Streit über Arbeitspflicht bei "Hartz IV" Auch Rüttgers stellt sich gegen Koch

Frankfurt/Main (RPO). Hessens Ministerpräsident Roland Koch löst mit der Forderung nach einer Arbeitspflicht für "Hartz-IV"-Empfänger als Gegenleistung für staatliche Hilfe massiven Widerspruch aus. Gewerkschaften empören sich, die Opposition spricht von einer Entgleisung. Selbst Parteifreunde wie Ursula von der Leyen und Jürgen Rüttgers gehen auf Distanz.

 Ministerpräsident Koch: "'Hartz IV' nicht als angenehme Variante ansehen."

Ministerpräsident Koch: "'Hartz IV' nicht als angenehme Variante ansehen."

Foto: apd, AP

"Ich weiß nicht, wie man da weiterkommen will. Wenn keine Arbeitsplätze da sind - und wir haben ja Probleme auf dem Arbeitsmarkt angesichts der Krise - nützt eine gesetzliche Pflicht überhaupt nicht", sagte NRW-Ministerpräsident Rüttgers am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" laut Vorabmeldung. "Was wir brauchen sind entsprechende Fördermaßnahmen, damit die Leute wieder eine Stelle finden", erklärte der CDU-Politiker.

Rüttgers wiederholte in dem Zusammenhang seine Kritik an den Hartz-IV-Gesetzen und forderte ihre Grundrevision: "Hartz-IV hat das große Problem, dass bei der richtigen Grundkonzeption Fordern und Fördern die Förderinstrumente alle im Gesetz stehen, aber teilweise nicht richtig angewandt werden." Diejenigen, die arbeitslos würden und in Hartz IV landeten, erhielten nicht die notwendige Hilfe von den Arbeitsagenturen, "um möglichst schnell wieder in Brot und Arbeit zu kommen. An der Stelle muss nachgebessert werden", sagte Rüttgers.

Rüttgers waren nur einer der zahlreichen Kritiker, die Koch im Laufe des Wochenendes in die Parade gefahren sind. Mit seiner Forderung, Hartz-IV-Empfängern eine Pflicht zur Arbeit aufzuerlegen, hatte der CDU-Politiker einen regelrechten Sturm der Entrüstung ausgelöst. Seine Äußerung im O-Ton: "Wir müssen jedem 'Hartz-IV'-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung."

Es dürfe niemand das Leben von "Hartz IV" als angenehme Variante ansehen. Es könne kein "funktionierendes Arbeitslosenhilfe-System geben, das nicht auch ein Element von Abschreckung enthält." Ein solcher Druck sei notwendig. Zugleich plädierte Koch für höhere Hinzuverdienstgrenzen als Anreiz zur Annahme von Arbeit.

Daraufhin hatte sich am Sonntag auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen kritisch über Kochs Äußerungen geäußert. Sie betonte: "Das Problem lösen wir nicht, indem wir sie beschimpfen, sondern gezielt helfen." Zwar gebe es "einige schwarze Schafe", deswegen dürften aber nicht alle "Hartz-IV"-Empfänger "in eine Ecke" gestellt werden. Die große Mehrheit der Menschen wolle raus aus "Hartz IV", könne aber nicht arbeiten, "weil sie keine Kinderbetreuung finden, weil sie keine Schulbildung haben oder keinen Beruf."

Im geltenden Gesetz gebe es bereits ausreichende Sanktionen für den Fall gebe, "dass zumutbare Jobs ohne vernünftigen Grund abgelehnt werden", machte von der Leyen deutlich. Die Regelungen müssen nur überall konsequent angewendet werden. Zugleich sprach sie sich dafür aus, das Prinzip "Fordern und Fördern" mit Leben zu füllen. Langzeitarbeitslose bräuchten "Aktivierung, Weiterbildung und konkrete Jobangebote".

Die Linke reagierte empört. Linke-Parteivize Klaus Ernst sagte: "Was Koch da absondert, ist mittelalterlich." Wer in die Arbeitslosenabsicherung ein Abschreckungselement einbauen wolle, riskiere "mit voller Absicht, dass Menschen auf der Strecke bleiben". CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse Koch "für diese Entgleisung in die Schranken weisen", forderte Ernst. Notwendig sei eine schnelle "Hartz"-Reform, "aber eine, die den Betroffenen hilft und sie nicht abschreckt."

DGB-Chef Michael Sommer nannte Kochs Vorstoß "fast unanständig", weil suggeriert werde, die Arbeitslosen seien arbeitsscheu. Die übergroße Mehrheit der Arbeitslosen suche händeringend nach anständiger, guter und zumutbarer Arbeit. Linke-Parteivize Klaus Ernst kritisierte: "Was Koch da absondert, ist mittelalterlich." Das Erwerbslosenforum Deutschland warf Koch eine "üble Hetze" vor.

Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, warnte die Politik vor einem "Überbietungswettlauf" und einem Totalumbau der "Hartz-IV"-Reformen. Diese seien im Kern richtig gewesen. "Die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt wäre ernsthaft gefährdet, wenn wir die Reformen der vergangenen Jahre zurückdrehen würden", sagte Weise. Notwendig sei eine bessere Bildungs- und Wirtschaftspolitik, damit mehr Jobs entstehen können.

(apn/top)
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