Agenda 2010 Angela Merkel gibt den Schröder

Berlin · Verkehrte Welt: Die Bundeskanzlerin verteidigt die Agenda 2010 des SPD-Kanzlers Schröder gegen den SPD-Kanzlerkandidaten Schulz. Den hält eine Mehrheit bisher noch nicht für glaubwürdig.

 Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Oppositionsführerin Angela Merkel (CDU) im März 2004 während einer Debatte zur Agenda 2010 im Bundestag. (Bildbearbeitung: Ferl)

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Oppositionsführerin Angela Merkel (CDU) im März 2004 während einer Debatte zur Agenda 2010 im Bundestag. (Bildbearbeitung: Ferl)

Foto: dpa

Angela Merkel ist aus der Deckung gekommen. Ihr Herausforderer Martin Schulz von der SPD macht nicht mehr nur alleine Wahlkampf, seine Gegnerin stellt sich ihm neuerdings entgegen. Erstmals tat sie das am Samstag auf dem CDU-Parteitag des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern, der sie mit großer Mehrheit zur Spitzenkandidatin wählte. Im alarmroten Jackett verteidigte Merkel die Agenda 2010 ihres Vorgängers Gerhard Schröder von der SPD. Ohne diese Reform, so Merkel, hätte sie Deutschland nicht zwölf Jahre lang so erfolgreich regieren können.

Schulz hatte Anfang vergangener Woche angekündigt, er wolle Teile der Agenda 2010 revidieren. So wolle er etwa befristete Arbeitsverträge abschaffen, wenn sie ohne Sachgrund angeboten würden. Auch sei es zu hart, wenn ein Arbeitsloser mit über 50 Jahren nur 15 Monate lang Arbeitslosengeld beziehen könne. Schulz hatte daraufhin viel Kritik einstecken müssen, weil die SPD damit erneut Teile ihrer eigenen, erfolgreichen Reformagenda von 2005 infrage stellt.

"Nicht in Stein gehauen"

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil versuchte gestern in der ARD zu beschwichtigen: Auch von Ex-Kanzler Schröder stamme der Hinweis, die Agenda sei "nicht in Stein gehauen". Die Kernelemente der Agenda stünden überhaupt nicht mehr zur Diskussion, sagte Weil: "Wir reden jetzt über einzelne Elemente."

Merkels Lob für Schröder war deutlicher: "Der frühere Bundeskanzler hat sich mit der Agenda 2010 um Deutschland verdient gemacht", sagte sie in Stralsund. 2,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze seit 2010, die Halbierung der Arbeitslosenzahl auf jetzt 2,5 Millionen seien undenkbar ohne die Arbeitsmarktreformen von Schröder. Die Entwicklung seit 2005 sei eine einzigartige Erfolgsgeschichte. "Aber die Sozialdemokraten mögen sich bis heute zu dieser Erfolgsgeschichte nicht bekennen. Man hat den Eindruck, sie schämen sich sogar dafür", sagte Merkel.

Seit 2005 hätten die von ihr geführten Koalitionsregierungen Veränderungen vorgenommen, wenn sich negative Entwicklungen wie bei der Werk- und Leiharbeit gezeigt hätten. Zudem sei das Arbeitslosengeld nach Alter differenziert worden. "Aber den Kern dieser Agenda, den haben wir immer durch unsere politischen Entscheidungen gestärkt", betonte Merkel. Die Union hadere nicht mit der Reformagenda, sondern denke darüber nach, wie sie zu einer "Agenda 2025" weiterentwickelt werden könne, so Merkel. Ein Thema der Zukunft sei die Generationengerechtigkeit. Die Union müsse etwa einen Schwerpunkt auf jüngere Familien legen.

Auch nach rechts grenzte sich Merkel ab - und löste damit bei der AfD, bei Rechtspopulisten von Pegida, aber auch im rechten Lager der Union einen neuen Sturm der Entrüstung aus. Merkel sagte: "Die Zeit der deutschen Einheit, die Zeit, als der Eiserne Vorhang fiel, die Zeit, als Europa zusammengewachsen ist, war eine wunderbare Zeit. Und deshalb gibt es auch keinerlei Rechtfertigung, dass sich kleine Gruppen aus unserer Gesellschaft anmaßen zu definieren, wer das Volk ist. Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt. Das lassen wir uns nicht nehmen."

Kritik an Merkel-Äußerung

Was die Konservativen so erzürnte: Nicht jeder, der in Deutschland lebe, sei auch deutscher Staatsbürger und gehöre damit zum "Volk", wie es das Grundgesetz definiere. Die unionsinterne Gruppe "Freiheitlich-konservativer Aufbruch" äußerte gestern "absolutes Unverständnis und entschiedene Ablehnung". In einer Erklärung der Gruppe hieß es: "Merkels Äußerungen gefährden die Wahlerfolge der Union bei den bevorstehenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl, weil sie die Stammwähler der Union ausgrenzt."

Ob sich Merkel bewusst so geäußert hat, blieb offen. Ein größerer politischer Schaden dürfte ihr daraus jedoch nicht entstanden sein. Gefährlicher dagegen könnte es werden, würde die Union die vom SPD-Herausforderer aufgegriffenen Abstiegsängste ignorieren. CDU-Mittelstandspolitiker Carsten Linnemann sagte daher: "Es gibt Abstiegsängste in der Bevölkerung, die die Union ernst nimmt. Aber wir wollen nicht wie Martin Schulz diese Ängste befeuern oder die erfolgreiche Agenda 2010 zurückdrehen, wir wollen sie weiterentwickeln auf die neue Arbeitswelt." So setze die Union auf mehr bezahlbaren Wohnraum für Familien. "Wer erstmals ein Haus oder eine Wohnung erwirbt, sollte von der Grunderwerbsteuer befreit werden", forderte Linnemann. Neben den Steuern müssten auch die Beitragssätze runter: "Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung kann 2018 sofort auf 2,7 Prozent gesenkt werden."

SPD in Umfrage vor der Union

Dass es für Merkel noch nicht zu spät ist, in diesen Wahlkampf einzutreten, zeigte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid. Demnach kauft eine Mehrheit von 57 Prozent der Befragten dem SPD-Kandidaten Schulz noch nicht ab, dass er sich wirklich für hart arbeitende Menschen einsetzen wird. Zudem glauben nur 36 Prozent der Bundesbürger und 56 Prozent der SPD-Anhänger daran, dass er im Herbst Merkel ablösen wird.

Erstmals seit Schulz Kanzlerkandidat ist, fiel die SPD auch in der Wählergunst zurück. Sie verliert einen Punkt und kommt auf 32 Prozent. Die SPD liegt damit weiter gleichauf mit der Union. Im ARD-"Deutschlandtrend" lag die SPD am Freitag erstmals seit zehn Jahren mit 32 Prozent vor der Union (31 Prozent).

(mar)
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