Gastbeitrag Die Kanzlerinnendämmerung

Berlin · Zum ersten Mal in ihrer elfjährigen Amtszeit wankt Kanzlerin Angela Merkel. Ihre Flüchtlingspolitik und das Mantra vom "Wir schaffen das" könnten ihr zum Verhängnis werden. Sie hätte von ihrem Vorgänger lernen können.

 Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des politischen Magazins "Cicero" und Kolumnist der Rheinischen Post.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des politischen Magazins "Cicero" und Kolumnist der Rheinischen Post.

Foto: Schwennicke

Es hat nichts genützt. Nicht ihre vorgezogene Selbsteinladung in die Bundespressekonferenz. Nicht ihre Beschwichtigungen. Nicht ihr Mantra vom "Wir schaffen das". Auch nicht der Flankenschutz ihrer Prätorianer in Politik und Publizistik. Die Anschläge und Attentate von Ansbach und Würzburg sind Angela Merkels zweites Köln. Dort hatten Hunderte Flüchtlinge in der Silvesternacht Frauen sexuell bedrängt und misshandelt. In den Tagen danach wurde verheimlicht, verdreht (Justizminister Maas verstieg sich gar in die Theorie der organisierten Kriminalität), beschönigt. Doch der Bericht des BKA ließ an dem erschreckenden Befund keinen Zweifel. Es waren in erster Linie Flüchtlinge, die für die massenhaften sexuellen Übergriffe verantwortlich waren. Merkels Umfragewerte gingen das erste Mal auf Talfahrt.

Union käme im Moment auf 34 Prozent

Nun erweisen sich die Ermittlungen zu Ansbach und Würzburg als eindeutig. Beide Attentäter, Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan, hatten direkten Kontakt zu IS-Leuten in Saudi-Arabien, wie der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe meldet. Und wie seinerzeit nach Köln brechen die Umfragewerte ein, sowohl für Merkel selbst, für ihre Flüchtlingspolitik, als auch für die Union. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend sind 55 Prozent der Befragten mit der Arbeit der Regierung unzufrieden. Mit Merkels Flüchtlingspolitik sind knapp zwei Drittel nicht einverstanden. Die Union käme bei der Bundestagswahl aktuell nur noch auf 34, die SPD gar auf 22 Prozent.

Angela Merkel mag sich noch so sehr dagegen verwahren, aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik des vergangenen Jahres persönlich und politisch für die blutigen Vorfälle mit verantwortlich zu sein: Diese Einschätzung liegt nicht allein in ihrem Ermessen. Sondern im Ermessen jeder einzelnen Wählerin und jedes Wählers. Und: Viele Bürger kommen zu einem anderen Ergebnis als sie.

Wer will, kann das als ungerecht und undifferenziert betrachten. Mit ihrem Satz und ihrem Alleingang von Ende August/Anfang September vergangenen Jahres hat die Kanzlerin alle Folgen dieser Flüchtlingspolitik zur Chefsache gemacht. Die guten wie die schlechten. Es verhält sich mit dem "Wir schaffen das" wie seinerzeit mit dem Satz ihres Vorgängers Gerhard Schröder, der 2002 dekretierte, wenn er und seine Regierung es nicht schafften, die Arbeitslosigkeit signifikant zu senken, dann hätten sie es nicht verdient, wiedergewählt zu werden. Wie ein Mühlstein hing ihm dieser Satz um den Hals.

Merkel wankt

Und an ihrem Versprechen wird nun auch Merkel gemessen, jeder Erfolg auf diesem Feld wird ihr gutgeschrieben, und jeder Rückschlag eben auch angelastet. So ist Politik, und das ist auch richtig so.

So kommt es, dass Angela Merkel zum ersten Mal in ihrer elfjährigen Amtszeit wankt. Ihr zwischenzeitlich besänftigter Widersacher Horst Seehofer ist nach den Attentaten von Islamisten wieder auf den Plan getreten. Hat ihrem Mantra widersprochen - und profitiert. Seine Umfragewerte (und die der CSU) steigen, während Merkel verliert - womit auch klar ist, dass die verbreitete These Unsinn ist, der CSU-Chef mache mit seinem Gebaren die AfD stark. Er macht sich und die CSU damit stark. Wenn die CSU nicht wäre und ihren Anteil zu den Werten der Union beitrüge, läge die CDU auf einem Niveau, auf dem sich die SPD inzwischen eingependelt hat.

