Angela Merkel und ihre große Koalition Halbzeit

Berlin · Die halbe Wahlperiode ist um, viele Themen des Koalitionsvertrags sind erledigt. Die Kanzlerin ist auf dem Höhepunkt ihrer Macht - schon so lange, dass die SPD verzweifeln könnte.

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Der Zenit ist der Punkt des Himmels, der sich genau über dem Beobachter befindet - und wer im Zenit steht, hat das Höchste an Erfolg und Entfaltung in einem Gesamtablauf erreicht. Nach ihrer dritten Wahl zur Bundeskanzlerin 2013 hieß es, Angela Merkel stehe im Zenit ihrer Macht. Zur Mitte der Legislaturperiode, im August 2015, werde ihr Stern sinken. CDU-Präsidiumsmitglieder rechneten mit einer Debatte über Merkels Nachfolge als Parteichefin - sie werde ihr Amt als Kanzlerin abgeben, schrieben Journalisten.

Heute steht Merkel immer noch im Zenit. Die SPD fragt sich, wie lange dieser Zustand wohl noch andauert. Den Scheitelpunkt hat die 61-Jährige jedenfalls allem Anschein nach noch nicht überschritten.

Sie gilt weiterhin als mächtigste Frau der Welt, die Union liegt in Umfragen ungebrochen über 40, der Koalitionspartner SPD bei bleiernen 25 Prozent. Viele Sozialdemokraten sind einigermaßen frustriert - und ratlos, wie sie aus der Umfragestarre herauskommen sollen.

Schließlich ackerten sie in den vergangenen Monaten eifrig, arbeiteten den Koalitionsvertrag ab und setzten ein Projekt nach dem anderen durch - wie Mindestlohn, Mietpreispreisbremse, Rente mit 63 oder Frauenquote. Trotzdem kommen sie in Umfragen nicht vom Fleck.

Die CDU dagegen stützte sich auf das, was sie nicht macht: Steuern erhöhen und neue Schulden machen. Die "schwarze Null", ein Haushalt ohne Neuverschuldung und Steuererhöhungen, ist Programm.

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Foto: dpa/Peter Kneffel

Die Schwesterpartei CSU kämpft weiter um ihre Prestigeprojekte aus dem Wahlkampf: Maut und Betreuungsgeld. Die Maut wurde von der EU- Kommission, das Betreuungsgeld vom Bundesverfassungsgericht ausgebremst. Zwei schwere Rückschläge also. Fragt sich, was das mit dem Gemüt der CSU macht - und mit dem von Parteichef Horst Seehofer.

Aus der SPD kommen Warnungen, die Christsozialen seien durch die beiden Pleiten schwer in die Enge getrieben und dürften nun um sich beißen. Das könne gefährlich werden für das Klima in der Koalition.

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi meint, Merkel werde in den nächsten Monaten einiges zu tun haben, die eigenen Reihen zusammenzuhalten. Das habe sich schon in der Griechenland-Krise gezeigt. "Nicht die SPD ist das Problem, was den Zusammenhalt der Koalition angeht", meint sie.

Allerdings machen auch die Sozialdemokraten in aller Regelmäßigkeit mit internen Querelen von sich reden. Zuletzt sorgte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) für Schnappatmung bei einigen Genossen, als er vor laufender Kamera dafür plädierte, die SPD solle angesichts der Popularität von Merkel doch lieber gleich auf einen Kanzlerkandidaten verzichten. Die Parteispitze widersprach lautstark und empört. Doch tatsächlich hat Albig einen wunden Punkt angesprochen. Der SPD-Herausforderer dürfte es schwer haben gegen Merkel. Ob Parteichef Sigmar Gabriel selbst antritt, ist offen. Das Gerangel um diesen Job hält sich in Grenzen.

Auch Merkel hat noch nicht verraten, ob sie antritt. Alle Welt geht davon aus. Tut sie es, dann hätte sie die Chance, die Kanzler Konrad Adenauer und Helmut Kohl einzuholen. Kohl hält den Rekord mit 16 Jahren Kanzlerschaft. Merkel ist im November zehn Jahre Kanzlerin, seit mehr als 15 Jahren führt die Frau aus der DDR die CDU.

