Sie haben gefragt - unser US-Korrespondent antwortet "Aufregenderes habe ich selten erlebt"

Düsseldorf/Washington (RPO). Frank Herrmann ist unser Mann vor Ort in den USA. Hautnah erlebt er den Wahlkampf ums Präsidentenamt mit. Wir hatten Sie aufgerufen, Frank Herrmann Fragen zu stellen. Aus den zahlreichen Einsendungen haben wir zehn ausgesucht. Hier sind die Antworten.

Obama und McCain: die Positionen
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Obama und McCain: die Positionen

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Klaus Korten aus Düsseldorf:
Hallo Herr Herrmann, gibt es Aspekte in Obamas Politik, die den Deutschen noch unangenehm werden könnten?

Frank Herrmann: Ich glaube, ein Präsident Obama wird, falls er denn gewinnt, erstens, zweitens und drittens amerikanische Interessen vertreten. Er würde gegenüber den Europäern gewiss nicht so arrogant auftreten, wie es Bush in seinen ersten Amtsjahren tat. Der Stil wäre verbindlicher, kooperativer, gar keine Frage. In der Substanz wird es - trotz vieler Gemeinsamkeiten - zu Interessenkonflikten kommen.

Ich denke an Afghanistan. Der Wahlkämpfer Obama hat erklärt, dass amerikanische Soldaten nicht weiter die Hauptlast des Kampfes mit den Taliban tragen sollten. Er will die Verbündeten im Süden, wo die Hochburgen der Taliban liegen, stärker einspannen. Konkret kann das bedeuten, dass er auch die Deutschen auffordert, Truppen aus dem ruhigeren Norden in den Süden zu schicken. Spätestens dann wird es Reibereien geben.

Ein weiterer Punkt ist die Handelspolitik. Angesichts der Rezession verstärkt sich in den USA die protektionistische Stimmung. Viele Arbeiter in Old-Economy-Bundesstaaten wie Ohio, Michigan oder Pennsylvania machen den Freihandel dafür verantwortlich, dass sie ihre Jobs verlieren. Die Demokratische Partei schließt sich dieser Stimmung weitgehend an. Das heißt, bei einem Präsidenten Obama müsste man zumindest in der Anfangszeit damit rechnen, dass es in Handelsfragen zu Streit mit den Europäern kommt. Man wird sehen, wie viel sich dabei an Wahlkampfemotion auf die praktische Politik überträgt. Für mich eine offene Frage.

Sabine Reipen aus Mönchengladbach:
In Deutschland hat man den Einruck, dass die Wahl bereits zu Gunsten von Obama gelaufen ist. Was meinen Sie? Wird es noch mal knapp?

Frank Herrmann: "It ain't over till it's over", sagen die Angelsachen. Sinngemäß: "Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist". Die Wahl ist gelaufen, wenn die Wahllokale schließen, am Abend des 4. November. Das klingt nach einer Binsenweisheit, aber man sollte es noch einmal betonen. Die Stimmung in Europa ist mir ein bisschen zu euphorisch. Das amerikanische Wahlsystem hat seine Tücken. Denn es zählt nicht, wie die Gesamtbevölkerung abstimmt. Es zählt, wie die einzelnen Bundesstaaten abstimmen, wem die Wahlmänner der jeweiligen Bundesstaaten zufallen. Dort liegt der Hase im Pfeffer.

Kalifornien und New York zum Beispiel sind für Obama gelaufen, dort wird er wohl sicher vorn liegen. Aber entscheidend sind die acht bis zehn so genannten Pendelstaaten, die mal demokratisch wählen und mal republikanisch. Ohio, Florida, Missouri, Indiana, um nur einige zu nennen. In denen geht es meistens knapp aus. Und davon hängt ab, wer als Präsident ins Weiße Haus zieht. Um es kurz zu sagen, Obama hat es noch nicht geschafft. Ich sehe ihn im Vorteil. Aber es kann knapper werden, als es die meisten heute für möglich halten. Ich habe gerade in Geschichtsbüchern geblättert. 1980 lag Jimmy Carter zehn Tage vor der Wahl in den Umfragen acht Prozent hinter Ronald Reagan. Gewonnen hat Reagan.

Hans-Martin Beerenstock aus Moers:
Hallo, Sie machen eine gute Arbeit. Wagen Sie schon einen Rückblick? Was war für Sie der bisher aufregendste Moment im US-Wahlkampf?

