Neue WikiLeaks-Enthüllungen Achtung! Festhalten! Top secret!

Meinung | Berlin · Die Lauschaktionen des US-Geheimdienstes gegen die Bundeskanzlerin waren möglicherweise größer als bislang erwartet, heißt es nach der jüngsten WikiLeaks-Enthüllung. Und warum regt es dann kaum einen mehr auf?

So späht die NSA PCs ohne Internetzugang aus
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Foto: dpa, Jim Lo Scalzo

Achtung! Festhalten! Im nächsten Satz enthüllen wir mit Hilfe von WikiLeaks sensationelles, streng geheimes Material: "UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat im Dezember 2008 im vertraulichen Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel deren Klimapolitik gelobt und sie darauf aufmerksam gemacht, dass es gerade eine günstige Gelegenheit gebe, dafür auch den neuen US-Präsidenten zu gewinnen." Puh!

Angesichts dieses ungeheuerlichen Geheimnisverrates dürfte es dem einen oder anderen schwer fallen, schnell seine Fassung wiederzugewinnen. Zumal er erst einmal wieder aufgeweckt werden muss.

Die neuerliche scheinbare Sensations-Story enthüllt vor allem vier Tatsachen:

  • Einmal erklärt sie, warum WikiLeaks trotz einer angeblichen Fülle von erdrückendem Beweismaterial so viele Monate brauchte, um wieder einmal Honig daraus saugen zu können. Offensichtlich wird der Vorrat an Bedeutsamem immer dünner.
  • Zweitens könnten eingeweihte Politiker mit ihren Berichten wirklich Recht haben, wonach es im Kernbereich der Macht mitunter berechenbarer, uninspirierter und langweiliger zugeht als es sich von außen anfühlt.
  • Drittens dürften sich die Vereinten Nationen bei aller möglichen äußerlichen Empörung innerlich aufgewertet fühlen: Wenn selbst die NSA die UN für wert befindet, ausspioniert zu werden, dann kann es mit dem Vorurteil, eine einflusslose Organisation zu sein, vielleicht doch nicht so weit her sein.
  • Und viertens: Wiewohl immer mehr Mosaiksteine über die Zielobjekte des US-Geheimdienstes zusammen kommen, lässt sich an die anfängliche Erschütterung von 2013 nicht mehr anknüpfen. Die NSA als Datenkrake mit unstillbarem Informationshunger selbst in privatesten und geschütztesten Bereichen befreundeter Staatsleute ist inzwischen "eingepreist". Nächstes Thema.

Dahinter stecken zwei Entwicklungen. Einerseits der insgesamt sorglose Umgang mit der eigenen Kommunikation. Wo früher dreimal überlegt wurde, welche Buchstaben zu welchen Worten aus dem Füller zu Papier gebracht werden und wie sie auch in zwei oder drei Jahrzehnten noch wirken könnten, wird heute gezwitschert und gepostet, als gäbe es kein Morgen mehr. Dabei weiß jeder, wie schnell alle seine Daten, Spuren und Äußerungen zu einem Persönlichkeitsprofil zusammengefügt werden können, das so schnell nicht mehr zu löschen oder zu korrigieren ist.

Geheimdienste dringen wohl zu wenig in Schurkenstaaten ein

Die andere Entwicklung hat mit dem Gefühl zu tun, dass unsere Geheimdienste vielleicht noch zu wenig in den geschützten Bereichen von Schurkenstaaten und Terror-Organisationen abhörend eindringen, um uns wirkungsvoll vor dem nächsten verheerenden Anschlag schützen zu können.

Umso wichtiger ist es, die Beziehungen zwischen Regierung und Geheimdienst und erst Recht zwischen Bürger und Geheimdienst neu zu vermessen und abzusichern. Dabei wird zwar jede Nation ihre eigenen Traditionen und Definitionen für sich selbst liefern wollen. Aber gerade unter engsten Verbündeten einer Wertegemeinschaft sollte es möglich sein, zu gemeinsamen Überzeugungen zu kommen, was man auch unter Freunden tun kann und was man unbedingt lassen muss. Wer ein no-spy-Abkommen nicht einmal im Ansatz hinbekommt, der sollte das Wort vertrauensvoll aus dem Repertoire für Festreden streichen.

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