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Foto: Screenshot / instagram.com/bundeskanzlerin

Am Montag hat Merkel ihren ersten Arbeitstag nach dem Urlaub. Am Mittwoch leitet sie die erste Kabinettssitzung nach ihrer persönlichen Sommerpause. Das markiert den Start in die zweite Halbzeit ihrer zweiten großen Koalition. In zwei Jahren läuft um diese Zeit die heiße Wahlkampfphase an. Der Ton dürfte aber schon lange vorher rauer werden.

Ein paar Mal knirschte es bereits bei Schwarz-Rot. Etwa in der Kinderpornografie-Affäre um den SPD-Mann Sebastian Edathy, in deren Wirren Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zurücktreten musste.

Oder in der Griechenland-Krise, als Gabriel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sich öffentlich vorwarfen, Informationsabläufe innerhalb der Regierung falsch darzustellen. Im vergangenen Mai sorgte Gabriel auch für Ärger, als er Details aus einer vertraulichen Unterredung mit Merkel zur Geheimdienst-Spähaffäre ausplauderte. Diese gezielte Indiskretion wurde von einigen als - eher hilfloser - Versuch gewertet, an Merkels Ansehen zu kratzen.

Die Arbeit der Geheimdienste ist für Merkel aber vielleicht tatsächlich das heikelste Thema. Die Kanzlerin, die überall in der Welt Bürger- und Freiheitsrechte einfordert, gilt als zu nachlässig gegenüber den USA, von deren Geheimdienst NSA sogar sie selbst bespitzelt wurde. Bis heute hat Präsident Barack Obama ihr nicht zugesichert, dass die USA deutsches Recht auf deutschem Boden einhalten. Mitunter erweckt Merkel den Eindruck, dass die deutschen Dienste ebenfalls schwer zu kontrollieren seien. Dafür ist aber auch ihr Kanzleramt verantwortlich.

Auch wenn die Koalition schon einen großen Teil ihres Koalitionsvertrages abgearbeitet hat, bis 2017 bergen noch viele Themen Konfliktpotenzial. Da ist zunächst ein drittes Griechenland- Hilfspaket. Noch nie verweigerten so viele Abgeordnete Merkel die Gefolgschaft wie im Juli bei der Abstimmung über die Aufnahme von Verhandlungen. Die mühselig aufgebaute Maut und das Betreuungsgeld kommen auf Wiedervorlage. Bei der geplanten Erbschaftssteuer legt sich die CSU quer. Dann ist da noch das Ringen um ein Einwanderungsgesetz. Vor allem die CSU bremst, weil sie mehr Zuwanderung fürchtet. Und ein großes Thema ist und bleibt die wachsende Zahl an Flüchtlingen. Auch hier haben Union und SPD zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Angela Merkel: erst Geburtstag, dann Griechenland-Rede
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Angela Merkel: erst Glückwünsche, dann Griechenland-Rede

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International dürfte Merkel weiter viel Energie bei der Rettung Griechenlands, der Befriedung der Ukraine, im Konflikt mit Russlands Staatschef Wladimir Putin und für das Thema Klimaschutz verbrauchen.

Aber gerade ihre Außenpolitik, nächtelange Verhandlungen für Kiew und Athen, Reisen nach Peking und Washington, Chile und Moskau haben Merkels Stellung in der Welt gestärkt. Sie gilt als Stabilitätsfaktor in Europa. Nebenbei bemerkt ist sie die dienstälteste Regierungschefin in der EU. Viele andere haben die 2008 ausgebrochene Finanz- und Schuldenkrise nicht überstanden.

Bei der Suche nach dem "Jugendwort" des Jahres steht derzeit übrigens "merkeln" ganz oben auf der Favoriten-Liste. Laut Langenscheidt-Verlag bedeutet das bei jungen Menschen (sie kennen die Bundesregierung bisher nur mit Merkel an der Spitze) so viel wie "Nichtstun, keine Entscheidungen treffen, keine Äußerungen von sich geben". Fragt sich, ob sie das blöd oder "bambus" (cool) finden.

Und die Frage ist auch, was von Merkels langer Kanzlerschaft einmal in Erinnerung bleibt. Mit ihr wird kein richtiges Herzensthema verbunden. Und da, wo sie für ihre Verhältnisse mit viel Herzblut Politik macht, wird ihr Herzlosigkeit vorgeworfen: Im Bemühen, den Euro zu stärken und die Euro-Länder zusammenzuhalten. Ob sie hier Erfolg hat, dürfte sich erst in einigen Jahren zeigen. Vielleicht erst dann, wenn sie wirklich nicht mehr Kanzlerin ist.

(dpa)
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