Wird es für Merkel existenziell? In einer Mischung aus Wut, Ohnmacht und Verzweiflung hat Seehofer in einem Sommerinterview als Reaktion auf Merkels Äußerungen zu den Anschlägen abermals erkennen lassen, dass er als Spitzenkandidat der CSU bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr antreten könnte. Einige ernstzunehmende Beobachter haben daraus abgeleitet, Seehofer strebe es an, Kanzlerkandidat und Bundeskanzler zu werden. Dieser Pass ist etwas steil gespielt. Denn so geht das natürlich nicht. Absurd ist die Vorstellung, dass sich der gestärkte Seehofer und die geschwächte Merkel wie seinerzeit Merkel und Edmund Stoiber zum Frühstück (dann in Templin oder Ingolstadt) treffen und Merkel Seehofer den Vortritt ließe.

Seltene Eigenschaft: Mut

So lange die CDU den Eindruck hat, dass sie mit Merkel die besten Chancen hat, werden sie sich von der breitbeinigen Schwester aus Bayern nicht hineinregieren lassen. Es fällt aber auf, dass sich auch in der CDU die ersten Protagonisten für eine Post-Merkel-Zeit in Stellung bringen. Zuvorderst Finanzstaatssekretär Jens Spahn, der sich deutlich von Merkels Flüchtlingskurs abgrenzt und über eine in der Merkel-CDU seltene Eigenschaft verfügt: Mut.

Eine konzertierte Aktion aus derzeit still Leidenden in der CDU (die es in erschreckend hoher Zahl gibt) und Alliierten in der CSU könnte Merkel allerdings durchaus gefährlich werden. Jedenfalls ist ihre Position beileibe nicht mehr so komfortabel wie vor einem Jahr. Und jeder weitere Vorfall nach Köln, Ansbach oder Würzburg schwächt sie weiter. Außerdem könnte Merkel ein Effekt gefährlich werden, den man den Guttenberg-Effekt nennen könnte.

Schröder hätte Merkels Satz nicht gesagt

Der frühere Star der CSU hatte im Zuge des Skandals um seine Doktorarbeit auch lange noch den Rückhalt der Bevölkerung. Er, als Hoffnungsträger einer ganzen Generation in der Union. Seine Beliebtheit schützte ihn lange vor Folgen der Affäre, viel länger, als es die Sachlage hergegeben hätte. Dann aber brachen seine Werte mit einem Schlag ein. Das Phänomen ist leicht erklärt: es dauert lange, bis Wählerinnen und Wähler bereit sind, ihr Bild von einem Politiker zu revidieren. Denn darin liegt am Ende auch das Eingeständnis, sich persönlich in jemandem geirrt zu haben. Wenn aber die Faktenlage sich als unumstößlich erweist, dann kippt diese Loyalität mit einem Schlag radikal ins Gegenteil und entlädt sich in regelrechter Wut. So war es bei Guttenberg am Ende. Und vor diesem Effekt ist auch die Kanzlerin nicht gefeit.

Gerhard Schröder ist sein Versprechen beinahe zum Verhängnis geworden. Mit Müh' und Not hangelte er sich in die nächste Amtszeit, die keine ganze mehr wurde. Heute weiß er, dass sein kühner Satz einer seiner schwerwiegendsten Fehler, wenn nicht der schwerste war. Und genau vor diesem Erfahrungshorizont hat er im Laufe des vergangenen Jahres zu Merkels historischem Satz zu Protokoll gegeben: "Ich hätte nicht gesagt: Wir schaffen das."

Der Autor ist Chefredakteur des politischen Magazins "Cicero" und Kolumnist der Rheinischen Post. Seine Kolumnen finden Sie hier.

(RP)
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