Frank Herrmann: Als das Aufregendste habe ich die Startphase der Vorwahlen empfunden, speziell der Primaries der Demokraten. Das unglaublich spannende Duell zwischen Barack Obama und Hillary Clinton. Die Sensation, als Obama kurz nach Neujahr in Iowa gewann, in einem Staat mit einer überdeutlichen Mehrheit von Weißen. Da wusste man, auch weiße Wähler stimmen für den schwarzen Senator, eine Schwelle ist überschritten, hier wird Geschichte geschrieben. Wenige Tage nach Iowa war ich in New Hampshire, der zweiten Station der Primaries. Wie die Leute zu Obamas Kundgebungen strömten: Es war, als wäre ein Bann gebrochen. Partystimmung. Und dann gewann Hillary in New Hampshire. Etwas Aufregenderes habe ich selten erlebt.

Nicht aufregend, aber groß war, wie Hillary Clinton eine Art Abschiedsrede hielt. Es war im Juni, im National Building Museum in Washington. Ich war mit meiner Frau dort, wir waren beide zutiefst beeindruckt. Kein Nachkarten, keine Bitterkeit, nichts, nur die Aufforderung an ihre weinenden Anhänger, sich nun genauso hart für Obama ins Zeug zu legen. Ich weiß, Hillary Clinton hat ziemlich lange gebraucht, ehe sie respektierte, dass sie, die Favoritin, von einem Grünschnabel geschlagen wurde. Ich glaube, sie dachte eine Weile, es sei gewissermaßen ihr Anrecht, die Kandidatur der Demokraten zu übernehmen. Obama müsse sich das erst noch verdienen. Aber am Ende bewies sie wahre Größe.

Martina Witterle aus Dinslaken:
Hallo Herr Herrmann, was interessiert die Amerikaner derzeit am meisten? Rezession, Präsidentenwahl, Sarah Palins Klamotten oder eigentlich doch nur Baseball?

Frank Herrmann: Baseball interessiert natürlich immer, weshalb die Kandidaten ja auch ständig so tun, als seien sie die glühendsten Baseballfans. Sarah Palins Klamotten sind ein Aufregerthema. Ihre Kleider und Accessoires haben 150.000 Dollar gekostet - nach dem Geschmack des Amerikas der kleinen Städte, für das Palin angeblich steht, ein bisschen zu viel. Die Visagistin Sarah Palins verdient ein höheres Wochenhonorar als der außenpolitische Berater McCains. Es gibt Leute, die ihre Spende zurückfordern, die entrüstet von Verschwendung reden.

Aber das alles beherrschende Thema ist natürlich die Rezession. Vor einem Jahr war es noch der Krieg im Irak, jetzt geht es fast nur noch um die Wirtschaft. Mir fiel auf, wie lange George W. Bush die Lage noch schönfärbte, während die Menschen längst begriffen hatten, dass ihr Land in der Krise steckt. Ich glaube, die meisten stellen sich darauf ein, dass es in den nächsten Monaten noch härter wird. Die Finanzkrise war das eine, das war Wall Street, für manche ein ferner Planet. Jetzt aber gehen massenhaft Arbeitsplätze verloren.

Jürgen Bernbaum aus Duisburg:
Hallo, wer ist Ihr Favorit auf das Amt des Außenministers?

Frank Herrmann: Beide Bewerber halten sich da ziemlich bedeckt. Keiner will beim Wähler den Eindruck erwecken, als sei das Rennen für ihn schon gelaufen, als stelle er bereits sein Kabinett zusammen. Das heißt, wir stochern alle im Nebel.

Natürlich sind ein paar Namen im Gespräch. Bei Obama sind es Bill Richardson (UN-Botschafter unter Bill Clinton), der frühere Balkan-Beauftragte Richard Holbrooke und John Kerry, der 2004 gegen Bush verlor. Obama könnte auch signalisieren, dass es ihm Ernst ist mit der parteiübergreifenden Zusammenarbeit, indem er einen Republikaner zum Außenminister macht. Senatoren wie Richard Lugar oder Chuck Hagel wären denkbar. Vielleicht sogar Colin Powell, obwohl ihm derzeit nur Ambitionen auf einen Beraterposten nachgesagt werden. Powell wäre für uns Journalisten eine großartige Geschichte. Der Außenminister Bushs, der erst nur im stillen Kämmerlein rebellierte, sich dann offen gegen Bush stellte und nun unter Obama ein zweites Mal Außenminister wird. Vielleicht zu melodramatisch, um wahr zu sein. Bei McCain fällt immer wieder der Name Joe Liebermans. Lieberman war 2000 der Vize Al Gores, theoretisch gehört er noch zur Demokratischen Partei, de facto hat er sich im Streit um die Nachwehen der Irak-Invasion von den Demokraten getrennt.

