 500.000 Menschen direkt getötet worden sein sollen oder an den Folgen des Bürgerkrieges starben, dann fällt es schwer, die Warnung vor einer drohenden "Eskalation" auszusprechen. Was soll hier noch eskalieren? Gleichwohl mahnen vor allem SPD-Außenexperten vor noch unabsehbaren Folgen, die mit dem Militärschlag der USA auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt verbunden sind.

Dabei lieferte die Nacht des Einsatzes sogar einen Hoffnungsschimmer. Als die 800.000 Euro teuren "Tomahawk"-Marschflugkörper von den US-Kriegsschiffen Richtung syrische Armee geschossen wurden, blieb es auf der anderen Seite ruhig. Die Russen waren von den Amerikanern vorgewarnt worden. Und so hätten sie ihre hochmodernen Raketenabwehrsysteme in Syrien aktivieren und gegen die 500-Kilo-Sprengköpfe der Amerikaner einsetzen können - wenn sie ein Interesse an einer Eskalation des Konfliktes gehabt hätten. Schließlich hatten sie zuvor ein internationales Vorgehen gegen syrischen Giftgaseinsatz im Weltsicherheitsrat blockiert. Doch sie ließen den Militärschlag geschehen, griffen anschließend lediglich mit verbalen Anklagen ein.

Trump hat einen weiten Weg in Gedanken gemacht

Den weitesten Weg hatten nicht die Marschflugkörper vom Mittelmeer nach Homs zurückzulegen, sondern US-Präsident Donald Trump in seinem Denken. Als sein Vorgänger Barack Obama das Assad-Regime 2013 vor dem Überschreiten "roter Linien" gewarnt hatte und nach einem syrischen Giftgaseinsatz schon einmal eine US-Militäraktion in der Luft lag, warnte Trump Obama öffentlich: "Greifen Sie Syrien nicht an - wenn Sie das tun, werden viele sehr schlimme Sachen passieren, und von dem Kampf haben die USA nichts!"

Noch vor wenigen Tagen versicherte Trump, dass er nicht auf einen Sturz Assads hinarbeite. Das muss Assad wie Musik in den Ohren geklungen haben. Schließlich kämpfte er, dessen Ende im Sommer 2012 nur noch eine Frage von Wochen zu sein schien, sich in eine denkbar starke Verhandlungsposition für die Nachkriegsordnung in Syrien zurück. Mit massiver Hilfe befreundeter Länder wie dem Iran und vor allem Russland drehte er die militärische Vorherrschaft. Denn Moskau wie Teheran hatten keine Skrupel, sich an die Seite eines Herrschers zu stellen, der sein eigenes Volk auf grausamste Weise töten und foltern lässt.

"Die Syrer leiden für Libyen"

Die Blockadehaltung Russlands bei den Versuchen, über den UN-Sicherheitsrat zu klaren Friedensmissionen für Syrien zu kommen, hat eine einfache Vorgeschichte. Moskau fühlte sich von den USA über den Tisch gezogen, als es den Weg zu einer vor allem humanitären Intervention in Libyen frei machte und die westliche Allianz dieses Zugeständnis dazu nutze, Machthaber Muammar al-Gadddafi aus dem Amt zu bomben. "Die Syrer leiden für Libyen", brachten es russische Diplomaten auf den Punkt. Gleichzeitig verstand es Assad, den im Machtvakuum im Nachbarland Irak entstandenen islamistischen Terror namens IS für seine Zwecke einzubinden: Je bedrohlicher der IS für den Westen wurde, desto mehr musste der Westen seine Ziele in Syrien verschieben: Vom Beseitigen des Assad-Regimes zu einer Bekämpfung der Terrormiliz.

Es dauerte Monate, bis sich die US-geführte Anti-IS-Allianz mit Russland, der Türkei und weiteren Ländern darauf verständigt hatte, einen Waffenstillstand so weit wie möglich durchzusetzen und gleichzeitig das militärische Vorgehen gegen den IS fortzusetzen. Wiederholt hatte der Westen die russischen und syrischen Streitkräfte dafür zu verurteilen, dass sie unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung tatsächlich Rebellengebiete zu erobern versuchten. Doch insgesamt gingen die Kriegshandlungen in Syrien seit dem Waffenstillstand in diesem Februar merklich zurück.

Diese klare Unterscheidung hat Trump nun aufgekündigt. Und das kann auch unmittelbare Folgen für die Bundeswehr haben. Sie unterstützt den Anti-IS-Kampf, indem sie mit Tornado-Jets die Lage am Boden aufklärt und mit Luftbetankung die Bomber an ihre Ziele bringt. Bislang hatte sich dabei ein Koordinierungsmechanismus eingespielt, über den sich Russland und die USA abstimmten, damit es nicht zu Kollisionen der deutschen Jets mit russischen oder syrischen Streitkräften kam. Russland hat diesen Mechanismus zwar nicht aufgekündigt, will ihn jedoch zunächst einmal nicht mehr mit Informationen speisen. Das bedeutet nach Auskunft des Verteidigungsministeriums in Berlin "gegebenenfalls wieder mehr Aufwand", sprich verstärkt nach russischen und syrischen Jets Ausschau halten.

Russland hat seinen Einfluss auf die Entwicklung Syriens durch die Stationierung von Truppen im Land gesichert. Die USA operieren dagegen lediglich aus der Luft, mit einer übersichtlichen Anzahl von verdeckt eingesetzten Spezialkräften und mit der Unterstützung von Rebellengruppen. Die früher als gemäßigte Opposition umschreibbare Assad-Alternative ist von radikale Milizen verdrängt. Iran, die Türkei und weitere Akteure verfolgen jeweils eigene Ziele. Der Militärschlag kann, so die Hoffnung der Diplomaten, Bewegung in die festgefahrenen Genfer Friedensverhandlungen bringen. Aber er hat auch das Potenzial, letztlich Assad und den IS zu stärken, weil die Tomahawks die labile Grundverständigung in der Region getroffen haben.

(may-)
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