Medikamenten-Tafeln in NRW Arznei zum halben Preis für Arme

Dülmen (RP). Medizin für Bedürftige: Damit leisten die Tafeln in Dülmen und Steinfurt ihren Beitrag zum "Europäischen Jahr zur Armutsbekämpfung", das NRW-Politiker am Mittwoch in Köln eröffnet haben. Tafel-Mitarbeiter stempeln die Rezepte ab, Apotheker geben die Präparate günstig ab.

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Foto: ddp, ddp

Einfach mal schnell in die Apotheke zu gehen, fiel Anke Irmer früher schwer. 22,40 Euro zahlte sie jeden Monat für die Salbe, die ihr Mann für sein Bein braucht. "Ihm wurden bei einer OP wichtige Gewebeteile entfernt, seitdem versorgt sich die Haut nicht mehr selbst mit Feuchtigkeit", erzählt die 41-Jährige. "Und für Diabetiker wie meinen Mann ist das besonders schlimm."

Schlimm für die vierfache Mutter war, dass ihr das Geld für die Salbe an anderer Stelle fehlte. "Manchmal gab's dann eben für die Kinder kein Kakao-Geld für die Schule", sagt sie. Dass jetzt wieder beides geht, Salbe und Kakao, verdankt sie der Dülmener Tafel. Dort bekommen die Irmers nicht nur jeden Mittwoch Brot, Gemüse und Milchprodukte, sondern auch günstige Medizin.

An der ersten Medikamenten-Tafel in NRW können die etwa 1000 Kunden ihre Rezepte vorlegen, sie gegen Vorlage ihres Tafel-Ausweises abstempeln lassen und dann in einer der zehn Apotheken der Stadt einlösen. "Zum halben Preis — die andere Hälfte zahlt ein Sponsor", erklärt Tafel-Chefin Yvonne Redmann, die sich von einem Stuttgarter Projekt zur Medikamententafel hat inspirieren lassen.

Bisher nur für grüne Rezepte

Den "Tafel-Rabatt" gibt es bisher nur für grüne Rezepte: Darauf vermerken Ärzte nicht verschreibungspflichtige Medikamente, die Patienten ab zwölf Jahren eigentlich selbst zahlen. 15 Millionen Vorlagen für solche Rezepte wurden allein 2009 an deutsche Ärzte verschickt, schätzt der Bundesverband der Arzneimittelhersteller.

"Zurzeit geben wir auf grüne Rezepte vor allem Erkältungsmittel aus", erklärt Barbara Schmitt, Inhaberin einer der zehn teilnehmenden Dülmener Apotheken, "also Nasentropfen, Hustenstiller und Schleimlöser." Diese "Bagatell-Medikamente", wie nicht verschreibungspflichtige Präparate im Preisbereich von zehn bis 30 Euro auch genannt werden, können für die Behandlung durchaus wichtig sein. "Bei einer Bronchitis zum Beispiel kann aus einer Verschleimung durch eine bakterielle Infektion sonst eine Lungenentzündung werden", erklärt Barbara Schmitt.

Und Diabetiker wie Lothar Irmer, die sich keine Pflegeprodukte wie eine Feuchtigkeitssalbe leisten können, riskieren wunde Stellen an den Füßen — was im schlimmsten Fall zur Amputation einzelner Zehen führen kann. "Diese Spätfolgen treffen dann nicht nur die Menschen, die es ohnehin schon schwer haben und durch ihre Krankheit noch weiter an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden", sagt Apothekerin Barbara Schmitt. "Sie sind letztlich auch teurer für das Gesundheitssystem."

Einsparungen noch unklar

Experten halten das Dülmener Konzept deshalb für sinnvoll. "Welche konkreten Einsparungen das Projekt für das Gesundheitswesen erzielt, muss natürlich erst ermittelt werden", sagt Boris Augurzky, Gesundheitsexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. "Aber der Steuerzahler trägt in dem Fall ja keinerlei Risiko. Die Kosten übernehmen ein Sponsor und die Patienten. Und die werden durch die Selbstbeteiligung von 50 Prozent auch dafür sensibilisiert, dass Gesundheit eben Geld kostet."

Ein erstes Folgeprojekt in NRW gibt es bereits: In Steinfurt bekommen die 1500 Tafel-Kunden nicht verschreibungspflichtige Medikamente 30 Prozent günstiger. Sie gehen mit ihren grünen Rezepten direkt vom Arzt in eine der bisher vier Partnerapotheken, zeigen ihren Tafel-Ausweis und erhalten auf diese Weise den Rabatt. Die Kosten übernehmen die Apotheker — "sozusagen als Beitrag zur Solidargemeinschaft", wie Tafel-Chef Josef Schräder sagt. Er brachte das Projekt vor zwei Wochen an den Start, nachdem er von Dülmen gehört hatte.

In der ersten Medikamenten-Tafel in NRW wurden in drei Monaten etwa 100 Rezepte abgestempelt. Gesamtvolumen: rund 1400 Euro. 700 davon zahlt die Schirmherrin der Dülmener Medikamenten-Tafel, Gabriele Herzogin von Croy. "Eine Hilfe, die natürlich nicht jeder hat", sagt Yvonne Redmann, "die für immer mehr Menschen aber immer wichtiger wird." Anke Irmer zum Beispiel ist nicht nur bei der teueren Salbe für ihren Mann auf Unterstützung angewiesen. "Unsere Tochter Sarah wird demnächst zwölf", sagt sie. "Dann müsste sie, wie ihr älterer Bruder schon jetzt, jedes Nasenspray und jeden Hustensaft selbst bezahlen. Zu hundert Prozent."

(RP)
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