Deutschland und Indien Beziehungsstatus kompliziert

Berlin/Delhi · Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich bei ihrem Besuch in Delhi für die deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen eingesetzt. Beliebt ist Merkel in Indien derzeit wegen ihres Umgangs mit der Flüchtlingskrise. Inwieweit Indien sich als enger Partner Deutschlands etablieren kann, muss sich zeigen.

Angela Merkel zu Besuch in Indien
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Merkel zu Besuch in Indien

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In Erinnerung bleiben wird vom Besuch in Indien ein Bild der Einigkeit: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Indiens Premierminister Narendra Modi, unisono in hellblau, reichen sich im angeregten Gespräch die Hand. Das Bild erschien am Dienstag auf fast allen Titelseiten der großen englischsprachigen indischen Tageszeitungen.

Modi, bekannt als Charismatiker und Mann der markigen Worte, verstand es, sich auf die eher sachliche Ebene der Kanzlerin einzustellen und zeigte sich als zugewandter Gesprächspartner. So drückte er Merkel seine Wertschätzung dafür aus, dass sie nach Indien gereist sei, "obwohl es zu Hause viele Sorgen gebe."

"Mutter Angela" stößt hier auf Resonanz

Damit sprach der Premier ein Thema an, das die deutsche Politik spaltet, Merkel in Indien jedoch viel Anerkennung eingebracht hat: ihr Umgang mit einem stetig wachsenden Zustrom an Flüchtlingen. Es hat das Bild der reservierten, aufs Wesentliche gerichteten deutschen Regierungschefin weichgezeichnet.

Das Titelbild des "Spiegel" von Mitte September, das in Anlehnung an Mutter Teresa eine "Mutter Angela" zeigt, wurde denn auch von der Online-Ausgabe der englischsprachigen indischen Zeitung "The Hindu" aufgegriffen. Die aus einer albanischen Familie stammende und im heutigen Mazedonien geborene Mutter Teresa gilt mit ihrem jahrzehntelangen Engagement für die Ärmsten in Kalkutta als eine Art Nationalheilige.

Experten sprechen von einem "dualen Charakter"

Mild gestimmt ist die Haltung gegenüber Deutschland derzeit, die gegenseitigen Interessen und Erwartungen liegen dennoch klar auf dem Tisch. Doch Indiens Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Aus europäischer Sicht mögen die vielen "Baustellen" wie mangelnde Infrastruktur oder scheinbar undurchschaubare Bürokratie ein Hindernis von Investitionen sein, in Indien erkennt man auch Chancen in der Widersprüchlichkeit.

"Indien hat eine Art dualen Charakter und das wird auch noch eine Weile so bleiben", sagt Samir Saran, stellvertretender Direktor der Observer Research Foundation, eines führenden indischen ThinkTanks und Forschungsinstituts. "Auf der einen Seite produziert das Land hochentwickelte Informationstechnologien und -dienstleistungen, auf der anderen Seite muss Indien eine unfertige Agenda aus dem letzten Jahrhundert erfüllen." Bildung, Gesundheit, ausreichende Ernährung für alle Bürger, aber auch die Möglichkeit für Innovation ständen an erster Stelle.

In mehreren Fragen ist Indien eine Großmacht

An dieser Aufgabe und daran, wie schnell sie erfüllt werden kann, wird sich auch die Frage Indiens als Großmacht in der Weltpolitik entscheiden. Saran: "Es kommt darauf an, wie man diese Frage stellt. Bei Handelsabkommen, einer stabilen internationalen Sicherheitspolitik oder effektiven Maßnahmen gegen den Klimawandel geht es sicher nicht ohne Indien. Aber kann Indien die politischen Entwicklungen in der EU oder in Lateinamerika beeinflussen? Nein."

Die Interessen Deutschlands an Indien wie an China sieht Saran als eindeutig wirtschaftlich orientiert. "Deutschland will an wachsenden Märkten teilhaben und Indien ist eine Chance. Eine Antipode zu China kann Indien derzeit schon deshalb nicht bilden, weil Chinas Wirtschaft rund viermal so groß ist wie Indiens." In Zeiten der Instabilität in Europa ist es naheliegend, dass Deutschland Partner außerhalb sucht. Indien hat Potenzial. Als "größte Demokratie der Welt" gibt es eine größere politische Nähe als zu China. Doch an der schieren Größe scheitern auch viele Projekte.

Kampf gegen Armut hat oberste Priorität

Von der Politik gibt es seit Langem Versuche, Menschen aus benachteiligten sozialen Schichten Bildung und Aufstieg zu ermöglichen zum Beispiel durch Quoten bei Studienplätzen oder bei Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung. Doch in der freien Wirtschaft gibt es solche Quoten nicht. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe hat nach wie vor eine bestimmende Kraft aus Sicht vieler Menschen. Das festigt Stagnation, verhindert Aufstieg.

Erst Ende September hatte Modi vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärt, dass ein Vorgehen gegen Armut höchste Priorität haben müsse. Gerichtet war das an die gesamte UN. Indien sollte es auch als Appell an sich selbst verstehen. Denn es gibt auch dort "viele Sorgen zu Hause".

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