Bundespressekonferenz Merkel macht den Wahlkampf vergessen

Berlin · Jedes Jahr im Sommer kommt Merkel in die Bundespressekonferenz und stellt sich allen Fragen der Hauptstadtjournalisten zur Innen- und Außenpolitik. Dass sich in gut drei Wochen ihre weitere politische Zukunft entscheidet, ließ sich die Kanzlerin nicht anmerken.

Das einzige an der Kanzlerin, was an diesem Morgen im Berliner Regierungsviertel für Offensive steht, ist die Farbe ihres Jacketts: signalrot. Ansonsten verhält sich Merkel so, als sei gar kein Wahlkampf.

Sie erscheint überpünktlich vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz. Höflich ist sie immer gegenüber Journalisten. Geduldig beantwortet sie die Fragen der Hauptstadtpresse zu Maut und Mindestlohn, zur Türkei und Russland, zur Digitalisierung und zur Ehe für alle. Sie macht das routiniert. Fachlich beschlagen, inhaltlich gewohnt abwägend präsentiert sie sich als Expertin für Regierungsangelegenheiten. Sie bedauert manches, was "anders ist, als ich es mir wünsche": Die Lage in der Türkei, der Zustand der deutschen Automobilindustrie, das zähe Vorankommen bei der Digitalisierung. Sie macht auf Fortschritte aufmerksam, benennt Defizite, kennt die Details.

Ein typischer Merkel-Satz fällt zur Digitalisierung "Wir sind in einem Prozess, der ist alles andere als abgeschlossen." Den Ehrgeiz, einen solchen Prozess zu beschleunigen, voranzutreiben, so zu gestalten, dass Deutschland zum Vorreiter wird, lässt sie nicht erkennen.

Nur zwei Seitenhiebe, die wirken wie der Zug eines Fächers, verteilt sie an die SPD. Beim Thema Klimaschutz bedauert sie, dass es in dieser Wahlperiode nicht gelungen ist, die Steuererleichterungen für Gebäudesanierungen zu schaffen. Dass sie dafür die Sozialdemokraten verantwortlich macht, muss man wissen. Klar sagt sie es nicht. Beim Thema AfD teilt sie noch am deutlichsten gegen die SPD aus. Die CDU lehne jede Kooperation mit der AfD ab, "mit den Linken macht die Sozialdemokratie das leider nicht".

Es dauert 25 Minuten, bevor Merkel überhaupt erwähnt, dass Wahlkampf ist. Als sie in einer Frage damit konfrontiert wird, dass sie ihren Herausforderer ignoriert, sagt sie freundlich: "Ich habe extra heute schon einmal Martin Schulz gesagt." Das stimmt. Mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung oder einem Angriff war die Erwähnung allerdings nicht verbunden. An anderer Stelle verteidigt sie ihren Stil des Wahlkampfs. "Wer meint, schön ist Wahlkampf nur, wenn man sich gegenseitig beschimpft — dann ist das nicht meine Vorstellung." Ob sie denn noch etwas "Überraschendes" habe, will eine Kollegin wissen. Da guckt Merkel selbst überrascht.

Merkel schickt sich an, mit ihrer Lieblingsstrategie, selbst so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, erneut ins Kanzleramt einzuziehen. Dass sie davon überzeugt ist, an der Macht zu bleiben, offenbart sie in einer Antwort zur Flüchtlingspolitik. Wie es mit dem Familiennachzug weiter gehen soll? "Das werde ich mir Anfang nächsten Jahres anschauen", sagt Merkel. Dann stockt sie und beteuert, damit es ihr nicht als Arroganz ausgelegt werde, wolle sie hinzufügen, "dass wir eine Wahl haben".

Als Merkels Stärke gilt das Beherrschen von Krisen und das Lösen von Problemen. Beim Entwerfen von Zukunftsvisionen war sie schon immer eher schweigsam. Konkrete Politik kann sie viel besser als übergeordnete Debatten führen. Dass ihr das konfrontative Format des TV-Duells nicht besonders liegt, konnte man schon in den Wahlkämpfen 2005, 2009 und 2013 besichtigen. Die Kritik, sie haben in diesem Jahr die Bedingungen für das Duell zu ihren Gunsten diktieren wollen, weist sie zurück.

Es sei "guter Stil, dass man über die Modalitäten spricht, die Dinge ablaufen können", betont sie, als gehe es um technische Details. Warum sie sich nicht zweimal der direkten Auseinandersetzung mit Schulz im Fernsehen stellt? In Deutschland gehe es ja anders als in Amerika nicht um eine Personen-Wahl, sagt die CDU-Vorsitzende. Dabei ist sie für ihre Partei das wichtigste Argument im Wahlkampf.

Standfest bleibt Merkel beim Thema Flüchtlingspolitik. 2015, als sie die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge nach Deutschland einreisen ließ, habe sie eine "humanitäre Entscheidung" getroffen, wiederholt sie zum x-ten Mal. Ihre Afrika-Politik heute entspringe dem "gleichen Geist" von Humanität.

Für die Beantwortung der Frage nach einer Modifizierung des deutschen Asylrechts braucht sie nur einen Hauptsatz: "Das habe ich nicht vor."

(qua)
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