Interview mit Annegret Kramp-Karrenbauer "Die CDU war nie eine hartherzige Partei"

Berlin · CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer spricht im Interview mit unserer Redaktion über die digitale Revolution, die Einsamkeit der Menschen und den Ärger mit Jens Spahn, der CSU und der FDP.

 Annegret Kramp-Karrenbauer auf einem CDU-Parteitag in Berlin (Archivfoto).

Annegret Kramp-Karrenbauer auf einem CDU-Parteitag in Berlin (Archivfoto).

Foto: rtr, FW1/Janet Lawrence

Die CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer spricht im Interview mit unserer Redaktion über die digitale Revolution, die Einsamkeit der Menschen und den Ärger mit Jens Spahn.

Die frühere saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer ist seit Februar in Berlin. Parteichefin Angela Merkel hat mit der 55-Jährigen eine enge Vertraute in die CDU-Zentrale geholt. Sie wird ein neues Grundsatzprogramm für die durch Verluste bei der Bundestagswahl angeschlagene Partei schreiben. "AKK", wie sie kurz genannt wird, gilt als eine Favoritin für Merkels Nachfolge. Wir treffen sie in ihrem neuen Büro ganz oben im Konrad-Adenauer-Haus.

Frau Kramp-Karrenbauer, was vermissen Sie von Saarbrücken?

Annegret Kramp-Karrenbauer Vor allem meine Familie.

Kanzlerin Angela Merkel will, dass die Menschen am Ende dieser Wahlperiode überzeugt sind, "die da in Berlin" haben verstanden, was die echten Sorgen und Nöte im Land sind. "Die da" sind nun auch Sie. Leben die Politiker hier wirklich abgeschottet in einer Blase?

Kramp-Karrenbauer Die Gefahr ist zumindest sehr groß, dass sich Politiker um sich selbst drehen. Durch den parlamentarischen Betrieb - das ist auch in allen Landtagen so - sind wir tagelang in Fachdebatten vertieft. Die Bürger haben aber häufig ganz andere Alltagssorgen und sehnen sich bei immer komplexer werdenden Fragen und Herausforderungen nach einfacheren Antworten. Diese Quadratur des Kreises müssen wir bewältigen. Das ist ein hoher Anspruch.

SPD, Grüne und Linke setzen darauf, dass die CDU nach rechts rückt, damit der Platz in der Mitte wieder frei wird. Können sie sich Hoffnung machen?

 Kramp-Karrenbauer mit Kanzlerin Merkel bei einer CDU-Vorstandssitzung (Archivfoto).

Kramp-Karrenbauer mit Kanzlerin Merkel bei einer CDU-Vorstandssitzung (Archivfoto).

Foto: dpa, nie sab

Kramp-Karrenbauer Die CDU ist dann stark, wenn sie in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Das galt schon immer - und das muss so bleiben. Wenn die Menschen jetzt wieder verstärkt über Sicherheit und einen starken Staat diskutieren, muss das natürlich auch die CDU als Partei der Mitte aufgreifen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Achse nach rechts verschoben wird. Die große Herausforderung der CDU als Volkspartei ist, immer das aufzunehmen, was die Leute umtreibt. Die Bürger suchen eine Partei, die sich um Lösungen kümmert. Wenn wir es nicht machen, machen es andere.

Es ist ungewöhnlich, dass die Generalsekretärin der CDU dem CDU-Bundesminister Jens Spahn wegen kritikwürdiger Äußerungen über Hartz-IV-Empfänger in die Parade fährt. Können wir uns auf einen Richtungsstreit in der CDU einstellen?

Kramp-Karrenbauer In der Sache war sein Beitrag unumstritten. Hartz IV ist nicht mehr als eine Existenzsicherung. Aber aus vielen Rückmeldungen, die im Konrad-Adenauer-Haus eingegangen sind, wissen wir, dass sich viele am Tonfall gestört haben. Für diese Diskussion braucht es Fingerspitzengefühl. Die CDU war nie eine hartherzige Partei. Es ist meine Aufgabe als Generalsekretärin, das auch nochmals klarzumachen.

FDP-Chef Christian Lindner kann sich eine Regierung mit der CDU vorstellen, wenn Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel nicht mehr da ist. Können Sie sich eher eine Regierung vorstellen, wenn Herr Lindner weg ist?

Kramp-Karrenbauer Es spricht für wenig Professionalität in der Politik, wenn die Frage einer Regierungsbildung von Personen der einen oder anderen Seite abhängig gemacht wird. Aber das muss die FDP mit sich ausmachen, wann sie sich dazu in der Lage sieht, Verantwortung für das Land zu übernehmen.

Wird die CSU eine Schwesterpartei bleiben im Sinne von geschwisterlichem Zusammenhalt?

