CDU-Parteitag Merkels Balanceakt

Karlsruhe · In der Flüchtlingspolitik braucht die Kanzlerin den Rückhalt ihrer CDU. Dafür macht sie Zugeständnisse - nicht aber beim Thema Obergrenze.

 Kanzlerin Merkel bereitet mit der Parteispitze die Tagung in Karlsruhe vor.

Kanzlerin Merkel bereitet mit der Parteispitze die Tagung in Karlsruhe vor.

Foto: afp, tk/apr

Die Geschichte der O - sie soll auch beim Bundesparteitag der CDU nicht geschrieben werden. O wie "Obergrenze", das Wort, das Horst Seehofer von der CDU-Chefin Angela Merkel schon bei seinem CSU-Parteitag in München vergeblich erhoffte, will sich die Kanzlerin auch in ihrer eigenen Partei nicht in die Beschlusslage hineinstimmen lassen. In mehreren Wellen versucht sie deshalb, die immer kritischer und ungemütlicher werdende Partei hinter sich zu sammeln.

Am Abend gelingt es ihr, die schärfsten Kritiker von der Jungen Union und der Mittelstandsvereinigung in einen neuen Kompromiss einzubinden. Deutschland dürfe nicht überfordert werden, die Zahl der Flüchtlinge müsse reduziert, die Kontrollen gegebenenfalls "intensiviert" werden. Ob die Delegierten das am Montagbeim Auftakt des Parteitages auch so sehen? Hier kommt es auf Merkels Überzeugungskraft an.

Die Partei diskutiert seit Anfang September darüber, ob der Zustrom von Flüchtlingen zahlenmäßig begrenzt werden kann und muss - mit allen Konsequenzen: Grenzschließungen, Zurückweisungen und damit verbundenen fürchterlichen Szenen von Gewalt und Verzweiflung an der deutschen Grenze. Damals im September hatte Kanzlerin Merkel im Interview mit unserer Redaktion betont, dass das deutsche Asylrecht keine Obergrenze kenne. Dies gelte auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle des Bürgerkriegs kämen. Die CSU und auch Teile der CDU drängen seitdem auf genau das, was Merkel verweigert: Obergrenzen.

Diese Linie will sie auch beim Parteitag durchsetzen. Und dafür soll auch optisch alles optimal vorbereitet sein. Bei ihrer Hallenbesichtigung am Nachmittag interessiert sich Merkel mehr als in den Vorjahren dafür, wie sie am folgenden Tag über die Großleinwände wirkt. Wie ihr Bild bei den besonders kritischen Landesverbänden ankommt. Parallel hat sie in mehreren Interviews Entgegenkommen und Entschlossenheit signalisiert. Und weil Sachsen-Anhalts CDU-Chef-Wahlkämpfer Reiner Haseloff immer noch auf eine Obergrenze von 400.000 kommt, telefoniert sie auch mit ihm. Als Ergebnis kündigt sie für die Gremiensitzungen Flexibilität bei jenen "Fragen" an, um die sich die Menschen sorgen.

Prompt knüpft eine Ergänzung zum Leitantrag nach mehrstündigen Diskussionen an den "Interessen der Menschen in Deutschland" an. Die CDU sei deshalb "entschlossen, den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern". Und schließlich das von Junger Union und Mittelständlern so eindringlich verlangte "Signal der Begrenzung". Freilich ohne dieses Wort zu erwähnen; "Ein Andauern des aktuellen Zuzugs würde Staat und Gesellschaft, auch in einem Land wie Deutschland, auf Dauer überfordern", heißt es nun. Und ein paar Seiten weiter kommt ein Passus zum Europa der offenen Grenzen nach dem Schengen-Vertrag hinzu. Die gerade laufenden Kontrollen seien "so lange unverzichtbar und gegebenenfalls zu intensivieren, bis eine strikte und Schengen-konforme Kontrolle der Außengrenzen gewährleistet" sei.

Also der Weg zum Zurückweisen von Flüchtlingen? Umgehend beugt Generalsekretär Peter Tauber vor. Das sei damit nicht gemeint. Das diene allein der "inneren Sicherheit". Doch im Umfeld des Parteitages orakelt Innenminister Thomas de Maizière ebenfalls über schärfere Grenzkontrollen, von der EU vorbereitete strikteres Einschreiten auch ohne Antrag der betroffenen Länder und auch über die Möglichkeit, Ankommende zurückzuweisen. Wenn der Zeitpunkt dafür gekommen sei, werde man nicht darüber sprechen, sondern "handeln".

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Energisch gibt sich Tauber bei der Rolle, die nun Europa zu übernehmen habe. Mittwoch werde sich Deutschland bei der EU dafür einsetzen, aus Frontex eine Grenzschutzpolizei zu machen, Donnerstag weitere Gespräche mit der Türkei führen, am nächsten Wochenende auch im Europäischen Rat voranzukommen versuchen.

Zuvor, im Bundesvorstand, hat Merkel-Vize Volker Bouffier den "Druck" gelobt, den Mittelstandschef Carsten Linnemann und Junge-Union-Vorsitzender Paul Ziemiak auf die Spitzengremien ausgeübt hätten. Sonst hätte es diese Verständigung im Bundesvorstand kaum gegeben. Für den Augenblick scheinen die Kontrahenten zufrieden. Doch einer sagt Nein: Arnold Vaatz, Vizevorsitzender der Unionsfraktion und sächsischer CDU-Politiker, will am nächsten Tag eine andere, klarere Richtungsvorgabe. Auch Tauber will nicht vorhersehen, wie viele der 1001 Delegierten noch mit Initiativanträgen nach der Merkel-Rede um die Ecke kommen.

Einig ist sich die CDU jedenfalls, dass es einer Begrenzung und vor allem einer Verlangsamung des Flüchtlingszustroms bedarf. Im kommenden Jahr müsse die Zahl deutlich unter der eine Million liegen, die in diesem Jahr gekommen sind, sagt de Maizière im Interview. Ziel ist es, die Asylanträge im kommenden Jahr so rasch abzuarbeiten, dass die Zahl der unbearbeiteten Formulare nicht weiter wächst. Dies werde aber nur gelingen, wenn auch die Zahl der Neuankömmlinge sinkt, heißt es in Regierungskreisen. Wie viele Flüchtlinge kommen können, ohne dass auch 2016 die Zahl der unbearbeiteten Anträge steigt, sagt niemand offiziell. Denn diese Zahl würde sofort als faktische Obergrenze gehandelt. Hinter den Kulissen hört man allerdings die Zahl 500.000, die für Länder- und Bundesbehörden als verkraftbar gilt.

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Merkel wird kämpfen müssen, um den Parteitag hinter sich zu bringen. Wie sieht der Generalsekretär im Vorfeld die Stimmung? Wird Tauber mit jenen 74,3 Prozent Zustimmung für den Leitantrag zufrieden sein, die beim Koalitionspartner SPD Parteichef Sigmar Gabriel bei seiner Wiederwahl bekam? "Wir Christdemokraten sollten uns nicht an den Sozis orientieren - das ist nicht unsere Flughöhe", meint er schmunzelnd.

(may-, qua)
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