Gesetzentwurf Nahles begrenzt Sozialhilfe für EU-Ausländer

Berlin · Bürger aus anderen EU-Staaten sollen frühestens nach einem fünfjährigen Aufenthalt Anspruch auf Sozialleistungen erhalten. Die Arbeitsministerin schließt ein Schlupfloch, das nach einem Urteil des Bundessozialgerichts entstanden ist.

Andrea Nahles - Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion
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Die Bundesregierung will EU-Ausländern den Zugang zu Sozialleistungen in Deutschland erschweren: Bürger aus anderen EU-Staaten, die hier noch nie gearbeitet haben, sollen frühestens nach fünfjährigem Aufenthalt Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen oder Sozialhilfe haben.

Das sieht ein neuer Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vor, der am Donnerstag an die übrigen Ministerien ging und zügig verabschiedet werden soll. Sie schließe damit "ein Schlupfloch, das potenziell da wäre", sagte Nahles.

Denn nach einem aufsehenerregenden Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) Ende 2015 bestünde die Gefahr, dass immer mehr nicht-arbeitende EU-Bürger bereits nach sechs Monaten Anspruch auf Sozialhilfe hätten, die von den Kommunen getragen werden müsste.

Worum geht es genau?

EU-Bürger, die nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu erhalten oder erstmals eine Arbeit zu suchen, sind generell vom Hartz-IV-Bezug ausgeschlossen. Das Kasseler BSG entschied jedoch im Dezember, dass die Sozialämter diesen EU-Bürgern, die von Hartz IV ausgeschlossen sind, ab einem "verfestigten Aufenthalt" von sechs Monaten Sozialhilfe zahlen müssen. In den zuständigen Kommunen herrschte daraufhin Alarmstimmung: Der Landkreistag warnte vor Mehrausgaben von 800 Millionen Euro jährlich. Da die Union mit dem Gesetzentwurf einverstanden ist, dürfte er den Bundestag problemlos passieren.

Was sieht das neue Gesetz vor?

EU-Bürger sollen frühestens nach einem "verfestigten Aufenthalt" von fünf Jahren Anspruch auf Sozialhilfe oder auch Hartz IV haben, wenn sie in Deutschland noch nie gearbeitet haben. Nahles orientierte sich dabei an der bisher gängigen Praxis. Freizügigkeit auf dem EU-Arbeitsmarkt bedeute nicht, sich "den Ort der Auszahlung der Sozialhilfe frei aussuchen zu können", sagte sie. Nach dem Entwurf sollen EU-Bürger aber nach ihrer Ankunft für höchstens vier Wochen einen neuen Anspruch auf einmalige Überbrückungsleistungen für Essen, Unterkunft und ein Darlehen für die Rückreisekosten in die Heimat erhalten.

Wann können EU-Ausländer Hartz IV-Leistungen oder Sozialhilfe beziehen?

Arbeitslosengeld II können EU-Bürger dauerhaft nur beanspruchen, wenn sie bereits mindestens ein Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Bei einer kürzeren Beschäftigung wird nur sechs Monate lang Hartz IV bezahlt. Diese Regelung wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrfach bestätigt. Nach eigenem Ermessen können die Sozialämter aber Sozialhilfe gewähren. Bei einem Aufenthalt ab sechs Monaten sind sie seit dem BSG-Urteil sogar dazu verpflichtet. EU-Ausländer, die nicht erwerbsfähig sind, können schon eher Sozialhilfe bekommen. Voraussetzung ist bei ihnen nur, dass sie sich seit mehr als drei Monaten in Deutschland aufhalten.

Wie viele EU-Ausländer beziehen in Deutschland Sozialleistungen?

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) haben im Januar 2016 knapp 440.000 EU-Ausländer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II bezogen. Polen bildeten mit rund 92.000 Leistungsbeziehern die größte Gruppe. Danach folgten Italiener (71.000) und Bulgaren (70.000). An vierter Stelle folgte Rumänien mit rund 57.000 Menschen, die auf Unterstützung angewiesen waren, vor Griechenland (46.000).

Welche Rolle spielt aufstockende Hilfe zum Lebensunterhalt?

Wer nur einen kleinen Mini-Job oder als Selbstständiger einen Gewerbeschein und geringe Einkünfte nachweist, hat sofort Anspruch auf aufstockende Hartz-IV-Hilfe. Mit 42 Prozent auffallend hoch ist der Anteil an "Aufstockern" laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei Bulgaren und Rumänen. Dieses weitere "Schlupfloch" will Nahles aber nach eigenem Bekunden nicht schließen. Begründung: Die Hilfe zum Lebensunterhalt sei ein wichtiges Instrument der Arbeitsförderung.

Was sagen die Gewerkschaften?

Andreas Meyer-Lauber, DGB-Chef in NRW, unterstützt das Vorhaben der Arbeitsministerin — allerdings mit Einschränkungen: "Die Begrenzung der Arbeitsmigration kann nur gelingen, wenn die Herkunftsländer der Armutsflüchtlinge zugleich unter Druck gesetzt werden, ihre Minderheiten — etwa die Roma und Sinti — ordentlich zu behandeln." Zeitgleich müsse sich die Bundesregierung daran beteiligen, Qualifizierungsprogramme mitzufinanzieren, damit die Menschen vor Ort eine Perspektive bekämen, ehe sie sich auf den Weg machten.

Wann haben EU-Ausländer Anspruch auf Kindergeld?

Während der Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland haben EU-Bürger Anspruch auf Kindergeld - auch wenn der Nachwuchs in einem anderen Land der EU lebt. Das setzt allerdings voraus, dass der Zuwanderer einer unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Beschäftigung nachgeht, zum Beispiel Saisonarbeit. Die Koalition erwägt, die Höhe des Kindergeldes für im Ausland lebende Kinder an die Lebenshaltungskosten in deren Heimat anzupassen.

(mar maxi)
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