Sarah Weiner aus Düsseldorf:
Hallo Herr Herrmann, ich lese Ihre Berichte stets mit großem Interesse. Wie lange sind Sie schon in den USA? Und in welchem Land möchten Sie später mal arbeiten?

Frank Herrmann: Ich bin seit Januar 2007 in den USA. Vorher war ich sieben Jahre in London, davor lange im Nahen Osten. Ich glaube, nach der Weltenbummelei zieht es mich irgendwann wieder nach Hause. Das hängt davon ab, wo das Zuhause meiner Kinder sein wird. Beide studieren in England. Mal sehen, wo sie ihre Zelte aufschlagen. Um ehrlich zu sein, England ist uns allen ans Herz gewachsen.

Ralf Dickel aus Düsseldorf:
Hallo Herr Herrmann, mit Verärgerung habe ich gestern die Nachricht von manipulierbaren Wahlmaschinen in Deutschland gelesen. Was passiert eigentlich gerade in den USA, um solche Manipulationen ggf. zu verhindern? Ach ja, hat der jüngste Angriff auf syrisches Territorium McCain genutzt, was sagen die Umfragen?

Frank Herrmann: Hier gibt es heftige Diskussionen über Wahlmaschinen, die mit so genannten "touch screens" operieren. Das heißt, man tippt mit dem Finger auf den Bildschirm, um einen Kandidaten auszuwählen. Es kann passieren, dass der Finger verrutscht. Allerdings wird man später noch einmal aufgefordert, seine Wahl durch einen zweiten Fingerdruck zu bestätigen. Bei manchen Maschinen ergaben Tests, dass sie falsch justiert waren. Das heißt, wer Obama wählen wollte, wählte in Wahrheit McCain. Die Experten beteuern, dass sich Fehler erkennen und korrigieren lassen. Man wird sehen, ob es sich auf Einzelfälle beschränkt oder sich zu einer Lawine auswächst. Bei einem knappen Ergebnis werden wir sicher heftige Debatten erleben.

Der Angriff auf syrisches Territorium hat hier in den USA, zumindest in der Wahrnehmung der breiten Masse der Wähler, kaum eine Rolle gespielt. Ich glaube nicht, dass er einem Bewerber schadet oder nutzt, weder McCain noch Obama.

Theocharidou Athanassia aus Düsseldorf:
Hallo Herr Herrmann, welche Rolle spielt eigentlich die zukünftige Außenpolitik im Wahlkampf - spielt sie überhaupt eine Rolle oder beschränkt sie sich auf Standardpolen zum Thema Terrorismus? Gibt es in diesem Punkt - wenn überhaupt - erkennbare bzw. hörbare Unterschiede zwischen den Kandidaten? Viel Kraft und Ausdauer für die nächsten Wochen!

Frank Herrmann: Die Außenpolitik hat anfangs eine wichtige Rolle gespielt, allem voran das Thema Irak. Bis zum vergangenen Jahr stiegen dort die Opferzahlen, stieg auch die Zahl der getöteten US-Soldaten. In dem Maße, wie sich die Lage im Irak beruhigt hat, vielleicht nur vorübergehend beruhigt hat, ist das Thema in den Hintergrund getreten. Viele Amerikaner stellen sich auch Fragen wie: Wie stehen wir eigentlich da in der Welt? Wie gewinnen wir verloren gegangenes Ansehen zurück? Ich kenne etliche Obama-Anhänger, für die das ein Hauptmotiv war und wohl immer noch ist. Sie wollen einen Präsidenten, mit dem man sich wieder sehen lassen kann auf der Weltbühne.

Standardparolen zum Thema Terrorismus hört man, besonders bei den Republikanern, aber längst nicht mehr so laut wie früher. Viele US-Bürger wissen oder ahnen zumindest, dass Bush den falschen Weg gewählt hat, um den Terrorismus zu bekämpfen. Das Wort vom "Krieg gegen den Terror" ist eindeutig ein Auslaufmodell.

Außenpolitische Unterschiede zwischen Obama und McCain sehe ich durchaus. Obama neigt von den Reflexen her eher zum Verhandeln, McCain eher zu militärischem Druck. Wobei man es nicht zu sehr vereinfachen sollte. Einerseits dürfte ein Präsident Obama durchaus knallhart verhandeln, mit einem militärischen Druckszenario im Hintergrund. Andererseits hat auch McCain versprochen, wieder stärker auf die Partner in Europa zu hören. Unterm Strich liegt beiden daran, die führende Rolle der USA in der Welt zu bewahren. Doch falls der Atomstreit mit Iran eskaliert, werden selbst Unterschiede im Tonfall, im Stil ins Gewicht fallen. Unter McCain wäre die Gefahr eines Militärschlages größer.