Kramp-Karrenbauer Wer Geschwister hat, weiß: Es ist völlig normal, dass es da auch mal Reibungen gibt. Und dass die etwas größer sind, wenn in Bayern Landtagswahlen anstehen, ist auch nicht neu. Das muss man gelassen sehen. Wobei ich schon darauf verweise, dass wir auch eine andere wichtige Landtagswahl vor uns haben - in Hessen.

Was halten Sie vom Wunsch des CSU-Landesgruppenvorsitzenden Alexander Dobrindt nach einer konservativen Revolution?

Kramp-Karrenbauer Konservative hatten immer die besten Zeiten, wenn sie diese Haltung gelebt und nicht darüber geredet haben.

Parteiprogramme werden von den Bürgern selten gelesen. Was wird Ihr Signal an die Menschen sein, wenn Sie sich jetzt daranmachen, ein neues Grundsatzprogramm für die CDU zu erarbeiten?

Kramp-Karrenbauer Wir beginnen den Programmprozess mit einer Zuhör-Tour. Es geht mir nicht darum, in 300 Seiten darzulegen, mit welchen Themen sich die CDU im Einzelnen beschäftigt. In einem Grundsatzprogramm geht es vor allem um die Haltung: Familie ist für uns immer zentral gewesen - aber das Bild davon ist heute sicher ein anderes als in den 50ern. Oder ein anderes Beispiel: Für Helmut Kohl war immer klar, dass Deutschland unser Vaterland ist - wir unsere deutschen Interessen aber am besten in einem einigen und offenen Europa vertreten können. Wie gehen wir damit in Zeiten von Abschottungstendenzen um? Bleiben wir bei dieser Haltung, auch wenn Populisten lautstark dagegen sind?

Aber dann müssen Sie doch mit einer Haltung vorangehen, wenn Sie nicht den Weg der Populisten gehen wollen.

Kramp-Karrenbauer Natürlich bringen wir unsere Haltung in die Debatte ein. Aber nicht als "Basta", sondern als Beitrag zu einer breiten Diskussion. Am Ende muss dann eine gemeinsame Position stehen, hinter der sich alle Flügel der Partei versammeln können. Ganz wichtig für mich: Beim Ringen um gute Lösungen darf nicht jede Debatte als Streit oder Zerrissenheit dargestellt werden.

Fliegt uns vielleicht in ein paar Jahren das Hinterherhinken bei der Digitalisierung um die Ohren, weil wir uns zu lange nur mit der Migrationsdebatte beschäftigt haben?

Kramp-Karrenbauer Für mich ist diese Diskussion ein wenig wie ein Perpetuum mobile: Die Debatte beherrscht die Schlagzeilen. Also haben die Menschen ganz unabhängig davon, ob sie jemals direkten Kontakt zu Flüchtlingen hatten oder nicht, das Gefühl, dass die Migration das beherrschende Thema ist. Das spiegelt sich dann in Umfragen wider - und verstärkt die öffentliche Debatte. Somit dreht sich die Spirale immer weiter nach oben. Und da ist die Gefahr groß, dass man aus dem Blick verliert, was um uns herum noch passiert. Dabei ist die digitale Revolution zentral. Sie wird nicht nur die Wirtschaft, sondern die ganze Gesellschaft verändern. Das ist eine gewaltige Herausforderung für unsere soziale Marktwirtschaft. Vielen ist das noch gar nicht so bewusst. Und damit ist es natürlich schwer, Politik im Lichte einer Realität zu machen, die die Menschen noch gar nicht als Realität empfinden.

Was werden Sie tun?

Kramp-Karrenbauer Eine ehrliche Diskussion darüber führen, was eine lebenswerte Gesellschaft ausmacht. Wenn die Arbeit am Menschen in Deutschland schlechter bezahlt wird als die Arbeit mit Technik - was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Wenn immer mehr Menschen fast nur noch virtuelle Kontakte über soziale Netzwerke haben, aber nicht mehr mit dem Nachbarn sprechen oder sich im Verein engagieren - was bedeutet das für den Zusammenhalt? Wenn wir über Armut im Alter reden, gibt es die materielle Armut, aber auch genauso die soziale Verarmung und Vereinsamung. Manche Menschen sitzen oft in Wartezimmern von Ärzten, weil sie schlichtweg mit jemandem sprechen möchten. Bei solch gravierenden Veränderungen können wir als Politik nichts anordnen - aber wir können die Diskussion anstoßen.

2020 wollen Sie das Grundsatzprogramm fertig haben. Steht dann die Nachfolge von Angela Merkel an?

Kramp-Karrenbauer Das wird sich dann zeigen, wenn Angela Merkel entschieden hat, ob sie noch einmal antritt oder nicht. Darüber heute zu spekulieren, bringt nichts.

Kristina Dunz führte das Gespräch.

(kd)
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