Hunderttausende gehen auf die Straßen Anti-Atombewegung setzt ein Zeichen der Stärke

Hamburg (RPO). Die Proteste gegen die Atomkraft nehmen eine neue Dimension an: Am Samstag gingen rund 250.000 Menschen bundesweit auf die Straße, um für einen Ausstieg aus der Kernkraft zu demonstrieren. Eine solche Mobilisierung der Massen hat es lange nicht mehr gegeben. Der Druck auf die Politik steigt.

Anti-AKW-Demos in ganz Deutschland
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Die Zahl der rot-gelben Anti-Atomkraftfahnen geht geht in die hunderte, dazu kommen unzählige Transparente und selbstgebastelte Pappschilder mit Slogans wie "Sicher ist nur das Risiko". Über zwei Kilometer lang ist laut Polizei der Strom der Demonstranten, der sich am Samstag in Hamburg bei strahlendem Sonnenschein weithin sichtbar über die Lombardsbrücke an der Alster und das Stadtzentrum zum Rathaus bewegt.

Hier in der Hansestadt, ebenso wie bei den zeitgleichen Massendemonstrationen in Berlin, München und Köln, hat die deutsche Anti-Akw-Bewegung angesichts der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima ein weiteres beeindruckendes Zeichen der Stärke gesetzt.

Auf 50.000 schätzen die Veranstalter am Ende die Zahl der Teilnehmer allein in Hamburg. Es ist damit einer der größten Demonstrationen, die die Stadt seit langem erlebt hat. Bundesweit sind an diesem Tag etwa 250.000 Menschen auf den Beinen. Und es sind keineswegs nur jene, für die das Protestieren gegen die "Atommafia" seit Jahrzehnten Routine ist. In Hamburg etwa gehen junge Väter mit Babys in Tragegurten ebenso auf die Straße wie Cliquen von Jugendlichen, Familien, Studenten und ältere Ehepaare.

"Wir müssen jetzt deutlich Stellung beziehen und allen klar machen, was ein außerordentlich großer Teil der Bevölkerung wirklich will", sagt Timo Fischer. Der 37-Jährige ist mit Sohn, Freunden und Familienangehörigen aus Schenefeld, einem Vorort von Hamburg, gekommen und gehört mit seinen raspelkurzen Haaren und Turnschuhen schon äußerlich ebenfalls nicht zum klassischen Klientel traditioneller Anti-Akw-Demos. Denn über den Willen des Volkes sei die Regierung bislang "relativ entspannt hinweggegangen", fügt er unter Verweis auf die vor wenigen Monaten von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Akw-Laufzeitverlängerung hinzu.

Auch der 20-jährige Yannik Meyer und seine gleichaltrige Freundin Marieke Vogt sind gekommen. Mit je einem dezenten gelben "Atomkraft? Nein danke"-Aufkleber auf der Jacke stehen die beiden auf dem Hamburger Rathausmarkt. Musik schallt über den Platz, es herrscht beinahe Volksfeststimmung. Dass er hier sei, habe nicht direkt mit Fukushima zu tun, sagt der großgewachsende junge Mann mit den blonden Haaren, der in Hamburg sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) ableistet. Schon seit das Thema in der Schule behandelt wurde, stehe seine Meinung fest: "Ich halte Atomkraft für keine verantwortungsvolle Form der Energiegewinnung."

Auch bei den Demonstrationen in Berlin, München und Köln wird deutlich, dass sich das Lager der Atomkraftgegner in Deutschland nicht auf bestimmte Milieus oder eine vergleichsweise kleine alternative Szene beschränkt. Das Bild in der Hauptstadt, wo sich zur Mittagszeit Menschenmassen mit grünen Luftballons und rot-gelben Fahnen vom Potsdamer Platz zur Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor bewegen, erinnert ebenfalls eher an die großen Demonstrationen zu Zeiten der Friedensbewegung in den 1980er Jahren. Von 120.000 Teilnehmern sprechen die Veranstalter dort. In Köln und München sind es nach Angaben der Veranstalter jeweils rund 40.000, die mit Plakaten wie "Atomkraft ohne uns" und "Atomkraft ist Mord" unterwegs sind.

"Es ist wunderschön, die Kraft zu spüren, die Ihr seid", ruft Dirk Seifert, Atomexperte der Umweltschutzorganisation Robin Wood und einer der Initiatoren des bundesweiten Proteste auf dem Hamburger Rathausmarkt. Er und die übrigen Vertreter des Veranstalterbündnisses, zu dem auch die Naturschützer des BUND und die Anti-Atom-Initiative Ausgestrahlt gehören, haben in den vergangenen Tagen viel mobilisiert. Jetzt sind sie am Ziel - und genießen den Triumph.

"Die Atomenergie hat keine Zukunft", ruft Seifert in die Menge. Was folgt, erinnert eher an ein Rockkonzert als an eine Demo der Anti-Akw-Bewegung. Angefeuert von einem jungen Mann mit modischer Sonnenbrille recken die Leute an der Bühne die Arme hoch und skandieren ihre Botschaft des Tages: "Abschalten, abschalten!"

(AFP)
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