Übrigens vielen Dank für Ihre guten Wünsche.

Martin Szemit aus Düsseldorf:
Hallo, wie viel Show ist US-Politik im Vergleich zu Deutschland? Und: Holt Deutschland auf?

Frank Herrmann: In Amerika ist vieles Show, auch in der Politik. Im Präsidentschaftswahlkampf ist alles auf Personen zugeschnitten, auf ihren Charakter, ihre Qualitäten als Redner, ja Unterhalter. Die Parteien, denen sie angehören, spielen nur eine Nebenrolle. Leider kommen auch die Sachthemen zu kurz. Den Höhepunkt der Show habe ich auf den Nominierungsparteitagen im Spätsommer erlebt, erst bei den Demokraten in Denver, dann bei den Republikanern in St. Paul. Manches war reine Seifenoper, zumindest nach meinem Geschmack.

Bei den Demokraten ging es einen Abend lang allein um Michelle Obama, um die nicht kandidierende Gattin des Kandidaten. Um ihre Eltern, ihren Bruder, ihre Kindheit, ihr Chicago. Zum Schluss riefen die beiden Töchter Malia und Sasha ihrem Vater per Videolink zu: "We love you, daddy!" Mir war klar, worum es bei der Show ging: Die Obamas wollten sich als ganz normale amerikanische Familie inszenieren, wollten dem Amerika normaler Familien die Skepsis nehmen. Und Michelle wollte das Patriotische betonen. Ein paar Monate zuvor hatte sie gesagt, sie sei zum ersten Mal überhaupt stolz auf ihr Land - was sofort die Skeptiker auf den Plan rief: Wieso zum ersten Mal?

Alles verständlich, aber ich stellte mir vor, auf einem CDU-Parteitag wäre ein kompletter Abend ausschließlich Joachim Sauer gewidmet. Da merkt man den Unterschied. Bei den Republikanern war es dann ähnlich. Cindy McCain wurde als zweite Prinzessin Diana verkauft, unermüdlich im karitativen Einsatz fürs Gute, beim Minenräumen, in Krankenhäusern etc.

Ob Deutschland in Sachen Show aufholt, kann ich nicht beurteilen. Dazu habe ich zu lange nicht in Deutschland gelebt, und nur aus der Fernsehperspektive traue ich mir kein Urteil zu.

Noch ein Gedanke, wenn Sie so wollen, ein positiver Aspekt der amerikanischen Show: In Deutschland wäre ein Talent wie Obama nie so schnell an die Spitze gekommen, die Parteihierarchie hätte ihn ausgebremst. In Amerika ist das möglich. Obama hat sich gewissermaßen im Schnellverfahren gegen das Establishment durchgesetzt, durch die Kraft seiner Worte, die Attraktivität seiner Botschaft. Sicher auch durch eine gute Show.

Marc aus Mönchengladbach:
Hallo Herr Herrmann, wie schätzen Sie den Bradley-Effekt ein? Denken Sie, dass er auch bei Obama eine Rolle spielen könnte? Grüße aus Deutschland

Frank Herrmann: Für Leser, die es vielleicht nicht im Detail wissen: Tom Bradley, afroamerikanischer Bürgermeister von Los Angeles, ging 1982 als Favorit ins Rennen um den Posten des Gouverneurs Kaliforniens. In den Umfragen lag er klar vorn, am Ende verlor er gegen seinen weißhäutigen Widersacher (George Deukmejian). Weiße Wähler stimmten allein wegen der Hautfarbe gegen Bradley.

Allerdings hatten sie sich nicht getraut, dies den Demoskopen vorher offen zu sagen, weshalb die Umfragen ein verzerrtes Bild wiedergaben. Ob sich der Bradley-Effekt gegen Obama auswirkt, ist eine der großen Unbekannten dieser Wahl. Es gibt zwei Denkschulen. 2008 ist nicht mehr 1982, betont die eine, das Land hat sich nach vorn bewegt. Die andere sagt, Obama müsse in den Meinungsumfragen mindestens fünf Prozent Vorsprung haben, um tatsächlich gewinnen zu können. Wer Recht hat, wird der Wahltag zeigen. Ich glaube, dass er Bradley-Effekt noch eine Rolle spielt, aber hoffentlich (!) keine große.

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